Innsbruck. Die kommunikativen und sozialen Implikationen von Architektur bilden für Heidrun Holzfeind und Katerina Šedá einen wesentlichen Bezugspunkt. Beide Künstlerinnen konzipierten ihre Arbeiten in umfassenden Recherchen vor Ort. Die konzeptuellen Strategien differieren jedoch. Heidrun Holzfeind (geb. 1972) exemplifizierte in ihrer seit 2005 in Mexiko-Stadt entwickelten Arbeit »MEXICO 68« einen Kanon subjektiv angereicherter, dokumentarischer Methoden. Katerina Šedá (geb. 1977) versuchte in dem Projekt mit dem Titel »Každej pes, jiná ves« (wörtlich: »Jedem Hund ein anderes Dorf«, 2007) die anonymisierende Situation in der Plattenbausiedlung Nová Líšen an der Peripherie von Brno, wo sie aufgewachsen ist, durch eine subjektive Intervention unter Verwendung der systemimmanenten Strukturen zu lockern.
Den von den Architekten Mario Pani und Enrique del Moral zwischen 1950–1952 unter der Leitung von Carlos Lazo erbauten Campus der UNAM (Universidad Nacional Autónoma de México), von wo die Studentenproteste im Juli 1968 ihren Ausgang nahmen, zeigte Holzfeind in »C.U.«, 2006, als Doppelprojektion mit Fotografien. Das Interesse galt der Gesamtkonzeption, den architektonischen Details im Außen- und Innenbereich sowie dem Alterungsprozess der modernistischen Architektur in ihren zum Teil desolaten, weil funktionslos gewordenenen Strukturen. Der subjektive Blick fällt immer wieder auf Details, dazwischen finden sich vereinzelte Aufnahmen, die an die objektivierende Sachlichkeit von Architekturfotografien erinnern. Der von der UNESCO 2007 zu »einer der wichtigsten Ikonen in Architektur und Städtebau ganz Lateinamerikas« erklärte moderne Baukomplex der post-revolutionären Ära wurde von den damals einflussreichsten Architekten erbaut. Die Mitwirkung von Luis Barragán, einem Anhänger der harmonisierenden Ästhetik Le Corbusiers, wurde auf einzelne Bereiche der Gartengestaltung beschränkt.
Die Bauhaus-Tradition und die Prinzipien des Internationalen Stils – oftmals durch Studienaufenthalte in Europa und durch die während des Zweiten Weltkrieges nach Lateinamerika emigrierten europäischen Architekten vermittelt –, verbinden sich mit
indigenen Elementen und mexikanischer Volkskunst. Diese traditionellen Bezüge finden sich weniger im architektonischen Bereich als in den figurativen Wandmalereien, Mosaiken und plastischen Gestaltungen. Der Campus fungierte als progressives Prestigeobjekt der seit über 30 Jahren regierenden diktatorischen Einheitspartei PRI. Die visuelle Bestandsaufnahme bewegte sich in einem offenen Terrain, deren Dialektik nicht die Wiederherstellung der bauhistorischen Zusammenhänge zur Bedingung machte, sondern sie in Bezug zur Studentenbewegung setzte. Im zweiten Teil der Arbeit, »Mexico 68«, 2007 wurden acht von 19 Videointerviews mit ehemaligen ProtagonistInnen gezeigt. Die unterschiedlichen Perspektiven erzeugen ein komplexes Bild vom politisch heterogenen Background der AktivistInnen, dem Einfluss internationaler politischer Entwicklungen und von den Strategien der Bewegung, die sich im Lauf des Sommers auf die meisten Mittel- und Hochschulen Mexikos ausweitete. Verhaftungswellen von AktivistInnen hatten massive Proteste ausgelöst: Die Forderungen nach Demokratisierung und Freilassung der politisch Gefangenen gingen mit Solidaritätskundgebungen für die Revolution in Kuba einher. Die Situation verschärfte sich durch die bevorstehende Eröffnung der Olympischen Spiele im Stadion der C.U. Am 2. Oktober richteten Polizei und Militär bei einer Kundgebung am Platz der »Drei Kulturen« ein Massaker mit einer unbekannten Anzahl von Toten und Verletzten an. Fotografien zeigten das als Panoptikum errichtete Lecumberri-Gefängnis, in dem viele Intellektuelle bis zu drei Jahren inhaftiert waren, und das nach der Auflassung im Jahr 1980 als Nationalarchiv Mexikos dient. Die internationalen Medien nahmen die Ereignisse kaum wahr: In einer Vitrine lag neben dem Ansichtsmaterial zu den Olympischen Spielen eine Ausgabe von »Paris Match«: Das Cover bildete unter dem Titel »Sang sur Mexico. Jeux en crise« einen von Menschen umringten Toten ab. Die ausgestellten Archivalien und zahlreichen Fotografien bezeugen, dass die Dokumentation überwiegend durch die Beteiligten erfolgte. Ein Großteil stammte aus dem Archiv des noch immer mit der Aufklärung der Ereignisse befassten »Comité 68«. Filmstudenten erstellten mit »El Grito: Mexico 1968« im Jahr 1972 eine umfassende Filmdokumentation.
Der Prozess der Demokratisierung kam nach dieser Niederlage nur sehr langsam in Gang. Die 2006 gegen den für das Massaker verantwortlichen ehemaligen Innenminister und späteren Präsidenten Echeverría eingebrachte Klage wurde wegen Verjährung eingestellt.
In der kleinformatigen Bleistiftserie zeichnete die Künstlerin in »Their truth is not ours« einige Parolen und Motive der DemonstrantInnen nach. Währen diese subjektive Geste in der Wiederholung inhaltlich nichts Neues erschloss, spiegelt sich in den biomorphen – an Hans Arp und Friedrich Kiesler erinnernden Papiermaché-Objekten, deren Formen einer Wandmalerei von José Chávez Morades an der Chemiefakultät entnommen wurden, ein codifizierter Universalismus, der auf einen kulturellen Transfer verweist und in dem sich ein in Bewegung befindliches gesellschaftliches Verhältnis zur Natur andeutet.
Durch die subjektive Aufbereitung der vorwiegend aus Bildmaterial und Interviews bestehenden Dokumentation konnte einer Mythenbildung entgegengewirkt werden.
Katerina Šedá betreibt ihre Interventionen, die in soziale Strukturen eingreifen, mit künstlerischen Mitteln außerhalb der Kunstinstitutionen. Oftmals entstehen die Arbeiten aus einer persönlichen Involviertheit. In dem als Rauminstallation präsentierten »Každej pes, jiná ves« entwickelte Katerina Šedá durch die Übernahme der uniformen Strukturen der sozialistischen Plattenbausiedlung, deren offizielle Veränderung sich auf eine neue Übermalung der Fassaden in pastellfarbenen Anstrichen beschränkte, ein Kommunikationsprojekt. Tausend Hemden wurden mit dem farblichen Muster der Plattenbauten bedruckt und nach einem System der größtmöglichen Distanz zwischen AbsenderInnen und EmpfängerInnen verschickt. Durch das Tragen der Hemden sollte sich eine symbolische Gemeinschaft bilden. Doch die schriftlichen Reaktionen der BewohnerInnen bestätigen in ihrer Kritik und ihrem Unverständnis, wie sehr das Konzept in Schemata verhaftet bleibt, die den komplexen Bedingungen des Alltagslebens nicht gerecht werden. Formal entwickeln die Diagramme und Zeichnungen zum Projekt jedoch ein Eigenleben mit bisweilen surrealen Anmutungen, die zu faszinieren vermögen.
Von großem Einfühlungsvermögen zeugt das für ihre Großmutter Jana Šedá entwickelte Projekt »Je to jedno« (»Es ist alles egal«, 2005–2007). Šedá gelang die Mobilisierung der Großmutter, der nach der Pensionierung alles gleichgültig geworden war. Das lange Interview zeigt, wie durch das Interesse der Enkelin an der Biografie der Großmutter deren Erinnerungen geweckt werden konnten. Die Arbeit in einer Eisenwarenhandlung gab den Anstoß für die umfassende Serie von Zeichnungen, in denen Jana Šedá über 650 Artikel aus dem Gedächtnis skizzierte und dazu die entsprechende Preisliste erstellte. Katerina Šedá theatralisierte die Installation mit einfachen Mitteln in Erinnerung an ihre 2007 verstorbene Großmutter: Zentral im Raum, umgeben von den Fragebögen und Zeichnungen an den Wänden, steht ein mit einem geblümten Tischtuch bedeckter Küchentisch, auf dem die zu den Projekten publizierten Bücher aufliegen. Im Video sieht man die Großmutter beim Zeichnen an diesem Tisch. Drei Serien von Fragebögen erarbeitete Šedá in »Vnucka« (»Enkelin«, 2006–2007), die sie im Lauf eines Jahres gemeinsam mit der Großmutter durchging. Die daraus gezeigte Auswahl macht offensichtlich, wie stark die geweckten Erinnerungen das Erleben der Gegenwart verändern können, ohne das Leben grundsätzlich zu verändern.
Der offene methodische Ansatz dieser Projekte, die Šedá in direkter persönlicher Zusammenarbeit im Hinblick auf Veränderungen im unmittelbaren Umfeld entwickelte, erwies sich als produktiv, während die vordefinierte Artifizialität dem Kommunikationsprozess in »Jedem Hund ein anderes Dorf« hinderlich war.