Wien. Berliner Luft weht durch Wien. Bis dato waren Veranstaltungen, die queere Gesten in den unterschiedlichsten Disziplinen und Formaten wie Film, Performance, Musik, Vorträgen und Konzerten parallel verhandeln, in Wien rar. Die beiden neuen Leiter des nunmehrigen Koproduktionshauses »brut« im Wiener Künstlerhaus, Haiko Pfost und Thomas Frank (beide lange in Berlinern Theaterhäusern tätig), begegneten diesem Manko mit der Veranstaltungsreihe »Lust am Verrat. Stellungswechsel im Feminismus, Performance und Film«, die sie in Kooperation mit Andrea B. Braidt vom Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft sowie der Zeitschrift »fiber – werkstoff für feminismus und popkultur« (Musikprogramm) konzipierten. Wie der Titel schon sagt, stellte der lustvolle Verrat innerhalb des feministischen Diskurses, der sich affirmativ auf die Sex-Wars der 1980er Jahre, die PorNo-Debatte und die unterschiedlichen Identitätspolitiken der Queer Theory und feministischer Theorie bezieht, das Zentrum der Auseinandersetzung dar. Kernstück der Reihe bildete die Produktion »Orlanding the Dominant«, die die Performancegruppe SV Damenkraft (Katrina Daschner, Sabine Marte, Gini Müller, Christina Nemec) mit der Musikerin Gustav und einem Mitglied der Boyband Sissy Boyz zusammenführte. Eine »queere Burleske« titelte die, in der Gestaltung an den russischen Konstruktivismus angelehnte, Einladungskarte; allerdings dauerte es eine Weile, bis das Publikum – im hübsch mit Tischchen und Stühlen ausgestatteten Etablissement des Konzerthauses – sich diese hierzulande ungewohnte Theaterform aneignete und sich auch dementsprechend aktiv verhielt. Virginia Woolfs Figur »Orlando«, die das Geschlecht im Laufe der Geschichte mehrfach wechselt und sowohl als Klassiker der englischen Moderne als auch der Gender Studies gilt, diente als lose Leitfigur für die Performerinnen, deren Fokus auf einer pointiert theatralen, affektiven Akzentuierung und zeitgemäßen Verschiebung des Stückes lag. Die raffiniert durchkomponierte Ausstattung sowie die sexy Outfits des Designerduos fabrics_interseason (Wally Salner, Johannes Schweiger) trugen ganz wesentlich dazu bei, die Stärke und Präsenz jeder Darstellerin, die gesanglich als Ensemble in dieser Nummernrevue begeisterten, zu unterstreichen. Mehr der Diskursgeschichte verpflichtet, nämlich einem Text von Mary Ann Doane aus den 1980er Jahren zu »The Woman’s Film of the 1940s«, präsentierte sich Stefanie Seibolds und Tara Caseys Performance »I am not half the man, I used to be«. Die Rezitation in Auszügen von Doanes Untersuchung der (Un)Möglichkeiten eines »female gaze« ist mit einem bearbeiteten Filmausschnitt aus »The Killing of Sister George« (1968) von Robert Aldrich kombiniert, der eine Sequenz in einer Lesbenbar zeigt. Das Herausschälen und In-Beziehung-Setzen zweier wichtiger Zeitdokumente erweist sich unter historischen Blickwinkeln als durchaus stimmig und produktiv, für die Gegenwart eines weiblichen bzw. selbstbestimmten lesbischen Blicks wünscht man sich aber weniger dichotome Herangehensweisen. Eine sehr konzise und unterhaltsame Sound Lecture lieferten Christiane Erharter und Sonja Eismann, während Hito Steyerl mit ihrem vielschichtigen, für die documenta 12 produzierten Video »Lovely Andrea« vertreten war. Auf der Suche nach einer Bondage-Fotografie, die Steyerl als Studentin in Japan 1987 von sich machen ließ, entwickelt das Video auch medienimmanent ein Geflecht aus Pornoindustrie, Kunstdiskurs, Politik, Punk- und Popkultur, in dem u. a. Aufnahmen von Folterungen im Gefangenenlager Abu Ghraib ebenso Platz finden wie der zensurierte Trailer zu »Spiderman«, in dem sich ursprünglich ein Hubschrauber in einem zwischen den Türmen des World Trade Center gespannten Netz verfing. Entlang der Vorträge setzte sich die lustvolle Konfrontation mit Sexarbeit, queerer Repräsentanz und Pornoindustrie fort. Volker Woltersdorff widmete sich in einem historischen Überblick der »Sissy«-Figur, einer feminisierten (männlichen) Figur die sowohl von heterosexueller als auch von homosexueller (vorwiegend schwuler) Seite, mehrfach diskreditiert wird. Während sich Annette Brauerhoch auf die Rekodierung und unterschiedlichen Rezeptionszugänge des Pornoklassikers »Deep Throat« konzentriere, galt die uneingeschränkte Aufmerksamkeit Katja Wiederspahns der schwulen Pornografie. »Jerking Off easily. Was Frauen an schwuler Pornographie so gefällt« hieß der knallige Titel ihres Vortrages, in dem sie die vielfach geschmähte Gattung für die feministische Forschung konstruktiv zu etablieren versuchte. Da diese Form der Pornografie allerdings ebenso wenige – oder ebenso viele – emanzipatorische Aspekte liefert wie der Heteroporno werden wohl auch in Zukunft nur singuläre Produktionen unter qualitativen Aspekten abseits der gezeigten sexuellen Praxis einer größeren Aufmerksamkeit bedürfen. Auch Julius Deutschbauer und Maya Degirmendzic versuchten in »Das Hose-Rock-Block Seminar« eine Kontextverschiebung zu erzielen, indem sie ganz einfach die traditionelle Kleidungsordnung tauschten und u. a. kulturhistorische Abbildungen von Hermaphroditen besprachen und nachstellten. Was in diesem Kontext schlichtweg aufgesetzt, unreflektiert oder langweilig war, ließe sich beispielsweise im Kontext einer Reihe zur Dominanz von Männern im etablierten Kunstbetrieb erfrischend unkonventionell lesen. Der Stellungswechsel im queeren Feminismus verläuft also hin zur fröhlichen Pop-, Populär- und Partykultur, deren lustvolle Facetten produktiv nutzbar gemacht werden und dessen politischem Potenzial auch strategisch einiges abzugewinnen ist. Reden, Tanzen, Musik- und Party machen, Netzwerke pflegen und aufbauen – der soziale Raum bleibt der Ort der Aktion und Kommunikation. Permanent gut gelaunt zu sein, wie sich beispielsweise die Schwestern Brüll in ihrer Manifeste Bar präsentierten, kann aber auch anstrengend werden. Streng und nüchtern, klassische dem Feminismus zugeschriebene Attribute, bleiben so gesehen produktivere und effektivere Vermittlungsstrategien.