Heft 3/2008 - Fremdenrecht
»The Dubai Model … has been cultivated mostly by semi-public companies based in Dubai and Qatar: Emaar, Sama Dubai, Nakheel … DAMAC, and Qatari Diar. These corporations have established a euphoric construction zone of shopping centers, Mediterranean-style homes and luxury hotels within the largest swath of the globe barely touched by globalism. This once ignored void … can now be listed alongside other world class luxury destinations. Resorts, second home villas and greened deserts are now the tell-tales of a new hybrid money management and foreign policy. Emaar claims that among its built and proposed projects, it will ›cover‹ 1,5 billion people more than China’s population.«1
Das Kompendium »Al Manakh«, dem dieses Zitat entnommen ist, zeigt die Topografie eines neuen Gürtels von Luxusvierteln und Geschäftsstädten, der in Nordafrika beginnt und in China endet. Es sind jene insularen Ökonomien, die das Ergebnis einer konsequenten neoliberalen internationalen Finanzpolitik sind: Freetrade-Zonen und Luxustourismus in Staaten, in denen der Großteil der Bevölkerung weit unter dem Existenzminimum lebt, deren BIP aber durch die globalen Investmentfonds und ihre lokalen Schwitzbuden optimal hoch getunt ist. Aber Villen im mediterranen Stil, Wellnessoasen, Malls und Vergnügungsparks mit guten Verkehrsanbindungen reichen für die neue Schicht von Nabobs und ihre leitenden Angestellten nicht aus. Dubai hat seinen zahlreichen Freihandelszonen eine Healthcare City, in der die besten Kliniken eingekauft sind, und eine Knowledge City mit Dependancen unter anderem der Universitätseliten Harvard bzw. der Sorbonne hinzugefügt. Wir glauben nicht, dass es bei der aktuellen Implementierung von Kunstsystemen in diesen optimierten Lebensräumen »nur« um Kommerz geht,2 sondern dass damit die Inanspruchnahme eines politischen Raums gemeint ist, der der Macht, die ihn gewährleistet, kritisch verbunden ist. Von der Kapitalgesellschaft Abraaj wurde ein Kunstpreis von einer Million US-$ für KünstlerInnen aus der Region des Mittleren Ostens, Nordafrikas und Südasiens (Mensasa) ausgelobt: »Abraaj Capital is empowering artists (from the region) to play their part in the renaissance of our societies and cultural heritage … Well-functioning societies are not built only on net profit margins, indeed, tolerance, mutual respect, community involvement and free flow of ideas are essential components in addition to economic growth and the arts provide a privileged medium to foster such things.«3 Wenn mit Kunst eine Legitimierungsfunktion verbunden ist (etwa Meinungsfreiheitsplacebo zu sein), dann bedeutet das, dass alle an diesem Bereich Beteiligten die Entscheidungsmöglichkeit haben, dieser Funktion zu gehorchen oder sich ihr zu widersetzen. Dies ist kein voluntaristischer Aufruf zu Boykott oder Intervention (als ob das so einfach ginge), sondern zunächst ein Appell, die Aufmerksamkeit darauf zu richten, dass sich hier ein politischer Raum auftut, der alle Beteiligte, also uns, angeht und zu einer Reaktion auffordert. Es kann auch der Beginn einer Diskussion über ein politisches Selbstverständnis innerhalb der aktuellen Internationalisierung der Kunstsysteme sein, das sich nicht damit begnügen kann, dass alle Regionen in der hegemonialen Welt des Kunstbereichs inkludiert sind. Dieser Transfer von den Rändern in die Zentren ist nicht per se emanzipativ. Ein Beispiel dafür sind die Vereinigten Arabischen Emirate.
Superlativkultur
Im März fand zum zweiten Mal die Dubai Art Fair in dem Hotel-, Shopping- und Konferenz-Komplex Madinat Jumeirah statt, ein privater und diskret bewachter Stadtteil, gebaut im orientalisierenden Stil eines alten Forts. Der Schwerpunkt dieser Messe liegt auf den zeitgenössischen Galerien des mittleren Ostens und Südostasiens. Ihre KäuferInnen sind die neuen Oberschichten aus Russland, Indien, China und den Golfstaaten. Die Art Fair ist Teil eines Zusammenhangs von regionalen wie internationalen Galerien, Biennalen und anspruchsvollen Museumsprojekten. So wie Dubai als der Flughafen-, Finanz-, Gold -, Kreuzfahrt-, Container-, Medien- etc. -Hub gilt, will auch die Messe der »Hub« des zeitgenössischen Kunsthandels für Mittel- und Ostasien sein. Wie jede anspruchsvolle Messe wurde auch diese von einem Think Tank begleitet. Bei der Wahrnehmung des Global Art Forums müssen wir unsere eigene Voreingenommenheit mit beschreiben. Wir sind erst einmal gelangweilt von einer Agenda, die zunächst den Selbstlegitimationen aller Messen gleicht: zwei Tage »Art Patronage in the Business Age«4, auf denen Möglichkeiten von Public Private Partnership und Corporate Collecting erwogen werden, was ja nichts anderes heißt als ein Selbst-Featuring der geladenen Funktionäre aus dem Kultur- und Wirtschaftsmanagement, gefolgt wie beim Kontrapunkt in einer konventionellen Partitur von »Artists in Public Space«, Interviewmarathons von Hans Ulrich Obrist, die immer weißes Rauschen hinterlassen, mit der Kultur Ltd. Ai Wei Wei und der iranischen Künstlerin Monir Shahroudy Famanfarmaian, mit Präsentationen der »Superlabel-Labels« Tony Cragg und Daniel Buren. Dieser Programmpunkt ist verwirrend in einer Stadt, die fast ausschließlich aus privaten Arealen besteht. Anscheinend sind mit diesem Terminus Skulpturen vor Hotel- und Bankenfoyers gemeint. Es ist also dieselbe Verachtung, die wir diesen Sprecherpositionen entgegenbringen, wie wenn wir uns in einem Global Art Forum in Berlin aufhalten, es sind dieselben dummen Floskeln korporativer Selbstapologie, dieselbe Melange aus Geldwäsche und kultureller Philantropie wie in Basel oder Miami. Es sind aber Programmpunkte wie »Building Cultural Cities«5, die zeigen, dass es hier nicht um eine Neujustierung des Public-Private-Partner-Selbstverständnisses in ihrem geschichtlich ausgelegten Bett geht, sondern dass ein gesamtes Kunst- und Kultursystem neu geplant wird. Vielleicht ist unser Erschrecken so kulturpessimistisch wie das jener EuropäerInnen, die Anfang des 20. Jahrhunderts den kulturellen Pioniergeist der USA beobachteten.
Im Nachbaremirat Abu Dhabi sind im Emirates Palace, der sowohl als Luxushotel als auch als Ausstellungsfläche genutzt wird, die für 2012 geplanten Museumsmodelle von Saadiyat Island ausgestellt. Es entsteht eine Dependance des Guggenheim (gebaut von Frank Gehry), des Louvre (Jean Nouvel), ein Theater- und Performancecenter (von Zaha Hadid), ein Maritimmuseum (Tadao Ando) und ein Museum zum nationalen Kulturerbe. Sie werden sich in einem Park mit 19 von jüngeren ArchitektInnen entworfenen Biennale-Pavillons befinden. Das gesamte Vorhaben ist Teil eines ökonomischen Transformationsplans von 175 Milliarden Dollar, in dem das Emirat eine groß dimensionierte Tourismus-, Dienstleistungs- und Finanzökonomie entwickeln möchte. In einem Interview mit der Zeitschrift »Art« behauptet der mittlerweile nur für Abu Dhabi zuständige Guggenheim Direktor Thomas Krens, dass ein Museum in dieser Dimension (30.000 m2) an diesem Ort neu definiert, was ein Museum heute sein könnte: »Es geht ums langfristige Überleben und dauerhafte Relevanz. Wenn wir hier Erfolg haben, können wir eine Plattform für globale Kultur werden«6. Damit schließt er sich jenen in Medien oft formulierten Ängsten an, den Anschluss an globale Superlativkulturen wie China oder die Golfstaaten und damit an historischer Bedeutung zu verlieren.
Wie sieht diese Superlativkultur aus? Der erste Raum der Ausstellung zeigt ein Großporträt des Schirmherrn Sheikh Hamed bin Zayed al-Nahyan mit einem Falken auf der Hand vor dem Entwurf eines Nationalmuseums. Die Modelle in den anderen Räumen werden begleitet mit einem an die Wände geplotteten Masterplan der Consulting Gruppe Booz Allen Hamilton: »A major feature of the Saadiyat Island proposal is the creation of a world class culture district that anchors the island’s tourism activity by providing compelling cultural experiences for tourists and residents.«7 Der Masterplan zählt die Kriterien der Planung auf: internationales Benchmarketing, Studien zum Konsumentenverhalten, demografische Profile usw. Der Fürst mit dem Falken und der Masterplan sind keine institutionskritischen Gesten, sondern eine Affirmation dessen, was schon lange, bevor der letzte Globalisierungsschub seine Diversifizierungsnetze von Ausbeutung über die Welt legte, klar war, nämlich dass der ideale politische Sozius der so genannten freien Marktwirtschaft das autoritäre Regime ist. Im Emirates Palace feiert sich die starke und die unsichtbare Hand, die Rigidität des Ökonomismus und des Regimes, das von der demokratischen Konsensprozedur unbehindert solche Superlativprojekte durchsetzen kann.
Für den Bau von Pyramiden brauchte man Sklaven. Es ist mittlerweile ein allgemein bekannter und permanenter Skandal, dass in den Vereinigten Arabischen Emiraten Arbeitsverhältnisse gelten, die einer Versklavung nahe kommen. Man schätzt, dass zum Beispiel in Dubai von einer Bevölkerung von 4,1 Millionen etwa 90 Prozent WanderarbeiterInnen sind, die meisten aus Pakistan, Bangladesh, Indien, Sri Lanka und den Philippinen. 2005 waren mehr als 600.000 davon als Bauarbeiter beschäftigt, ein anderer Teil ist im Hotel- und Haushaltsbereich angestellt.8 Die Aufenthaltserlaubnis der ArbeiterInnen ist an den Arbeitsvertrag gebunden, ihre Pässe werden bei der Ankunft vom Arbeitgeber eingezogen, die ArbeiterInnen müssen zunächst eine Vermittlungsgebühr und das Flugticket abarbeiten. Sie sind in so genannten Labour-Camps mit unzumutbaren Lebensbedingungen untergebracht. Sie verdienen nach offiziellen Angaben 175 Dollar monatlich (meist wesentlich weniger) in einer Ökonomie mit annähernd denselben Preisverhältnissen wie in Europa. Gewerkschaften und NGOs sind verboten. Die Sicherheit auf den Baustellen ist oft fahrlässig. Die Regierung gab 2006 an, dass es 34 tödlich Verunglückte auf den Baustellen gab. Aber Human Rights Watch schätzt die Zahl um ein Vielfaches höher.9 Seit den großen spontanen Streiks im Herbst 2006 hat die Regierung Mindestlöhne und Sicherheitsvorschriften versprochen, ein Versprechen, worauf man sich in unangenehmen Diskussionen berufen kann.10 Aber das Netzforum für ArbeiterInnen in den VAE, Mafiwasta, liefert viele gegensätzliche Beispiele: »The UAE Ministry of Labour has acted swiftly and decisively … in deporting and handing out lifetime bans to 200 ETA-Ascon workers accused of violence. The workers, who earn between $150 and $177 per month for upwards of 250 hours work, had apparently demanded an increase in basic pay and annual leave with an air ticket. The company offered an increase of 2 dirhams (54 cents) per day and a return ticket every two years. It’s worth repeating that again … The Ministry of Labour, no doubt eager to placate ETA-Ascon, who are run by the powerful Al Ghurair family, have … agreed to compensate ETA-Ascon (consolidated sales for the year 2005, US $3 billion) to the tune of 250 free work permits.«11 Human Rights Watch schrieb Briefe mit der Aufforderung zum Protest gegen diese Arbeitsverhältnisse an den Louvre und an das Guggenheim Museum in New York.12 Beide Institutionen reagierten darauf nicht.
Tellerwäschereschatologie
Das Kompendium »Al Manakh«, auf das wir uns hier öfter beziehen, entstand anlässlich des Internationalen Design Forums im Mai 2007 in Dubai. Im Vorwort entgegnet Rem Koolhaas der Kritik an den Ausbeutungsstrukturen in Dubai: »It is particularly cruel that the harshest criticism comes from old cultures that still control the apparatus of judgment, while the epicentres of production have shifted to he other end(s) of the globe.«13 Die Kritik an einem westlichen Alleinanspruch auf die globale moralische Urteilskraft ist spätestens seit den letzten Interventionen der USA und den verschiedenen Verwicklungen der westlichen Welt in Abschiebungen bis hin zu Folterlagern oder Waffengeschäften evident. Sie führt aber oft dazu, die Forderung der universellen Gültigkeit von Menschenrechten als hegemoniale Einmischung in die Integrität einer anderen Kultur zu verstehen. Aber was ist, wenn »die andere Kultur« sich als eine Etappe in den eigenen Ausbeutungsstrukturen herausstellt, in einem ökonomischen System, das seine Geschäfte auslagert in solche Gebiete, wo die Einhaltung von Menschenrechten keine Behinderung der Profitmaximierung ist? Welche Vogelperspektive muss man einnehmen, um das eigene Gerechtigkeitsempfinden, das ja nicht einfach an- und ausgeschaltet werden kann, sondern eine innere Gewissheit ist, als privates Gefühl zu dekonstruieren? In »Al Manakh« wird ein Universalismus eingeübt, der immun macht gegen die stets unwahre Subjektivität der Empörung. Es ist der Universalismus der Kategoriengleichheit. Die Statistik »How much is a Billion? / Look at relative Value« bringt es fertig, den Lohn eines Bauarbeiters, die Gesamtsumme der Ausgaben der Bauprojekte im Golf und die Kosten des Irakkriegs auf einer Ebene einzuzeichnen.14 Man hätte ein Fernrohr (oder ein Opernglas) und ein Elektronenmikroskop beifügen müssen, um die Dimensionen des Unterschieds adäquat darzustellen. Diese Kategoriengleichheit sagt: »Wir sind alle in gleicher Weise Teilnehmer der Geldzirkulation.« Dies ist unzweifelhaft eine wahre Aussage, aber diese Wahrheit ist so abgeschmackt wie einige Seiten später die Auflistung der Sicherheitsrisiken einer Flucht aus Afrika, deren Lösungsmöglichkeiten von »The eradiation of hunger and malnutrition« über »Learning how to swim« bis zum Bau von Sicherheitszäunen des Unternehmens FRONTEX gehen15 Sie ist so zynisch wie die Bildstrecke »Workers City« über ein Arbeitercamp in Dubai, wo die mangels Kochgelegenheit auf den Hof gestapelten Schüsseln zur kollektiven Küche werden, wo ein Gemüsestand zum Minisupermarkt mit »at least twenty different kinds of fresh produce« wird, wo die Einsamkeit der Männer, die ihre Familien nur alle zwei Jahre sehen dürfen, reformiert wird zu einer »Maleness … counterbalanced with neatness, upkeep, cooking, sewing, soaps, music and friendship«16. In der Welt der universellen Gleichheit besteht nur ein gradueller Unterschied zwischen dem Gemüsestand und dem exklusiven Buffet. Diese bloße Gradualität von substanziell Gleichen ist die Quintessenz der bürgerlichen Emanzipation und ihrer Tellerwäschereschatologie. Sie duldet nur das »und« und das »ist« als wahre Verknüpfung zwischen den Dingen, aber keine Dialektik. Sie zaubert die Entitäten »Das Leben«, »Das Kochen«, »Die Freundschaft« zwischen die Arbeiterlager und The Palm Jumeirah, sie ignoriert die Verdrehung – die Schlaufe des Stricks – dazwischen, die das eine zu Elend und das andere zum miesen Abklatsch eines Seifenopernglücks macht. Sie vergisst die Machtverhältnisse, deren Teil sie ist. Sie muss sich den Vorwurf des Interessenkonflikts gefallen lassen.
Blinde Flecken der Kritik
In der an einem simulierten Hafenbecken nach außen verlagerten Rahmenshow »Desperately Seeking Paradise« des pakistanischen Pavillons auf der Art Fair bezogen sich drei der gezeigten Arbeiten direkt auf WanderarbeiterInnen. Huma Mulji zeigte ein in einen Koffer gepresstes Kamel, als ein Symbol für die Reisesehnsüchte der Pakistanis, Sophie Ernst zeigte Interviews mit pakistanischen ArbeiterInnen über ihre Träume von Amerika, ein Community Projekt zeigte die Ergebnisse eines Fotoworkshops mit ArbeiterInnen: Blumen, Parks und Früchte. Die letzte Biennale im Emirat Sharja unter dem Motto »Art Ecology and the Politics of Change« nutzte die Arbeit der Künstlerin Tea Mäkipää als eine Agenda für ein Zehnpunkteprogramm, das von »Do not fly«, »Avoid any products with plastic packages« bis »Do not produce more than 2 children« reicht.17 Die Biennale wird von einem Regime ausgerichtet, das den weltgrößten ökologischen Fußabdruck hinterlässt. Das letzte Beispiel zeigt, dass der kategorische Imperativ – die Denkbarkeit des eigenen Handelns als allgemeines Gesetz – Machtverhältnisse auf die Befolgung einer persönlichen Ethik minimiert. Die Medien, die mittlerweile auf das »Problem« des Wirtschaftswunders in Dubai aufmerksam geworden sind, schildern die Situation der ArbeiterInnen oft, indem sie ein persönliches Schicksal herausgreifen,18 um den Blick der mit dem verursachenden System vollkommen identifizierten LeserInnen auf das Einzelschicksal emphatisch zu fixieren.
Noch ein letztes Beispiel: In dem Film »Ein Vogelnest fürs Volk« interviewen Christoph Schaub und Michael Schindhelm, der seit März 2008 Direktor der Dubai Culture and Arts Authority ist, die Architekten Herzog und de Meuron zum Bau der Stadions in Peking. Es geht darum, inwieweit es vertretbar ist, überhaupt »in einem undemokratischen, die Menschenrechte missachtenden Land wie China zu bauen … Die Arbeitsbedingungen auf der Baustelle sind hingegen kein Thema.«19 Es ist zu simpel, diesen blinden Fleck als bloße Selbstzensur im Namen der Auftraggeber zu interpretieren. Es scheint Aufgabe der idealistischen Kunst zu sein, den unlösbaren Konflikt der Involviertheit in eine empörende gesellschaftliche Wirklichkeit zu einer universellen Teilnahme am Sein zu beschwichtigen. Sie setzt genau an dieser Stelle den Balken ins Auge, indem sie allgemeingültige Bilder schafft: ein Kamel im Koffer, der Traum von Amerika, ein persönlicher Code of Conduct, das schöne Drama des exemplarischen Schicksals. Diese Universalität verstopft die Kanäle der Kritik präventiv mit Sinn, mit einer prä-stabilisierenden Harmonie, um die Entzweiung, die Kritik produziert, das eigene Alleinsein und seine Unversöhnlichkeit zu verhindern. Diese Universalität steht jener Universalität in der Forderung von Rechten entgegen, weil sie eine Negativität in einer Welt, in der alles ist, was der Fall ist, nicht dulden kann.
Alain Gresh berichtet in einem Artikel zur Geschichte der Sklaverei von der Überfahrt des Schiffs Comte d’Herouville 1766, bei der auf Deck Voltaires Drama »Alzire oder Die Amerikaner« gegeben wird. Das Schicksal der Inka-Prinzessin Alzire affiziert das Publikum als moralischer Aufruf zur Befreiung der Indianer von der spanischen Leibeigenschaft, während im Frachtraum die afrikanischen Sklaven zusammengepfercht liegen.20 Dies erinnert an die Erzählung über Gericaults »Floß der Medusa« und Delacroix’ »Freiheit auf den Barrikaden«, die bei Peter Weiss den Unterschied zwischen operativer und idealistischer Ästhetik demonstriert, wie an eine ganze Tradition marxistischer Kunst- und Literaturtheorie, die die Kritik an den Kategorien bürgerlichen Denkens auf die jeweils aktuelle künstlerische Produktion übertrug21 und deren Avantgardevisionen von der Geschichte blamiert wurden.
Wir sind aber mit gesellschaftlichen Zusammenhängen konfrontiert, die der sorgfältigen Schilderung und Analyse bedürfen, um sie überhaupt intellektuell und emotional begreifen zu können. Wir können uns daran erinnern, dass in diesen blamierten Theorien Instrumente der Analyse stecken, die anwendbar und notwendig bleiben. Mit Recht wurde die marxistische Fetischismuskritik – die Versachlichung sozialer Verhältnisse – auf die Geschichte linker Theorie und ihre politische Epistemologie selbst bezogen.22 Wir haben den Endruck, dass dieser Prozess der Fetischisierung der eigenen Diskussionen aber kein Spezifikum explizit linker Theoriedebatten ist, sondern dass diese Verfestigung zu Argumentationsclustern zur Zeit auch in den Debatten zum Selbstverständnis »globalisierter Kunst« geschieht. In ihr scheinen die Widersprüche so festzustehen, wie Züge in immer wieder aufgeführten Schachpartien: die Scham, ein Unrecht zu thematisieren, das in den Verhältnissen geschieht, deren Teil man ist; die Stellvertreterproblematik-Phobie, die nur die Vertretung eigener Interessen zulässt und Kritik zur regionalen Identität verdammt; der Respekt vor der »anderen Kultur«, die eine nationale Souveränitätsmaske der ubiquitären Ausbeutungsstrukturen ist; das Verkommen ehemals diskutierter künstlerischer Methoden zum bloßen Vehikel unreflektierter politischer Information oder zu einer unerträglich nostalgischen Verklärung der Moderne. Die »globalisierte Kunst«, die Artcenter in Peking, Shanghai oder Moskau, die Museumsbezirke, Messen und Biennalen in Berlin oder Miami finden in Staaten statt, die Teil eines neuen totalitären Kapitalismus sind. Wir alle sind manchmal eingeladen auf diesen Biennalen, wir präsentieren unsere Magazine oder stellen dort aus. Wir sind sogar manchmal große oder kleine Funktionäre darin. Wir sollten beginnen, diese Teilnahme mit allen Konsequenzen bezüglich politischer und künstlerischer Selbstverständnisse konträr zu denken.
Jacques Rancière spricht in seinem Essay »Die Aufteilung des Sinnlichen« davon, dass die Schaffung von Dissens erst einen politischen Raum ermöglicht.23 Darunter kann man eine Ablehnung dieser Gesellschaft, so wie sie ist, verstehen. Es geht aber nicht um die Frage der eigenen Inklusion, sondern um die Veränderung der Gesellschaft. Das Paradox dieses Dissenses liegt darin, dass diese Ablehnung nicht mit einem Verschwinden verbunden ist – in Alternativen, die es nicht gibt –, sondern mit einer Präsenz in dem, was sie ablehnt, und in dem Beharren darauf, dass diese Gesellschaft veränderbar ist. Dieses Bleiben ist eine permanente Zumutung. Es ist auch eine Frage der psychischen Energie, es ist manchmal so anstrengend wie die bleischwere zwangsläufige, repetierende Erzählung eines Alptraums durch Schreien zu unterbrechen.
Nun sind Zeitschriften, Panels und Ausstellungen meistens keine Alpträume. Man sollte in ihnen auch nicht schreien. Dieser Text versteht sich eher als die Unterbrechung einer Routine und als Aufforderung, in der Unterbrechung fortzufahren.
Nachtrag: Am 7. Mai unterzeichneten die Direktoren der Kunstsammlungen Dresden, der staatlichen Museen Berlin und der Bayrischen Staatsgemäldesammlungen ein Abkommen mit der Dubai Culture and Arts Authority über den Aufbau eines Universalmuseums. Die Pressekonferenz fand am 29. Mai statt. Die Museen sollen zunächst die architektonische, technische und logistische Planung, die Ausbildung von Museumspersonal und den Aufbau von einschlägigen Studiengängen übernehmen. Kooperationen mit der Eremitage in St. Petersburg, dem Metropolitan Museum in New York, dem British Museum sind geplant. Das Museum ist Teil des kulturellen Entwicklungsprojekts Khor Dubai. Geplant sind dort ein Opernhaus, zehn Museen, 14 Theater, elf Galerien und neun öffentliche Bibliotheken. 2009 wird ein vorläufiger Ausstellungspavillon entstehen, mit dessen Bau Rem Koolhaas beauftragt wurde. »Hier können Projekte realisiert werden, die dem Gedanken eines Universalmuseums als einem Ort des Weltverständnisses verpflichtet sind.« (Pressemitteilung)
1 Export Dubai. In: Volume / Al Manakh. Hg. v. Ole Bouman, Mitra Khoubrou u. Rem Koolhaas. Dubai 2007, S. 202.
2 »Die Zukunft des Ausstellungsmachens liegt im Kommerz. Dubai ist höchstwahrscheinlich der Ort, an dem dies passieren wird, unter der aufgeklärten Despotie seines Emirs.« Daniel Birnbaum: Dubai. In: Texte zur Kunst, 66, Juni 2007.
3 Frederic Sicre, Executive Director of Abraaj Capital, Ausschreibung, info@mailer.e-flux,15. Mai 2008.
4 Unter anderem mit Peter Aspden, Kunstkritiker, Financial Times; Maria de Corral, Telefonica Collection und Reina Sofia, Madrid; Katherine Gass, Kuratorin im Jumeirah Essex House in New York; Beatrix Ruf, Kunsthalle Zürich; Soichiro Fukutake, Benesse Corporation; Catterina Seia, Unicredit, Mailand; Francesco Bonami, Frances Morris, Colin Tweedy, CEO Art and Business, London.
5 Unter anderem mit Paolo Colombo, Art Advisor, Instanbul Museum of Modern Art; Jemima Mantagu, Director Turquoise Mountain, Kabul; Zaki Nusseibeh, Abu Dhabi Authority for Cultural Heritage; William Wells, Townhouse Cairo.
6 Neues Glück in der Wüste, Interview mit Ute Thon, art, 20. März 2008.
7 Booz Allen Hamilton, in: Volume / Al Manakh, S. 78.
8 »Filipina housemaids … may become a rarity under a Philippine government directive to reduce the number of its women working as domestic helpers overseas, in a bid to reduce labour problems. A majority of labour problems the Philippine Overseas Labour Office (POLO) in Dubai handle, involve housemaids who have run away because of unpaid salary, physical abuse, overwork and contractual disputes.« Nina Muslim, Gulf News, Dubai, 30. April 2007.
9 Building Towers, Cheating Workers, Exploitation of Migrant Construction Workers in the United Arab Emirates, Human Rights Watch Report, 12. November 2006.
10 Wie im großen »Spiegel«-Feature über Dubai im Januar 2008, Rem Koolhaas im Vorwort zum Al Manakh: »There is now the talk of three dimensional legislation, which could define an Arab Existenzminimum and mass-produce it« (S. 7).
11 Mafiwasta, Violence Is A Red Line, 12. März 2007. Die Webseite wurde kürzlich vom halbstaatlichen Provider Etisalat blockiert. »The website was blocked due to several complaints from members of the public about offensive content posted on it.«
12 »The French government should ensure that the reputation of France’s foremost museum is not tarnished by labour violations at the Louvre’s first branch overseas. The French Ministry of Culture should make a public commitment and take all necessary steps to prevent the exploitation of migrant labor at the Abu Dhabi Louvre.« Sarah Leah Whitson, Middle East Director of Human Rights Watch, März 2006.
13 Rem Koolhaas. In: Volume / Al Manakh, S. 7. Er bezieht sich besonders auf einen Artikel von Mike Davis: Fear and Money in Dubai. In: New Left Review 41, Sept./Okt. 2006.
14 Volume / Al Manakh, S. 78f.
15 Ebd., S. 411.
16 Ebd., S. 308.
17 Tea Mäkipää: 10 Commandments for the 21st century, ebd., S. 427.
18 Zum Beispiel bei Jörg Burger: Tod eines Sklaven, in: Die Zeit, 27. April 2008.
19 Andreas Stock:, Vogelnest fürs Volk, in: St. Galler Tagblatt, 12. Februar 2008.
20 Alain Gresh: Lektüren zur Geschichte der Sklaverei, in: Le Monde Diplomatique, dt. Ausgabe, 9. Mai 2008.
21 Peter Weiss: Ästhetik des Widerstands. Frankfurt am Main 1985.
22 Zum Beispiel in John Holloway: Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen. Kapitel 4. Münster 2002.
23 »Konsens ist vielmehr eine Symbolisierungsweise von Gemeinschaft, die das auszuschließen beabsichtigt, was das eigentliche Agens der Politik ist, der Dissens, der nicht einfach nur ein Interessens- oder Wertekonflikt zwischen verschiedenen Gruppen ist, sondern viel weitergehend die Möglichkeit, einer gemeinsamen Welt, eine andere gemeinsame Welt entgegenzusetzen. Der Konsens versucht jeden politischen Konflikt auf ein Problem zu reduzieren, das einem Expertenwissen oder einer Regierungstechnik unterliegt.« Jacques Rancière: Die Aufteilung des Sinnlichen. Hg. v. Maria Muhle. Berlin 2006, S. 96.