Heft 3/2008 - Artscribe


»PUNK – No One Is Innocent«

16. Mai 2008 bis 7. September 2008
Kunsthalle Wien / Wien

Text: Christian Höller


Wien. War es wirklich Malcolm McLaren, auf dessen Manipulationstalent der Ausbruch einer ganzen Jugendkulturrevolte zurückzuführen ist? Haben der Sound und das Erscheinungsbild der Sex Pistols tatsächlich eine Art Nullpunkt gesetzt, von dem aus sich, so vergangenheits- wie zukunftslos, eine Bewegung entfalten konnte, die einzig dem Hier und Jetzt, und das in erster Linie negativ, verpflichtet war? Und hat man diesen Mythos nicht schon unzählige Male gehört – Grund genug, um endlich eine verzweigtere und differenziertere Punk-Geschichte ins Auge zu fassen?
Die letzten Jahre waren nicht gerade arm an Ausstellungen, die dieser Geschichte auf die eine oder andere Art gerecht zu werden versuchten. Den Anstoß dazu mag Greil Marcus’ mittlerweile kanonisches Buch »Lipstick Traces« gegeben haben, dazu kamen ab Mitte der 1990er Jahre diverse Oral Histories, die sich der Rekonstruktion einzelner Punk-Szenen widmeten. Davon ausgehend nahmen Ausstellungen wie »Zurück zum Beton« (2002), »East Village U.S.A.« (2004) oder, ebenfalls auf New York bezogen, »The Downtown Scene« (2006) zeitlich und örtlich abgegrenzte Crossover-Milieus in Augenschein, um das spartenübergreifende, ja sparten-sprengende Punk-Moment darin dingfest zu machen. Andere Unternehmungen wie »Panic Attack! Art in the Punk Years« (2007) gingen von der Gleichzeitigkeit von Musik und bestimmten Arten von Kunstproduktion aus, um mehr oder weniger plausible Verbindungen zwischen beiden zum Vorschein zu bringen.
»Punk – No One Is Innocent«, die jüngste Ausgabe einer Reihe musikbezogener Ausstellungen in der Kunsthalle Wien, versucht gleichsam eine Quadratur all dieser Vorläufer. Die Schau will keine Musik-Ausstellung sein und kommt doch nicht umhin, einen Querschnitt von Punk-Hits der 1970er Jahre durch das Stiegenhaus hallen zu lassen. Ebenso wenig will »No One Is Innocent« reine Kulturgeschichte betreiben, also die Milieu- und gesellschaftlichen Bedingungen aufzeigen, in denen so etwas wie Punk als Bewegung (und nicht bloß als Stilfigur, sei sie modischen oder musikalischen Ursprungs) auftauchen konnte. Zu guter Letzt ist sie aber auch – und das aus guten Gründen – keine ausschließliche Kunst-Schau geworden, obwohl der teils redundante Bilderbogen, den die Fotografien von Mark Morrisroe oder die Großformate eines Salomé herstellen, einen leichten Überhang in dieser Richtung signalisieren.
Am gegenstandsadäquatesten nimmt sich »Punk – No One Is Innocent« an all jenen Stellen aus, wo eine Balance zwischen alltagskulturellen und künstlerischen Aktivitäten zu halten versucht wird, also dort, wo Grafikdesign, Fanzines, »autonome« Bildproduktion, Modeentwürfe, Film- bzw. Video-Beispiele und anderes mehr in einem Austauschverhältnis zueinander erscheinen. Am markantesten ist dies bei den aus Archivmaterialien von Jon Savage und Linder Sterling zusammengestellten Vitrinen, bei der rund um Martin Kippenbergers Berliner S.O. 36-Aktiviät kreisenden Kollektion sowie bei der Artefaktsammlung der Musikerin Gudrun Gut der Fall. Hier verdeutlicht sich, dass Punk weniger als Stil- oder Formelement zu fassen ist denn vielmehr als singulär er- bzw. gelebte Haltung, die quer durch alle Sparten zum Tragen kam.
An anderen Stellen nimmt sich »Punk – No One Is Innocent« ein wenig aus, als wäre der Fokus – in besagtem Quadratur-Bestreben – gleichzeitig zu eng und zu weit geraten. Zu eng, weil die Reduktion auf die drei Schauplätze New York, London und Berlin der in Wirklichkeit viel verzweigteren Punk-Kartografie nur schwerlich gerecht werden kann und einmal mehr den Mythos der vermeintlich hegemonialen Musik- und Stil-Epizentren fortschreibt. Allein für Deutschland wären die Szenen in Düsseldorf oder Hamburg, ganz zu schweigen von Ost-Berlin, dem sich jüngst die Doku »Ost-Punk« gewidmet hat, wohl ebenso aufbereitungswürdig gewesen. Dass in Bezug auf Großbritannien eine wichtige Proponentin der höchst eigenständigen Manchester-Szene, Linder Sterling, unter London firmiert, verdeutlicht selbstredend dieses Dilemma.
Zu eng scheint der Fokus aber auch gewählt, was die (großteils absenten) künstlerischen Genealogien und sozialgeschichtlichen Einbettungen betrifft. Für das Fehlen Ersterer mag Greil Marcus’ umfassende Rückführung auf Dada und Situationismus ausschlaggebend gewesen sein, die man vermutlich nicht ein weiters Mal aufwärmen wollte. Dennoch hätten einige Beispiele – etwa worauf Linders Cut-up-Montagen, die so vorlagenfrei nicht waren, rekurrieren – dazu beitragen können, den künstlerischen und visuellen Eigenwert von Punk erschließen zu helfen. Gleichzeitig hätte es durchaus mehrerer Arbeiten wie der formidablen Fotoserie von Jon Savage über die Betonwüsten des Mittsiebziger-London bedurft, um annähernd nachvollziehbar zu machen, welche Art von urbanem Umfeld zur Ausformung punk-typischer Abwehr- und Negationshaltungen beitrug.
Demgegenüber dehnen Arbeiten wie Johnny Rozsas Fotoporträts von Helden der New Romantic-Bewegung oder auch Richard Kerns Mittachtziger-Sexploitation-Farce »Fingered« den Punk-Begriff ins schier Endlose und lassen jeglichen Bezug zu einem enger gesetzten chrono-topischen Rahmen, wie ihn die Organisation der Ausstellung für sich in Anspruch nimmt, verloren gehen.
Aber vielleicht ist dies gerade die heimliche Strategie der Schau, Punk als ein im Prinzip nicht greifbares Moment auszuweisen, das sich in den unzähligen künstlerischen Nachwirkungen immer mehr zu verflüchtigen beginnt und irgendwann nur noch ein zeichenhafter Abklatsch seiner selbst ist. Aber selbst dazu hätte es nicht unbedingt der x-ten Huldigung von Malcolm McLaren, Vivienne Westwood und ihrer Kings Road 430 bedurft.