Salzburg. Gülsün Karamustafa erläuterte in der Lecture anlässlich ihrer Personale im Salzburger Kunstverein die Methodik des Fragens als wesentliche Komponente. Die Motivation des Fragens als Prinzip ihrer Arbeitsweise macht daher Fragestellungen, die bloß Antworten abpassen, überflüssig. Methodisch gesehen vermag das zu überzeugen, verknüpft doch Karamustafa, die in Istanbul lebt, ihre Recherchen zur Aufarbeitung der politischen Ereignisse in der Türkei auf vieldeutige Weise mit ihrer Biografie. Neben den flüchtigen alltäglichen Beobachtungen bildet der Themenkomplex der Identitätsproblematik vor dem Hintergrund globaler Migration einen in sich unabgeschlossenen Schwerpunkt. Die Techniken der Präsentation und Repräsentation werden zur (Un-)Gleichzeitigkeit der Transformationsprozesse und den unbewussten Transformationsverläufen derart unmittelbar in Beziehung gesetzt, dass die daraus entstehenden Brüche als Zwischenräume spürbar werden. Auch das Interesse an Kitsch und Dekor als Reservoir von Sehnsüchten, die raumzeitliche Sprünge zu klittern vermögen, bewegt sich in diesem Kontext. Der Einsatz von unterschiedlichen Medien wie Malerei, Text, Video und Textilien ist geprägt von der Suche nach einer Kompatibilität zu den tradierten Funktionen, den inhaltlichen Qualitäten der gewählten Ausgangsobjekte und Themen: Differenzen und Kontraste werden ohne Distanzverlust – mitunter auch als partizipatorische Projekte – entwickelt. »Mobile Stages« setzt mit zwei sehr unterschiedlichen Videoinstallationen auf Mode als Medium für feministische Repräsentationsmodelle und sozialpolitische Handlungsformen. Die neueste Videoinstallation »The City and the Secret Panther Fashion« sprengt den Rahmen der Vergleichbarkeit mit den bisherigen Arbeiten durch das an Soaps orientierte Format, in dem die Künstlerin die Selbstkonstruktion des weiblichen Körpers mit ethischen Debatten darüber konfrontiert. Ohne Unterfütterung mit Slapstickelementen reduziert sich die diffizile Thematik auf das Humoreske: So wurden beispielsweise alle Dialoge durch einen erläuternden Text ersetzt. Fünf Frauen, gespielt von professionellen Schauspielerinnen, treffen sich regelmäßig im privaten Rahmen, einem echten Pantherdomizil mit Pantherinterieur, um dort in Pantheroutfits ein eigenmächtiges Rollenverhalten jenseits patriarchaler Unterdrückung durchzuspielen. Kleidung und Interieur sind all-over von Tiger-, Jaguar- und Leopardenmustern überzogen. Die Pressure-Group genießt die Inanspruchnahme und Erweiterung der traditionellen Symbolik, die mit den Raubkatzen Wildheit, Rasanz, Macht und Erotik verbindet. Im pulsierenden Rhythmus der Musik der Istanbuler Band »Baba Zula« probieren Panterellas Gäste Kleider an, schminken sich, posieren vor der Kamera und trinken zwischendurch Kaffee, Ideen für neue Modelle werden ausgetauscht. Es geht dabei jedoch um mehr als einen Modetrend: Mit Radical Chic wird hier Toleranz gegenüber unterschiedlichen habituellen Präferenzen proklamiert. Im Geheimen propagieren die Frauen weibliche Selbstermächtigung, die – beschleunigt durch die vielfältigen Codes der Panther-Fashion – in Zukunft auch im öffentlichen Leben wirksam werden soll. Das Patchwork der diversen Katzenzeichnungen tendiert zu optischen Entgrenzungen. Die disruptive Tarnung wird zum Manifest der Handlung. Referenzen an historische Repräsentationsformen sind nur abstrakt erfahrbar, da Karamustafa eine hybride Radikalisierung der Choreografie im Sinne feministischer Umwertungen betreibt. Mit Konterkarierungen der in der Salonmalerei des 19. Jahrhunderts vorherrschenden patriarchalen Exotismen löst sie kulturell verankerte, monopolisierte Symbolkonzentrate auf. Zwei Anprobekabinen mit einer umfangreichen Kollektion an Panthermode, Perücken und Accessoires fungieren als performative Erweiterung zum Film. Inhaltlich verliert die Arbeit jedoch durch diese Form der Partizipation. Funktionierte das Publikum am Eröffnungsabend das Angebot zu einer quasi kollektiven Karnevalsveranstaltung um, so bewegten sich danach nur mehr einzelne BesucherInnen im Pantherlook durch den großen Saal des Kunstvereins, dort wirken sie schon sehr verloren, ja fast ausgesetzt. In der dreiteiligen Videoprojektion »Tailor Made« (2005) gelang Karamustafa hingegen durch eine präzise strukturelle Bearbeitung eine inhaltliche Erweiterung des 2003 von ihr anlässlich einer Amateurmodeschau gedrehten Materials. Sie radikalisierte das Dokumentationsmaterial zu einer als Demonstration für die Arbeitsrechte von Barsängerinnen und Bauchtänzerinnen am Taksim-Platz veranstalteten Amateurmodeschau filmisch und textlich. Indem sie daran einen eigenen Themenblock über die prekären Arbeitsbedingungen in der Textilbranche anschloss, gelang eine Verknüpfung der Probleme in den unterschiedlichen Bereichen. Oben und unten, gerahmt vom Defilee der Models im Rhythmus der Musik von »Baba Zula«, fällt in der Mitte in Anspielung auf die Handarbeit der Frauen Stoffbahn auf Stoffbahn, die dann nach und nach zerschnitten wird. Darüber läuft der von Karamustafa verfasste, deklamatorische Text, der die miserablen Arbeitsbedingungen in der Textil- und Unterhaltungsbranche thematisiert. Im Gegensatz zu »The City and the Secret Panther Fashion«, wo die Demonstrationsmittel zu sehr den Oberflächen verhaftet sind, um wirksam werden zu können, funktioniert das modulhafte, flexible Konzept von »Tailor Made«, das an die Selbstorganisation und Vernetzungsformen der Prekariatsbewegung erinnert, tatsächlich wie ein Prototyp einer mobilen, erweiterbaren Plattform zur Sichtbarmachung prekärer Arbeits- und Lebensbedingungen.