Heft 1/2009 - Art on Demand


Architekturen des Spektakels

Facetten des Ausstellungsbooms in Südkorea und China im Kontext der Strategie des Globalismus

Anna Schneider


Sidney, Gwangju, Busan, Ghuangzhou, Shanghai, Singapur, Seoul, Yokohama, Taipei, Christchurch – im pazifischen Raum, insbesondere in Asien, fanden im Herbst 2008 zehn Biennalen und andere Großausstellungsprojekte statt. Dieser Marathon anspruchsvoller Ereignisse übertraf bei Weitem die »Grand Tour« vom Vorjahr in den europäischen Städten Kassel, Münster, Venedig und Basel, obwohl schon diese eine Herausforderung an Zeit und Mobilität der Kunstwelt darstellte. Das Ausmaß beider Veranstaltungsserien hat die Kritik, die als Reaktion auf das sogenannte »Biennale Fieber« der 1990er Jahre laut wurde, weiter genährt. Sie äußert Unbehagen über einen zunehmend beliebigen Ausstellungsboom, der nicht selten dieselben Kunststars mit einer sehr speziellen, oft aber ähnlichen medialen Sprache favorisierte.

Diese generalisierende Kritik soll im Folgenden hinterfragt werden. Nicht nur gibt es deutliche Unterschiede bei den Großausstellungen der letzten Jahre, was ihren konzeptionellen Rahmen und ihre Einbettung in die historischen, politischen und soziokulturellen Gegebenheiten der jeweiligen Länder und deren lokalen Strukturen angeht, sondern auch die Form ihrer Präsentation und die argumentative Produktion von Bedeutung durch die ausgestellten Arbeiten differieren stark.

Kontext und Ziele
Die Kulturindustrie spielt eine Schlüsselrolle in der Neudefinition und Identitätsfindung von Staaten, die sich, wie China und Südkorea in den letzten zwei Jahrzehnten, in Transformationsprozessen von großem Ausmaß und Geschwindigkeit befinden. Damit einher gehen die Öffnung nach außen und eine verstärkte Profilierung auf kultureller Ebene. Die Entstehung von Biennalen und anderen Großveranstaltungen im Ausstellungsbereich ist eine Folge davon. Ihre enorme Popularität in diesen Ländern macht es nötig, die Voraussetzungen für kulturelle Produktion zu überdenken und, als Ergebnis, die sie begleitenden Verantwortlichkeiten neu zu organisieren.

Hierbei ist es außerordentlich wichtig, einerseits die unterschiedlichen lokalen Gegebenheiten zu berücksichtigen und andererseits nicht zu übersehen, dass diese sich, gewollt oder nicht, in einem Zustand permanenter globaler Verflechtung befinden und dass das Aufeinandertreffen unterschiedlicher politischer, ökonomischer und sozialer Entwicklungszustände – die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen – große Spannungen erzeugen muss.

Kulturpolitik im Allgemeinen und die Produktion transnationaler Biennalen ganz besonders müssen sich diesem Kontext stellen und ihn nutzen. Sie orientieren sich an zwei Zielen: erstens der Überprüfung und Definition einer zeitgemäßen Identität; dabei werden verschiedene Formen von Zelebrierung, Begegnung, Historisierung, Theoretisierung und globaler Kontextualisierung praktiziert. Zweitens der Stärkung der Sichtbarkeit auf globaler Ebene, um Städte als kulturelle Zentren zu positionieren (häufig weniger entwickelte oder Provinzstädte) und damit BesucherInnen anzuziehen, Prestige zu gewinnen und zur Produktion kultureller Werte und kulturellen Wissens beizutragen.

Die Vision eines »glokalen« Gwangju
Das gilt auf jeden Fall für die Gwangju Biennale. In Südkorea hat Kultur als politische Strategie eine Schlüsselrolle übernommen, um das Defizit an politischem und ökonomischem Einfluss in Asien im Vergleich zu seinen mächtigen Nachbarn China und Japan zu kompensieren. Für Gwangju gilt es, für die Stadt selbst eine unterscheidbare Identität zu entwickeln und sich so von der Hauptstadt Seoul zu emanzipieren.

Deutlich formuliert auch Okwui Enwezor, der künstlerische Leiter der 7. Gwangju Biennale, den engen Zusammenhang zwischen politischer Entwicklung und der Einrichtung der Veranstaltung: »Die Einrichtung der ersten Gwangju Biennale 1995 mit Unterstützung der Regierung in Seoul war der erste Schritt zur Schaffung offener, zivilgesellschaftlicher und kultureller Foren als Indikator für ein stabiles demokratisches Umfeld.«1 Und Gwang Tae Park, Präsident der Gwangju Biennale Foundation stellt in seinem Grußwort anlässlich der Eröffnung der 7. Biennale optimistisch fest: »Diese Leistung macht die Biennale zu einem strategischen Wegweiser für Gwangju auf dem Weg zu einer kulturellen Drehscheibe des Global Village und zur kulturellen Hauptstadt Asiens.«2

Über das strategisch-politische Bewusstsein um die Wichtigkeit einer liberalen Plattform hinaus hat die Gwangju Biennale ihren Gründungsgedanken mit der Erinnerung an das Gwangju-Massaker verknüpft. Der Aufstand vom 18. Mai 1980 stellt ein Schlüsselereignis in der demokratischen Entwicklung Südkoreas dar. Er gilt als ein Beispiel für Selbstermächtigung, als Erfahrung von zivilgesellschaftlicher Einigkeit und Befreiung. Was als Studentenprotest in der im Südwesten liegenden Stadt Gwangju begann, eskalierte zu einem bewaffneten Aufstand der Bevölkerung, der mit brutaler Gewalt vonseiten der Regierungstruppen niedergeschlagen wurde. Während der zehntägige Kampf mit militärischer Unterdrückung endete, waren sein Vermächtnis und seine Auswirkungen von nachhaltiger Signifikanz. Er war das zentrale Ereignis, das die politische Landkarte Südkoreas in den 1980er und 90er Jahren prägte, und sein Vermächtnis, die Minjung-Bewegung, nimmt einen herausragenden Platz im Prozess der Identitätsfindung Südkoreas ein.3

Aus der politischen Minjung-Bewegung heraus entstand in den 1980er Jahren die Stilrichtung der Minjung-Kunst, eine politisch und sozial ausgerichtete Kunstpraxis, die, ästhetisch dem Sozialen Realismus verpflichtet, in den 1990er Jahren die künstlerische Produktion in Südkorea dominierte. Im heutigen Diskurs allerdings wird Minjung-Kunst oft für ihre Überidentifikation mit nationalistischer Nostalgie kritisiert.

Kennt man diesen Hintergrund, dann schwingt bei der expliziten Hinwendung der Gwangju Biennale zu einem »streng globalen, offenen Ausstellungsmodell als einem diskursiven Ort sowohl für das Ausstellungsmachen wie auch für die kulturelle Debatte«4 der Wunsch mit, die kulturelle Identität zu erneuern und dabei nicht in provinziellem Narzissmus zu stagnieren, sondern sich als global zu definieren. Der Anspruch, weder einem vornehmlich nationalen oder asiatischen, noch einem westlichen Ideal zu folgen – Letzteres würde in seinem inhärenten Widerspruch höchstens zu einem zweiten Platz führen –, sondern stattdessen in die Entwicklung von »Globalismus«5 als Strategie zu investieren, ist ein kluger Schachzug, der an Bedeutung gewinnt, wenn man weiß, dass der Südwesten Koreas, in dem Gwangju liegt, lange Zeit in der nationalen Politik und Wirtschaft vernachlässigt, ja sogar vom Machtzentrum als »rebellische Region« kulturell stigmatisiert wurde.6

In der Ausführung der Gwangju Biennale wird deutlich, dass es einen sensiblen Unterschied gibt zwischen dem, was als »westlich«, und dem, was als »global« zu bezeichnen ist. Die Biennale repräsentiert ein Verständnis der heutigen Welt, ja der Geschichte der Moderne selbst, das akzeptiert, dass es unterschiedliche Antworten auf Entwicklungsherausforderungen geben kann, und dass westliche Muster von Modernität nicht die einzig möglichen sind. Shmuel Noah Eisenstadt beschreibt dies mit dem Begriff der »Multiple Modernities«, wozu er ausführt: »Eine der wichtigsten Schlussfolgerungen aus dem Begriff der multiplen Modernen ist, dass Modernität und Verwestlichung nicht identisch sind; westliche Muster von Modernität sind nicht die einzig ›authentischen‹, obwohl sie, historisch gesehen, den Vorrang haben und ein Bezugspunkt für andere Modernen bleiben werden.«7

»Spring« in Gwangju
Dem Diskurs um die Minjung-Bewegung und die Suche nach einer zeitgemäßen ästhetischen Übersetzung für sie wird in der 7. Gwangju Biennale in mehrfacher Hinsicht Rechnung getragen. Neben einer Konferenzreihe, in der das gesellschaftspolitische Erbe der Minjung-Bewegung in interdisziplinärer und teilweise internationaler Besetzung nach seinem heutigen Wert befragt wurde, bemühen sich Teile der Ausstellung um eine progressive Kontextualisierung. So wurden unter anderem die Stände des traditionellen Marktes Daein zum Ausstellungsraum umfunktioniert mit dem Ziel, mehr Diskussion zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten zu provozieren; ein Anliegen, das als Ideal tief mit den Ereignissen des 18. Mais verbunden ist, denn hier kämpften Bildungseliten und ArbeiterInnen gemeinsam um demokratische Freiheit. Das Projekt »Spring« von Claire Tancons ist ein besonders interessantes und innovatives Beispiel dafür, wie in der Gwangju Biennale der Aufstand vom 18. Mai und die Geschichte des Minjung als Referenzrahmen verwendet werden, wie dabei durch den Aufbau eines globalen Rahmens die Gefahr nationaler Sentimentalitäten vermieden wird und die Biennale unter Nutzung ihres spezifischen Kontextes eine eigenständige Form erhält.

Mit »Spring« inszeniert Claire Tancons eine Prozession durch die Innenstadt von Gwangju, bei der Elemente des karibischen Karnevals, der kreolischen Beerdigungsprozession in New Orleans und die Ästhetik politischer Demonstrationen zu einer mobilen Ausstellung verbunden werden. Es entsteht eine hybride Form, die nicht nur die Interkonnektivität der heutigen Welt betont, sondern auch enthüllt, wie aus unterschiedlichen kulturellen Umfeldern stammende Ausdrucksformen sich weltweit gegenseitig anregen, in einen Diskurs miteinander treten und neue Bedeutung in einem neuen lokalen Umfeld erlangen.

Die Strategie Claire Tancons’, den Karneval als eine emanzipatorische Lingua franca zu behandeln, beruht auf der Annahme, dass, anders als beim Spektakel, das nach Guy Debord ein Produkt des Überflusses ist, der Karneval aus dem Mangel entsteht. Sie stützt ihre Argumentation, indem sie darauf hinweist, dass die traditionelle Funktion des Karnevals, nämlich Kritik auszudrücken, in Europa verschwunden ist, während sie in Amerika zu besonderer Blüte kam, und weiters eine Analogie zu Protestmarsch, Demonstration und Aufstand herstellt.

Was den theoretischen Diskurs betrifft, so greift »Spring« Guy Debords Kritik an den kapitalistischen Strukturen moderner Gesellschaften auf und definiert den Karneval mit seiner Affinität zur Groteske als »das Spektakel der Zerstörung, zur Zerstörung des Spektakels«. Das Projekt nutzt dabei das situationistische Ziel, »den Betrachter, der durch spektakuläre Bilder betäubt ist, durch radikale Aktionen in Form der Konstruktion von Situationen aufzurütteln«8. Um das zu erreichen, empfiehlt Debord die Praxis des »Détournement«, der Wiederinbesitznahme von spektakulären Bildern und Sprache, um die Struktur des Spektakels selbst zu unterminieren. Nichts anderes versucht Claire Tancons, wenn sie den Karneval als das »antispektakuläre Spektakel« nutzt.

Strukturfragen: Biennale versus Museum
Die Globalisierung hat den Maßstab und die Geschwindigkeit des Wandels verändert, auch in der Kunstwelt. Das Format Biennale entspricht dieser Entwicklung. Seine Flexibilität passt ohne Zweifel zur Idee des Globalismus, mit seinen durch rhizomatische Netzwerke, vorübergehende Zentrenbildung, Mobilität von Wissen, Akteure, die sich zu zeitlich begrenzten Gemeinschaften zusammenschließen, und fließende Gestalt charakterisierten Strukturen.

Die Biennale als ein agiles Zwitterwesen zwischen Unterhaltung und Bildung fungiert als eine Plattform für innovative künstlerische Ideen und intellektuelle Abenteuer, die mehr und mehr brechen mit dem Erbe ihrer imperialen Taxonomien und sich heute als ein zunehmend transnationales Unterfangen präsentieren. Im Gegensatz zur Institution Museum waren Biennalen ohne Weiteres in der Lage, die Hegemonie des Zentrum-Peripherie-Denkmodells abzustreifen.

Interessanterweise erlaubte das Format Biennale die Entstehung von spezifischen Formen oder besser ästhetischen Formaten, die nicht unbedingt dem gängigen Geschmack der KäuferInnen entsprechen, wie er sich in Messen, kommerziellen Galerien und Auktionshäusern widerspiegelt. Mit der neuen Dimension der Ausstellungen veränderte sich auch die Größenordnung der ausgestellten Arbeiten: In den 1990er Jahren, gleichzeitig mit dem »Biennale Fieber«, explodierte die Produktion von großformatigen Installationen, eine Tendenz zu riesigen kinematografischen Projektionen kam auf, kleinformatige Dokumentationen wurden ersetzt durch großformatige fotografische Animationen, und die Formate von Gemälden nahmen immer theatralischere Dimensionen an. Diese Entwicklung kann als Beweis bzw. als Folge von globalen Mechanismen interpretiert werden, wonach die Biennalen zu Laufstegen für aufstrebende internationale KünstlerInnen geworden sind, die mit vielen um den Zugang zu limitierten Ressourcen wie Museumsausstellungen und -aufträge, Präsentationen durch Mainstreamgalerien sowie Einkäufe von SammlerInnen konkurrieren müssen. Und so scheint der Faktor Größe immer wichtiger zu werden, um die ausschlaggebende Sichtbarkeit zu erreichen. Ähnlich beschreibt Okwui Enwezor seine Erfahrungen: »Angesichts scharfer Konkurrenz führt die Angst vor Namenlosigkeit und Nichtberücksichtigung in Ausstellungen bei vielen KünstlerInnen zu der Annahme, dass, um sichtbar und beachtet zu werden, die räumliche Ausdehnung ihrer Objekte und Bilder mit den globalen Ansprüchen der Ausstellungen selbst korrespondieren muss. Mit anderen Worten, Mega-Ausstellungen brauchen Mega-Objekte.«9

Im Gegensatz zu diesem Trend sollte hier jedoch erwähnt werden, dass nach fast zwei Dekaden explodierender Ausstellungspraxis eine wachsende Zahl von Stimmen nach bescheideneren Äußerungen und mehr Nachdenklichkeit ruft. Es gibt eine Renaissance von subtilen künstlerischen Vorgehensweisen, ephemeren Gesten, intimen Zeichenpraktiken und forschungsbasierteren Arbeiten, die weder darauf spekulieren, ein schneller »Eye-Catcher« zu sein, noch darauf aus sind, die BetrachterInnen mit totalitärer Absolutheit zu überwältigen.

KuratorInnen von Biennalen haben ebenfalls auf diese Bedenken reagiert und angefangen, das Format selbst in ihren Ausstellungen zu thematisieren. Die 7. Gwangju Biennale ist mit Sicherheit ein gutes Beispiel für diese kritische Praxis, genau wie die 28. Sao Paulo Biennale von Ivo Mesquita, der die Zahl der KünstlerInnen drastisch reduzierte und eine ganze Etage leer stehen ließ – als reflexiven Ort der Konfrontation mit wachsenden Herausforderungen.

Trotzdem wäre es unredlich nicht zu erwähnen, dass in den meisten Transformationsländern professionelle Museumsstrukturen, die in der Lage wären, sich am intellektuellen Diskurs der modernen und zeitgenössischen Kunst zu beteiligen, nicht existieren. In einer institutionellen Landschaft, in der lang etablierte, renommierte Sammlungen um wenige auf den Markt kommende moderne Kunstwerke konkurrieren, haben »neue« Akteure, deren finanzielle Grundlage meist nicht mit der für die Erhaltung eines seriösen Museums notwendigen Stabilität garantiert sind, kaum eine andere Chance, als sich auf das Gegenwärtige und damit auf das Momentum in Richtung Biennale einzulassen. Das Format Biennale geht üblicherweise mit einem institutionellen Rahmen zusammen, der ein Maximum an Flexibilität erlaubt – in räumlicher Hinsicht, aber, viel wichtiger, auch in personeller Hinsicht. Die Ideen und globalen Netzwerke, welche immer neue Mitwirkende einbringen, ermöglichen es den »neuen« Akteuren, trotz aller Hindernisse an der Produktion kultureller Werte beteiligt zu sein und Sichtbarkeit zu erlangen.

China und das Spektakuläre
Die gerade beschriebenen, schwierigen Bedingungen für Museen in Transformationsländern gelten auch für China, obwohl dort nach Babara Pollock derzeit 1.200 Museen eingerichtet werden.10 (1977, ein Jahr nach Maos Tod, hatte China etwa 300 befremdliche Museen, gefüllt mit politischer Propaganda.) Die meisten der existierenden Museen operieren nicht nach westlichen Standards. Konkret gesagt bedeutet dies, dass Finanzierungsstrukturen und der rechtliche Status häufig in der Schwebe sind, Bürokratie und Zensur Hürden aufbauen und das Personal keine professionelle Ausbildung hat. In China gibt es keinen rechtlichen Rahmen für die Einrichtung von Non-Profit-Organisationen und keine Steuererleichterungen für Schenkungen an kulturelle Institutionen. Deshalb müssen Museen – sowohl staatlich finanzierte als auch private – ununterbrochen nach neuen Wegen suchen, um Mittel zu akquirieren. Dies kann zu Methoden führen, die in Europa oder USA als illegal oder unethisch angesehen würden. Ein weiteres Problem ist das Fehlen von Trainingsprogrammen für Museumsfachleute wie KunsthändlerInnen, RestauratorInnen, und KuratorInnen, was einen Mangel an Glaubwürdigkeit insbesondere bei internationalen Koproduktionen zur Folge hat.

In diesem Klima wird zu ungewöhnlichen Methoden gegriffen, um die offizielle Kulturpolitik der Regierung und die rechtlichen Turbulenzen, die mit dem Übergang von einer sozialistischen Vergangenheit zu einer kapitalistischen Supermacht verbunden sind, zu umgehen. Ein gutes Beispiel ist Lu Jie, Gründer der Organisation »Long March« (»Langer Marsch«) und schillernde Trickster-Figur in Chinas Kunstwelt mit internationaler Durchschlagskraft. Er verwandelte sein multiperspektivisches und unabhängiges Kunstexperiment, das seine gesamten persönlichen Ersparnisse verschlungen hatte, in eine profitable Organisation mit internationalen Kontakten, die weiterhin auch im Non-Profit-Bereich aktiv ist. Das Projekt, für das Chinas »Langer Marsch« von 1934–1936 den metaphorischen Rahmen gibt, sitzt in dem populären Galeriedistrikt 798 in Peking und beinhaltet heute kuratorische Projekte, einen Verlag, eine Sammlung, eine Dialogplattform, eine superkommerzielle Galerie, Beratungsdienstleistungen, eine Produktionsfirma sowie Trainingsangebote für junge internationale Kunstfachleute. Trotzdem nennt er in seinem Mission-Statement als Beweggründe für sein Tun immer noch die »Diskussion von Idealen des revolutionären Andenkens in einem lokalen Kontext, Zusammenarbeit mit TeilnehmerInnen aus der ganzen Welt, um das historische Bewusstsein neu zu interpretieren und neue Wege der Wahrnehmung politischer, sozialer, ökonomischer und kultureller Realitäten zu entwickeln«11.

Obwohl Biennalen in China eine hoffnungsvolle Plattform zu sein scheinen, um Prototypen für eine Gegenöffentlichkeit (»counter public sphere«) zu entwickeln, bleibt die Einmischung des Staates in kulturelle Belange ein enormes Hindernis. Sie macht eine offene kritische Praxis und damit den Anstoß einer global relevanten Debatte unmöglich. Die Nähe von Kunst und politischer Propaganda, von populärem Spektakel und der Zelebrierung einer neuen nationalen wie globalen Identität ist gefährlich groß in China. Die 7. Shanghai Biennale, angesiedelt am Shanghai Art Museum, ist ein Beispiel dafür.12 Sie wurde von dessen Vizedirektor Zang Qing organisiert, der simultan den Posten des Chefkurators besetzt und dafür Julian Heynen und Henk Slager als internationale Kuratoren an seine Seite holte. Diese Ausgangssituation wirft bereits die Frage auf, ob die zentralen Merkmale des Formats Biennale gegeben sind. Die Veranstaltung ist nicht nur durch die Tatsache gefährdet, dass sie ausschließlich in einem Museum stattfinden muss, sondern auch durch das vorher festgelegte Personal und die Einmischung von offizieller Seite. Dies ist offensichtlich problematisch, da die Biennale weder ihre Standorte selbst bestimmen konnte, noch die intellektuelle Freiheit hatte, die für die Entwicklung einer starken und originellen theoretischen Fragestellung notwendig ist. Zum Thema und Gegenstand der Ausstellung wurde »trans local motion« gewählt, eine Metapher für die sich ständig verändernde Bevölkerung der Stadt, ihr rapides Wachstum in den letzten zwei Jahrzehnten und ihren nicht endenden Strom von MigrantInnen. Sie befasst sich, ähnlich wie die Gwangju Biennale, mit den Auswirkungen von Globalisierung, hier mit Konzentration auf den Kontext von Shanghai. Einer der drei Sektionen ist 25 KünstlerInnen gewidmet, die sich mit dem »People’s Square« (»Platz des Volkes«) befassen. Jedoch ist keine dieser Arbeiten auch nur in der Nähe des Platzes aufgestellt, sondern alle bevölkern dicht gedrängt den ersten Stock des Museums. Eine Präsentation auf dem »People’s Square« wurde schon im Vorfeld von der Regierung erfolgreich verhindert.

Viele der ausgestellten Arbeiten sind von inflationärer Größe und versuchen, die BesucherInnen durch ihre spektakuläre Dimension, Farbe oder Material zu beeindrucken. Wenig Raum bleibt für kritische Gedanken und Reflexion. Und obwohl die Organisatoren der Biennale sich bemüht haben, eine größere Zahl von internationalen KünstlerInnen zu präsentieren (das Verhältnis ist 50:50), bleibt die Shanghai Biennale, verglichen zur Gwangju Biennale mit ihrem explizit globalen Anspruch, ein lokales Ereignis (trotzdem ein sehr erfolgreiches, schaut man auf die schier endlose Schlange um das hoffnungslos überfüllte Museumsgebäude). Einen Ansatz, dies zu erklären, lässt sich im Erbe der chinesischen Geschichte finden, die von extremer Selbstreflexivität erzählt, während Südkorea von der ständigen Durchdringung durch andere Nationen spricht. Chinas in der Vergangenheit vorsätzlich reduzierter Kontakt zu fremden Kulturen, nicht zuletzt wegen der enormen Größe des Reiches, resultiert in einem traditionell nach innen gerichteten Fokus, der niemals viel Freiheit erlaubte. Sich eine Biennale in Peking vorzustellen, die dem Tiananmen-Massaker von 1989 Tribut zollt, dem Beispiel Gwangju folgend mit der Zelebrierung von Minjung als Gegenkultur, ist in dem ungebrochenen politischen System Chinas schlichtweg unmöglich.

Die Tatsache, dass die Kuratoren auf dem einführenden Wandtext nicht einmal erwähnt waren, sehr wohl aber die Sponsoren und der Generaldirektor der Kulturverwaltung Shanghai, spricht für sich. Auch die übertriebene Herausstellung der EXPO, die in Shanghai im Jahr 2010 stattfinden wird, lässt diese Biennale wie eine Imagekampagne für künftige Sponsoren wirken und nicht vermuten, dass es hier zu einem seriösen Diskurs über die Folgen von Migration, Urbanisierung und dem Status von Öffentlichkeit in China kommen könnte. Obwohl diese Themen eindeutig relevant wären in einem China, wo in nur drei Dekaden »generic cities«13 von der Größe von New York oder Paris aus dem Boden gestampft wurden, ohne ein erkennbares Zentrum, ohne eine eigenständige Identität und ohne eine Geschichte, die als ästhetischer Referenzrahmen dienen könnte.

Die Biennale als Materialisierung einer These von der Welt
Die von Rem Koolhaas zu China geäußerten Zweifel daran, dass »site specifity« ausreicht, um ein erfolgreiches städtisches Umfeld zu erzeugen, und dass ein Architekt, der in dieses Umfeld eingreift, eine Meinung davon haben sollte, wie die Welt aussehen sollte,14 dieser Gedanke sollte auch zu einem Credo für KuratorInnen werden, da sie in vergleichbarer Weise Bilder und Vorstellungen von einem Ort schaffen.

Eine Biennale kann dann als geglückt bezeichnet werden, wenn es ihr gelingt, sich mit komplexen Zusammenhängen auseinanderzusetzen, Spannungen zu beleuchten und auszuhalten und sich intellektuell mit Krisen zu konfrontieren. Auf diese Weise kann sie einen Pol im Spektrum der Spektakel bilden. Problematisch wäre es, wenn sie den Rahmen für das Auslöschen eines kritischen Momentums stellte, eine Olympiade der Politik der visuellen Repräsentation, die zwar verführerisch für die Massen ist, jedoch die Tatsache ausblendet, dass die für sich in Anspruch genommene Erfahrung von Moderne, von Progressivität, von Macht, von demonstrativer Freiheit in Wahrheit nichts weiter ist als die Freiheit zu konsumieren.

In diesem Sinne zeigen die beiden Biennalen und die von ihnen präsentierten Arbeiten die heute zur Verfügung stehenden Strategien der Präsentation und enthüllen dabei den Grad an Individualismus, Globalismus und natürlich auch an demokratischer Freiheit, der in den jeweiligen Ländern gegeben ist.

 

Übersetzt von Franziska Donner

 

1 Okwui Enwezor, The Politics of the Spectacle, in: The 7th Gwangju Biennale – Annual Report, Gwangju Biennale Foundation, 2008, S. 32 (Originalzitat: »The first steps toward claiming the political importance of open civil and cultural forums as indicators of a stable democratic sphere were made, with the support of the government in Seoul, by launching the first Gwangju Biennale in 1995.«).
2 Gwang Tae Park, Greeting to The 7th Gwangju Biennale – Annual Report, Gwangju Biennale Foundation, 2008 (Original: »These efforts will no doubt cohere positioning Gwangju as a strategic signpost on the road to becoming the cultural hub-city of the global village and the cultural capital of Asia.«).
3 Gi-Wook Shin, Introduction to: Contentious Kwangju, the May 18 uprising in Korea’s past and present, hg. v. Gi-Wook Shin & Kyung Moon Hwang. Oxford 2003.
4 Okwui Enwezor, The Politics of the Spectacle, in: The 7th Gwangju Biennale – Annual Report, Gwangju Biennale Foundation, 2008, S. 34 (Original: »resolutely global, open-ended exhibition model, as a discursive site for both exhibition making and cultural debate«).
5 Der Unterscheidung zwischen Modernismus und Modernisierung folgend, wurde der Begriff Globalismus von Okwui Enwezor in seinem Essay »Mega Exhibitions and the Antinomies of a Transnational Global Form« eingeführt, um den Unterschied zu beschreiben zwischen prozesshaften Verhandlungen von in weltweite politische und ökonomische Machtstrukturen eingebundenen Systemen, Institutionen und Firmen einerseits (Globalisierung) und der Position von sich um Interkonnektivität, Netzwerke und Vielfalt betonende Ausdrucksformen und kulturelle Partizipation bemühenden Akteuren andererseits (Globalismus). Siehe Okwui Enwezor, Mega Exhibitions and the Antinomies of a Transnational Global Form, in: Other Cities, Other Worlds: Urban Imaginaries in a Globalizing Age. Durham 2009.
6 Sallie Yea, Reinventing the Region: The Cultural Politics of Place in Kwangju City and South Cholla Province, in: Contentious Kwangju, the May 18 uprising in Korea’s past and present.
7 Shmuel Noah Eisenstadt, Multiple Modernities, in: ders., Comparative Civilizations and Multiple Modernities. Leiden/Boston 2003 (Original: »One of the most important implications of the term multiple modernities is that modernity and Westernization are not identical; Western patterns of modernity are not the only ›authentic‹ modernities, though they enjoy historical precedence and continue to be a basic reference point for others.«).
8 Simon Ford, The Situationist International. A User’s Guide. London 2004 (Original: »to wake up the spectator who has been drugged by spectacular images, through radical action in the form of the construction of situations«).
9 Okwui Enwezor, Mega Exhibitions and the Antinomies of a Transnational Global Form. (Original: »for many artists the anxiety of anonymity and failure in the face of stiff competition to be included in the exhibitions has meant that to be visible and noticed calls for the dramatic expansion of the spatial relationship of the objects and images produced to be commensurate with the global ambitions of the exhibition themselves. In other words, mega-exhibitions require mega-objects.«).
10 Barbara Pollack, Making 1200 Museums Boom, in: Art News, März 2008.
11 http://www.longmarchspace.org (Original: »discussing ideals of revolutionary memory in a local context, and collaborating with participants from around the world to reinterpret historical consciousness and develop new ways of perceiving political, social, economical, and cultural realities.«)
12 http://en.shanghaibiennale.org/index.php
13 Nicolai Ouroussoff, The New, New City; in: The New York Times, Architecture Issue, 8. Juni 2008.
14 Ibid., Koolhaas fordert hier »an opinion about what the world should be like«.