Heft 1/2009 - Lektüre
In Billy Wilders Komödie »Das Appartement« (1960) ist es nicht der Titel gebende Raum, der die Narration territorialisiert. Die räumliche Grundlage für die Geschichte des kleinen Angestellten C. C. Baxter (Jack Lemmon), der seine Wohnung an Vorgesetzte und Kollegen verleiht, die dort ihre Geliebten empfangen, ist eine andere: das Großraumbüro der Versicherungsgesellschaft, bei der Baxter arbeitet. Schreibtisch hinter Schreibtisch, eine Zellenstruktur ohne Wände, die »verdienstleistete« Version der Fließbandproduktion, ein Szenenbild, das mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Das Bild ist so typisch für seine Zeit wie diese der Vergangenheit angehört. Wie hingegen Verräumlichungen von aktuellen Arbeitsprozessen aussehen und wie sie dargestellt werden, fragt der von Gabu Heindl herausgegebene Sammelband. Fabrik und Büro des Fordismus mit ihren fixierten Plätzen für massenhafte Subjekte sind abgelöst worden von einer räumlichen und zeitlichen Diffusion: Arbeit findet tendenziell immer und überall und individuell statt und ist von Freizeit kaum mehr zu unterscheiden. Als für Letzteres verantwortlich gelten vor allem die kulturellen Kritiken an der fordistischen Formierung und den daraus gefolgten Umbrüchen.
Im Hotelbett performende Hippies (Ono/Lennon) haben den im Hotelbett arbeitenden Manager-Guru (Tom Peters) antizipiert – diese konkrete These vertritt Andreas Rumpfhuber in seiner Analyse von Peters’ fotografischer Selbstinszenierung. Das medienwirksame Abhängen zu einem bestimmten Zweck (»Frieden«) ist in die Wertschöpfung längst integriert, wie das ganz normale Ausruhen auch. Oder, wie Drehli Robnik es im Anschluss an eine Filmsequenz bei Jacques Tati beschreibt: »Auch Stolpern ist Arbeit.« Robnik gelingt es in seinem glänzenden Aufsatz, die filmtheoretischen Implikationen mit sozialtheoretischen zu verknüpfen: Nicht nur die stolpernden Momente im Film sind Repräsentationen der auf alle sozialen Bereiche ausgedehnten Fabrik. Auch der Film selbst und seine Rezeptionen sind Teil einer »Abendschule affektiver Arbeit«. Hier werden, wie früher in den disziplinarischen Anstalten, Sensorien zur Wahrnehmung des Sozialen aus- und umgerüstet.
Aber solche Grundlagen der Wahrnehmung sind selbstverständlich nicht nur vom bewegten Bild geprägt. Auch die weitgehend unbewegte Umgebung, sprich: Architektur, hinterlässt ihre Spuren auf dem kollektiven Sensorium. Belege dafür liefert Siegfried Mattl in seiner Studie zum städtischen Raum in revolutionären Situationen (Paris 1871, Petersburg 1917, Wien 1934, Mailand 1969). Der Begriff des Postfordismus wird in diesem Kontext auch genauer als »Krise der Städte« bestimmt. Denn hier treffen soziale Differenzen, kulturelle Diversitäten, immaterielle Produktion und flexibilisierte Arbeitsverhältnisse besonders geballt aufeinander und sind kaum mehr – wie noch in modernen/fordistischen Visionen – planbar.
Es ist dem Band überhaupt sehr zugutezuhalten, dass es ihm gelingt, die zeitdiagnostische Signatur des Postfordismus aus den sie prägenden Denkschulen (ökonomische Regulationstheorie auf der einen und bewegungsnaher Postoperaismus auf der anderen Seite) herauszulocken und für eine ungewöhnliche Interdisziplinarität zu nutzen. Diese umfasst sowohl raumsoziologische als auch bild-, medien- und ökonomietheoretische Positionen. Der Text der Herausgeberin zu den Räumen der Autoproduktion – die immerhin Namensgeberin von Zeitdiagnosen und Arbeitsformen wie Fordismus, Toyotismus und Postfordismus ist – stellt inhaltlich eine Schnittstelle für die Beiträge des Buches dar. Er kann aber darüber hinaus auch als Grundlagentext zur gesamten Problematik gelten. Heindl vertritt darin die These, dass die Produktions- und Schauräume der Autoindustrie »uns ein deutliches Bild geben von der Durchdringung von Arbeit und Kunst«. Nicht nur das Soziale und das Kulturelle werden ökonomisch durchsetzt, sondern auch die Ökonomie wird umgekehrt kulturalisiert. Hippieske Soft Skills, auch affektive Arbeit genannt, sind aus der gegenwärtigen Produktion nicht mehr wegzudenken. Wie genau sich daraus aber der jeweilige Raum ergibt, bei dem es sich nie um kontextlos objektiven, sondern immer nur um »relationalen Raum« handeln kann, wie Klaus Neundlinger herausstellt, und wer die Macht hat, ihn herzustellen und wer nicht, wird keineswegs in allen Beiträgen mit gleicher Dringlichkeit diskutiert.
Jack Lemmon alias C. C. Baxter jedenfalls bleibt hinsichtlich der Konstituierung neuer Räume eher passiv. Aber im Gegensatz zu den affektiv Beschäftigten von heute konnte er, wenn auch von der bürgerlichen Doppelmoral mehr angewidert als von Arbeitshierarchie und -alltag, immerhin am Schluss noch kündigen.