Heft 1/2009 - Lektüre
Heute radle ich ins Hotel. So nennen wir die Etage, auf der wir arbeiten. Sie liegt in einem Haus, dessen Abriss schon geplant ist. Auf Widerruf gewährte Räume ohne Zukunft sind billig zu haben. Auch der Rest ist ungewiss, aber wir haben gelernt, uns darin einzurichten. Ungewissheit, Zwischenräume und Fahrräder besetzen in Gerald Raunigs »Tausend Maschinen« Hauptrollen. Auf einem Fahrrad bewegt sich Michel Piccoli im Film »Themroc« jeden Tag zur Arbeit. Als der Fließbandarbeiter eines Morgens Arbeit und Welt den Aufstand erklärt, zu Hause bleibt und das Haus zerlegt, stürzt sein Kollege, der immer noch zur Arbeit fährt, vom Rad, weil er sich nicht mehr wie an zahllosen Tagen zuvor an den synchron Fahrenden anlehnen kann. Die Maschine springt aus der Spur. In unserem »Hotel« gibt es keine gerasterte Zeit, deshalb erwartet auch niemand, er könne sich an jemanden anlehnen, wenn er zur Arbeit fährt. Wir haben uns daran gewöhnt, allein zu fahren, wundern uns deshalb auch nicht, wenn wir allein fallen.
Raunigs kompakter Essay mit dem Untertitel »Eine kleine Philosophie der Maschine als soziale Bewegung« adressiert in erster Linie die in unsicheren Arbeitsverhältnissen Lebenden, welche er im Anschluss an die italienischen Postoperaisten »Prekariat« nennt. Mit dem Ziel der Politisierung dieser durch ihre Vereinzelung unorganisierbar Erscheinenden zieht Raunig Linien von dieser zersplitterten sozialen Bewegung hin zu dem komplexen Maschinenbegriff von Gilles Deleuze und Felix Guattari. Es sind Linien, die sich wiederum verbinden mit Linien zu Flann O’Briens Roman »Der dritte Polizist«, den EuroMayDays oder dem Theater V. E. Meyerholds, in welchem der Körper eine Maschine bilden sollte. Plötzlich muss ich vom Rad absteigen. Polizisten in grünen Plastikrüstungen haben eine Straßensperre aufgebaut, weil dahinter mehrere Tausend Jugendliche eine Kreuzung blockieren. Ich kette mein Fahrrad an und nähere mich den lärmenden Jugendlichen. Rote und schwarze Fahnen, klassischer Autonomenlook, daneben H&M-Uniformen und Schilder, auf denen sie »Reiche Eltern für alle!« fordern. Sie demonstrieren für Verlangsamung, wenden sich gegen das, was bei Raunig »Imperativ des rapidité!« heißt. Sie wollen keine Beschleunigung ihrer Schulzeit, welche um ein Jahr verkürzt werden soll. Langsam fährt ein kleiner Kastenwagen durch die Menge, an ihm hängt ein Transparent, auf dem steht: »Wir sind keine Maschinen!« Ein ähnliches und noch ein anderes Bild zeichnet der Zug, der sich nun hinter dem Lautsprecherwagen bildet. Selbst die vielen Autonomen innerhalb der Demonstration bilden keine Blöcke und Ketten, sie strömen vielmehr wild durcheinander. Kleine Gruppen brechen ständig aus dem Hauptstrom, beginnen bedrohlich auf den Luxuslimousinen am Straßenrand zu trommeln oder stürmen so zielstrebig auf Boutiquen zu, dass sich deren Personal schon mit der Plünderung abfindet, um im nächsten Moment wieder zwischen zahllosen asynchronen Bewegungen zu verschwinden. Was Raunig als bestimmende Begriffskomponenten der Maschine markiert, »Zusammensetzung und Bewegung«, bildet in der »abstrakten Maschine« der Demonstrierenden ein bezauberndes Gefüge aus Wut, Übermut und Libido. Darüber kreisen Helikopter, eine Aufmerksamkeit der Staatsmaschine, die johlend begrüßt wird.
Folgt man Raunigs Überlegungen, fordern die SchülerInnen als zukünftig Prekäre, die sich als SchülerInnen noch an »den Staatsapparat als rasterndes Gefäß« wenden können, ihre Teilhabe am General Intellect, die Bündelung von Wissen zur Optimierung der Arbeitsleistung. Sie wollen Bildung als Zugang zur Handhabung der werklosen Tätigkeit, die sie in Form lebendiger Arbeit an der Maschine teilhaben lässt. Sie sind Teil einer sozialen Bewegung, die Zugang zu einer Zukunft fordert, aber nicht zu den Konditionen der totalitären Maschinalisierung ihrer Menschlichkeit, welche ein immer schneller rotierender Kapitalismus von ihnen erzwingen will. In der Parole dieser sozialen Bewegung oder abstrakten Maschine – »Wir sind keine Maschinen!« – formulieren sich die Wut und Verzweiflung vieler über die Aggression einer kapitalistischen Kriegsmaschine, deren panische Übergriffe gegen das zum Humankapital reduzierte Leben sich immer stärker zuspitzen. Das Gefüge und die Kollisionen der gegeneinander operierenden Maschinen werden darin nicht nur in den schon von Deleuze/Guattari beschworenen Widersprüchen sichtbar, sondern es eröffnen sich darüber hinaus weitere Zwischenräume und Möglichkeiten.
Raunigs um genaue Unterscheidung bemühte Darstellung der Mannigfaltigkeit der Maschine eröffnet hier, selbst in Verbindung mit dem überholt wirkenden Instrumentarium durch die Postoperaisten, überraschende Perspektiven. Dies gelingt auch dadurch, dass Raunig mit dem Fahrrad das Bild einer Maschine gewählt hat, in deren Kräfteverhältnis bei überschaubarem General Intellect viel Mensch das Rad am Laufen hält. Die Maschine der Menschlichkeit bleibt die Kraft »von einem riesigen Etwas, das ihnen Angst macht«, wie die Band 1000 Robota es gerade so treffend besingt. Es sind tausend abstrakte Maschinen, die sich zu wehren beginnen, vollkommen von der falschen Maschine absorbiert zu werden. Sie sitzen in allen Ecken, um monströs zu werden.