Heft 1/2009 - Artscribe


»Artist-Citizen«

Contextual artistic practices

26. September 2008 bis 9. November 2008
49. Oktobersalon / Belgrad

Text: Hedwig Saxenhuber


Belgrad. Seit einigen Jahren leistet sich die Stadt Belgrad für ihre traditionelle Überblicksschau zeitgenössischer Kunst, die vorwiegend der heimischen Szene gewidmet ist, einen Blick von außen. Nach Anda Rotenberg, René Block oder Lóránd Hegyi wurde mit der Nominierung von Bojana Pejic für den jährlich stattfindenden Oktobersalon diesmal eine doppelte Blickrichtung möglich: nämlich der Blick von innen, von einer Zeugin und Mitwirkenden der Geschehnisse und Aktionen im Belgrader Student Kultural Center (SKC)bis Anfang der 1990er Jahre, und der von außen, da Pejic die letzten zwei Jahrzehnte in Berlin verbracht hat.
Den Eingangsbereich des »The May 25th Museum«, das die Belgrader kurz Tito-Museum nennen und das 1961 als Geschenk der Stadt zu Ehren des jugoslawischen Präsidenten Josip Broz Tito gebaut und als Präsentationsort für die offiziellen Geschenke an das Staatsoberhaupt gedacht war, besetzen zwei historische Arbeiten von 1975, eine von Raša Todosijevic und eine von Lutz Becker. Schon hier wird evident, wie nicht nur die Wahl der Ausstellungsorte als konzeptuelles Statement diese doppelte Perspektive der Kuratorin spiegelt, sondern wie sie insgesamt paradigmatisch für den 49. Oktobersalon ist. Todosijevic listet in einer Variante seines Edinburgh Statements »Who makes profit from art, and who gains from it honestly?« Berufe bzw. Eigenschaften auf, die von der Kunst oder für die Kunst Profit machen, und zeigt die Belgrader Kunst der 1970er international auf der Höhe der Zeit.
Die für das deutsche Fernsehen gedrehten »Film Notes« von Lutz Becker (dem hier übrigens von Zoran Popovic assistiert wurde) liefern dazu im Außenblick den Kontext: Die Szene rund um das Student Kultural Center (SKC) wird porträtiert in ihrer regen Auseinandersetzung um einen eigenen neuen Kunstbegriff sowie dem Ringen um das Prinzip einer »sozialistischen Selbstverwirklichung« als Künstler voller Ambivalenzen und Widersprüche. Ignoriert von der offiziellen Kulturpolitik konnten dort Arbeiten entstehen, die im regen Austausch mit internationalen Konzept- und Performancekünstlern wie Chris Burden, Vito Acconci, Art & Language, Nam June Paik, Joseph Beuys u.a. standen und Teil der internationalen, wenn auch unkanonisierten Kunstgeschichte sind.
In der musealen und ästhetisch eindrucksvollen Präsentation im Tito-Museum versammelt Pejic ihre Lieblingsthemen: Feminismus, Konzeptkunst und kritische Repräsentation von nationalen Symbolen. Einige Ikonen der feministischen Kunst sind hier zum ersten Mal in Belgrad zu sehen, wie VALIE EXPORTs »Genitalpanik« (1969) oder Martha Roslers Video »Vital Statistics of a Citizen« (1977), eine dreiaktige Videooper zur Kritik der »Vermessung« des Weiblichen durch eine Wissenschaft, die fast ausschließlich männlich konnotiert war. Von diesen frühen Arbeiten spannt sich ein Bogen zur Gegenwart, etwa zu Sigalit Landau, die in der Videoinstallation »Barbed Hula« (2000) nackt mit einem Stacheldraht als Hula-Hoop-Reifen um ihren Bauch vor der aufgehenden Sonne am Strand von Tel Aviv tanzend zu sehen ist. Landaus Demonstration geht im doppelten Sinne unter die Haut, eine Selbstgeißelung, die an einige Beispiele von Selbstverletzungen der jüngeren Kunstgeschichte erinnert – Günter Brus oder Gina Pane – und gleichzeitig Anklage der politischen Gegenwart in der Region ist. Diese Thematik behandeln auch viele, von Pejic präsentierte Arbeiten jener Künstlerinnen aus dem Territorium des ehemaligen Jugoslawien, die international reüssiert haben, wie Sanja Ivekovic, Maja Bajevic, Šejla Kameric, Danica Dakic, Tanja Ostojic und Milica Tomic sowie die junge aus Priština stammende Nurhan Qehaja, die in einem Video nackt die kosovarische Nationalhymne singt, was u.a. letzten Februar zu einem Zensurakt seitens der Belgrader Polizei und heftigen öffentlichen Debatten mit nationalistischen Untertönen geführt hat. (http://www.kontekstgalerija.org)
Großzügig sind ganz andere »Geschenke« im Tito-Museum präsent: die mittlerweile zu Museumsstücken gereiften Arbeiten der »Old Boys«, welche die »New Art Practice« der
70er geprägt hatten. Filetstücke der konzeptuellen und kommunikativen Praxen wie »International Strike of Artists« von Goran Djordjevic, eine Variante von »Pain« von Mladen Stilinovic, die er an die Erfahrungen des Genozids und Ethnienkonflikts koppelte, Braco Dimitrijevic, Dalibor Martinis, Bálint Szombaty, Gergelj Urkom, sowie eine Neuauflage der Institutionenkritik von Goran Trbuljaks Billboard »Old and Bold I Look for a Gallery«, von 1994. Zoran Popovic’ umfangreiche Darstellung des Arbeitsalltags und der Freizeit seines Bruders und dessen Familie »Worker, Printing Press Operator Miodrag Popovic, on his Life, Work and free Time. 31 years old, 16 years of full-time employment, 1. Mai 1977« ist ein unspektakuläres aber besonders einnehmendes Porträt sozialistischen Alltags.
Aus der Gegenwart argumentiert Pejic an den anderen Venues, die alle im Zentrum Altbelgrads liegen: Im Haus des Legats ist mit diskursiven, dokumentarischen Arbeiten zu den Themen ethnische Konflikte, Bürgerkrieg und den Nachwehen die sicherlich brisanteste Auseinandersetzung mit der postjugoslawischen Gegenwart zu verfolgen. Brisant ist, wie Driton Hajredinis aus Priština in seinem Video »Sünde« (2004) mit verstecktem Aufnahmegerät die erstaunt ausweichende, scheinbar versöhnende und doch hilflose Antwort eines katholischen Priesters auf die in einer Beichte gestellte Frage dokumentiert, ob es denn Sünde sein kann, dass er als muslimischer Albaner im Kosovo geboren wurde.
Die aus Ljubljana stammende und in Belgrad lebende Antea Arizanovic zeigt in der Arbeit »We don‘t kill, we erase« (2003–2008) auf einem ehemaligen Schulfoto das Schicksal derjenigen, die den ethnischen Säuberungsakt in Sloweniens Staatsbürgerlisten nicht überstanden und 1991 als Konsequenz aus den Personenregistern gelöscht wurden und bis heute keine Bürgerrechte mehr besitzen.
Ebenfalls an einer Rekonstruktion des Absenten arbeitet die »Monument Group«, eine seit 2002 bestehende Diskussionsgruppe von KünstlerInnen und Intellektuellen. Damals hatte die Gruppe anlässlich eines von der Stadt Belgrad ausgeschriebenen Wettbewerbes für ein Monument für all jene, die in den 1990ern auf dem Territorium des vormaligen Jugoslawien ums Leben gekommen sind, ihre grundlegende Arbeitsthese formuliert: Monument = Gespräch. Waren viele ihrer früheren Arbeiten der »Faschisierung des sozialen Lebens und der Körper« gewidmet, so ging es der »Monument Group« für den Oktobersalon konkret um den Rest realer Körper, um Diskussionen forensischer Wissenschaftler, die aus den Knochen der Massengräber den Angehörigen die traurige Gewissheit um ihre Vermissten mitteilen können.
Die Diskussionen laufen präzise ab, Täter- und Opferfronten versuchen vorsichtige Annäherungen, was meist dann gelingt, wenn die Wissenschaftler räumliche Distanz zu den Ereignissen haben und auch in einer anderen Sprache als ihrer Muttersprache das meist Unaussprechliche formulieren.
Die Doku von Jelena Radic & Eduard Freudmann zeigt den Sturm der Neofaschisten bei der Eröffnung der Ausstellung »Exception, Contemporary Art Scene of Prishtina« am 7. 2. 2008 in der Kontekst Galerie, die mangels Polizeischutz geschlossen werden musste. Das Muster des Nichteinschreitens der Polizei ist nicht unbekannt, bei der Gay Parade 2001 gab es ebenfalls einen Angriff von einer klerofaschistischen Gruppe auf Demonstranten der Minderheitenrechte.
Umso wichtiger war es, dass Pejic im Belgrader Kulturzentrum Arbeiten rund um ein für Belgrad ebenso virulentes und in dieser Dichte und Präzision vorher hier nie angesprochenes Themenspektrum versammelt zu Vergewaltigung, Frauenhandel sowie zu Queer- und Trans-Genderaspekten: vom DAH teatar, das feministische Solidarität und Traumabewältigung zum Ziel hat, über das Queer Belgrade Collective, dem es um die Manifestation von queeren Positionen in Belgrad geht, bis zu Pauline Boudrys und Renate Lorenz Reinszenierung der Fotografie der im späten 19. Jahrhundert lebenden Engländerin Hannah Cullwick, einem raren Dokument historischer sowie aktueller Genderperformance.
Neben einer, transregional politisch argumentierenden Positionen gewidmeten Präsentation in einem ehemals legendären geschlossenen Badehaus fand die Schau zuletzt im Haus der Dampfschifffahrtsgesellschaft, welches auch die Kontekst Galerie beherbergt, einen weiteren
Höhepunkt. In einem brechtischepischen Singspiel des Moskau/St. Petersburger Kollektivs Chto Delat? werden die Sozialcharaktere der politischen Lager im Nachperestrojka-Russland kurz nach dem Scheitern des Putsches als konstitutiv für die neoliberalen Verwerfungen der folgenden eineinhalb Jahrzehnte vorgeführt – Typologien des Zoon Politicon im heutigen Russland. Hier markiert ein Gegenblick in Pejics jetzige Wahlheimat Berlin die doppelte und mehrfach codierte grandiose Choreografie dieses 49. Oktobersalons: Ulays Meisterwerk – die Entwendung des Spitzweggemäldes »Der arme Poet« aus der Berliner Nationalgalerie und der Einzug in eine Berliner Migrantenwohnung. Politische Kunst darf in beiden Arbeiten auch lustig und aufregend sein. Ein Lehrstück.