Heft 1/2009 - Netzteil


Shop Dropping

Ansätze zur Entweihung von Konsumtempeln

Alessandro Ludovico


Von den zahlreichen Methoden des Culture Jamming sind einige immer noch unterentwickelt und harren nur darauf, ambitioniert genutzt zu werden. Eine dieser Methoden nennt sich »Shop Dropping« und wurde in der Kunst von Ryan Watkins-Hughes auf dem psychogeografischen Conflux Festival 2004 in New York dargelegt. Watkins-Hughes’ Definition lautet: »Unbemerktes Platzieren von Produkten in Schaufenstern. Eine Form des ›Culture Jamming‹, siehe auch umgekehrter Ladendiebstahl, ›droplift‹.« Er platzierte Konservendosen, die er als Markenzeichen mit seinen Fotos versehen hatte, in Kaufhausregalen, wodurch er eine visuelle Störung der typischen Warenlandschaft bewirken wollte.

Allerdings wurde diese Methode bereits vorher von unterschiedlichen KünstlerInnen und KünstlerInnengruppen und zu unterschiedlichen Zwecken angewandt: Man schummelte Eigenwerbung in CDs oder Regale, steckte Visitenkarten oder Werbelesezeichen in Bücher oder stellte den KonsumentInnen ungewohnte Gegenstände vor Augen. Diese radikal experimentellen KünstlerInnen machten das Regal zur Bühne – just in jenem »öffentlichen« Raum, in dem die KonsumentInnen Waren ansehen müssen. Dadurch konnten kontroverse Meinungen einem Massenpublikum an einem attraktiven Ort präsentiert werden. Die erste »überlieferte« Aktion dieser Art stammt aus dem Jahr 1989 von der berühmt-berüchtigten Barbie Liberation Front (die später von der Gruppe RTMark beansprucht wurde). Dank ihrer ähnlichen Bauweise wurden bei »Teen Talk Barbie« und »Talking Duke G.I. Joe« die Stimmen vertauscht, und die Puppen in Verkaufsregalen zum Kauf feilgeboten. Ein plausibles, wenn auch gefälschtes Produkt wurde so mithilfe digitaler Technik geschaffen.

Ganz allgemein gibt der virtuelle (oder abstrakte) Status von Produkten allem, was in ein Regal gestellt wird, einen Wert. Dieser Wert entsteht buchstäblich, indem das Produkt an diesem speziellen Platz ausgestellt wird. Damit kann Kunst physisch unbemerkt in Tempel des Zwangskonsums eingeschleust werden. Die Warenregale dergestalt zu infiltrieren, bedeutet zugleich, sie zu infizieren, die Glaubwürdigkeit kommerzieller Produkte im Konsumtempel zu untergraben. Diese Infiltrierung ist eine politische Handlung, weil sie offensichtlich legal in einen geschützten Raum, der jenem von Werbeplakaten und Anzeigen im Grunde ähnlich ist, eindringen. Die Integrität und Verlässlichkeit dieses kommerziell genutzten Raums wird samt dessen aseptischem Eindruck verletzt. Und zwischen der Herstellung falscher Produkte und der massiven Fälschung von Originalprodukten besteht ein grundlegender Unterschied. Zwar müssen auch sie wie illegale Kopien inoffiziell verkauft werden, doch geschieht dies auf einer »offiziellen« Verkaufsfläche, und zudem existieren die Produkte bloß »in der Fantasie«, sind also selbst Fakes.

Dafür ist das Internet mit seiner wuchernden Fake-Kultur und der nicht endenden Produktion visueller Virtualität verantwortlich. Das Internet ermöglichte auch vielen KünstlerInnen und AktivistInnen, Formen des »Shop Dropping« zu nutzen, um subversive Waren herzustellen und diese mit unversehrtem symbolischem Wert »auf den Markt« zu bringen. Packard Jennings zum Beispiel baute einen anarchistischen Actionhelden, der den Stilvorgaben der meisten klassischen und berühmten Actionhelden entspricht. Diese Figur vertrieb er in Filialen von Target und Wal-Mart in der San Francisco Bay Area und dokumentierte dann die enttäuschten Reaktionen von GeschäftsführerInnen und MitarbeiterInnen.

Das kanadische Institute for Infinitely Small Things wiederum benutzte das Internet zum Absatz von 40 Stück seines »New American Dictionary: Security/Fear Edition« an öffentliche Bibliotheken und Buchläden in Toronto. Bei diesem Buch handelt es sich um ein Kompendium von »Kriegsworten« oder auch Neologismen und neuen Redewendungen aus Tageszeitungen, aus der Kriegsberichterstattung von Regierung und Massenmedien, die allgemein gebräuchlich geworden sind.

Die wahrscheinlich berühmteste »Shop Dropping«-Aktion stammt jedoch von Banksy im September 2006. Mit nur wenigen Kniffen gelang es ihm, eine Parodie der CD »Paris« von Paris Hilton in 48 Plattengeschäfte in ganz Großbritannien zu schleusen. Banksy hatte für diese Parodie nicht nur jede Nummer auf der CD, sondern auch die Titel und die Bilder im Booklet verändert. So konnte er das berühmte Starlet ziemlich lächerlich machen (auf einem der veränderten Bilder hat sie einen Hundekopf). In CD-Regale von Plattengeschäften ist seit Langem ein besonders vorhersehbares Verhalten der KonsumentInnen eingeschrieben, weswegen sie als Symbole für das Verhältnis alten Stils zwischen Industrie und KonsumentIn gelten (Kauf einer Platte im Plattengeschäft). Heute werden sie zwar vom mobilen digitalen Konsummodell bei Weitem übertrumpft, doch bleibt das Plattengeschäft ein (alter) Tempel der Konsumkultur. Mittlerweile wird die CD von Banksy auf eBay um circa 500 Dollar angeboten.

Die Methode des »Shop Dropping« ist für viele KünstlerInnen und KulturarbeiterInnen so bekannt und attraktiv geworden, dass die Anti-Advertising Agency 2007 bereits ein paar Gratisworkshops zum Thema veranstaltet hat. Nun sollte die nächste Frage lauten: Wann können wir »Shop Dropping« auch in Internetgeschäften machen?

http://www.shopdropping.net

 

Übersetzt von Thomas Raab