Heft 3/2009 - Escape Routes
Die Liebe zur Kunst und die Liebe zu linken Ideen gehen häufig Hand in Hand, und verschiedenste Manifestationen dieser Verbindung verlaufen bereits seit über 100 Jahren intensiv. In dieser Zeit hat auch der Kunstbetrieb seine Beziehung gegenüber solchen Praktiken radikal verändert. Hat er sie vor etlichen Jahrzehnten nur widerstrebend zugelassen und wurden sie vor allem im Umfeld fortschrittlicher Verkaufsgalerien vorgestellt, so lässt sie der Kunstbetrieb in den letzten Jahrzehnten nicht nur zu, sondern fördert bzw. hegt sie regelrecht. Vor allem in der schnell wachsenden institutionalisierten Branche der bildenden Kunst wird die Leitung einzelner Unternehmen, Institutionen oder großer Ausstellungen bewusst Personen anvertraut, die dafür Sorge tragen, dass linke politische Debatten möglichst laut und heftig weitergeführt werden.
Häufig findet sich so ein »Kämpfer gegen den Kapitalismus« oder gar ein »linker Aktivist« an der Spitze eines Museums oder einer anderen Kunstinstitution wieder. Nach der Ernennung eines derartigen Direktors verwandelt sich die betreffende Institution in der Regel schnell und wird zu einem Ort intensiver politisch gefärbter Aktivitäten, Ausstellungen, Symposien und verschiedenster Formen des Aktivismus; darüber hinaus schließt sie sich meist schnell und intensiv einem internationalen Netz verwandter Institutionen an. Die Institution wird zu einer Art lokalem Stab, und zwar nicht nur für gleich gesinnte KunstakteurInnen, sondern auch für verschiedenste ExpertInnen, die nicht aus dem Kunstbetrieb stammen – politische SympathisantInnen und AktivistInnen. Dies umso mehr, als die Aktiven – nicht nur die KuratorInnen selbst, sondern auch KünstlerInnen, Vortragende, AutorInnen usw. – dadurch in den Genuss attraktiver Aufträge und Einladungen kommen. Angesichts dieser Umstände ist es verständlich, dass man als ein in dieses System eingebundener Akteur kaum merkt, wie sehr man sich von der politischen Realität immer mehr in Richtung einer künstlichen entfernt und wie eine derartige künstlich geschaffene politische Debatte schnell und gerne mit konkretem politischen Handeln verwechselt wird. Dies vor allem auch deswegen, da einem parallel dazu der Trost zuteil wird, dass linke Ideen ohnedies utopisch sind und man es akzeptieren muss, wenn diese nicht umgesetzt werden, abgesehen davon, dass Utopien gleichzeitig auch schön und poetisch sind.1 Hierzu sagte Hou Hanru in einem Interview: »Bei der Kunst geht es darum, von der Utopie zu träumen. Es geht nie darum, dass diese zur Realität wird. Sollte es passieren, dass die Kunst Teil der Realität wird, ist das großartig. Wenn nicht, können wir immer noch weiter träumen. Ich will damit sagen, dass wir etwas machen, was völlig unbrauchbar ist. Aber währenddessen schaffen wir Vorschläge …«2
Das ist eine Tatsache, und deswegen darf man sich nicht wundern, wenn alle möglichen Konzepte, die auf der Linken aufkeimen und sich daraufhin ihren Weg bahnen, in kürzester Zeit Teil eines künstlichen Wortschatzes und Imaginariums werden, das häufig ins Leere zielt. Ganz zu schweigen davon, wie sich in diesen Kreislauf immer mehr reale Projekte verirren, die im realen Leben mit realen Zielen entstanden sind. Verschiedene Konzepte und Bewegungen, etwa »Sharity« im vergangenen Jahr, »Freeware« in diesem Jahr, »radikales Lernen« im vorvergangenen Jahr, »Copyleft« und die Zapatisten im vorvorvergangenen Jahr etc., finden dadurch einerseits vielleicht tatsächlich so etwas wie Aufmerksamkeit, andererseits werden sie schnell durchschaubar und verlieren ihre Wirkung. Geraten diese Projekte und Bewegungen erst einmal in den Sog dieses künstlichen Universums und beginnt man sie auszustellen bzw. über sie in den Feuilletons zu schreiben, verlieren sie sich schnell in einer Dimension der Wirkungslosigkeit – sie werden gleichsam zu Zombies. In diesem Zusammenhang ist vor allem die Zentrifugalkraft des Mediums Ausstellung kaum zu bremsen: Man kann praktisch alles hineinwerfen, und der Auswurf ist stets derselbe – kultivierte Unterhaltung und potenzielle Verkaufsartikel.
Derartige Konzepte erleben eine zusätzliche Aushöhlung, da sie in einem unangenehmen, aber offensichtlichen Widerspruch zu ihrem Umfeld und dessen Wirken stehen. Denn alle Beteiligten sind sich durchwegs bewusst, dass gerade dieses Umfeld keinen Platz für die Umsetzung radikaler Ideen und Konzepte bietet, die irgendeine unberechenbare Handlung, den Verzicht auf Urheberschaft oder frei erbrachte Leistungen im Dienste der Gleichberechtigung betreffen. Obwohl dieses Netz als Ganzes für jemanden, der als Akteur in den Kunstbetrieb eingebunden ist, nicht völlig verständlich und rational erfassbar ist, ist man sich dennoch bewusst, dass es unausweichlich nach den Prinzipien des Kalküls, Opportunismus, Egoismus und Ähnlichem funktioniert. Und es hat den Anschein, dass in der heutigen Zeit gerade KuratorInnen, die infolge ihrer zentralen Stellung das Tempo des gesamten Umfeldes diktieren, dieser Struktur am meisten unterworfen sind.
In Bezug auf das traditionelle Verständnis künstlerischer und nichtkünstlerischer Berufe zeigt sich, dass KuratorInnen über zwei Systeme sich widersprechender Dispositionen verfügen und von ihnen Gebrauch machen, ja, dass sie zwei grundverschiedenen Ethiken verpflichtet sind. Einerseits stehen sie in ihrer intellektuellen Disposition den KünstlerInnen nahe; KuratorInnen können ähnlich wie diese gut über künstlerische Arbeit reflektieren und diese bewerten. Darüber hinaus sind KuratorInnen kreativ, da Ausstellungen – vor allem thematische – ein auktoriales Ganzes mit einem eigenen Konzept, einer eigenen Auswahl etc. darstellen. Andererseits wird das Wirkungsfeld von KuratorInnen von der Wirtschaft, den Medien usw. penetriert, wodurch eine Disposition gefördert wird, die sie von KünstlerInnen entfernt bzw. traditionell als der Kunst entgegengesetzt verstanden wird. Wenn man Ausschau nach ähnlichen Profilen hält, zeigt sich schnell, dass sie am ehesten jenem von ManagerInnen ähneln.3
Kunst und Management
Um diese Ähnlichkeiten konkreter darstellen zu können, sollen eigene Aspekte und Eigenschaften des modernen Managers nach dem Buch von Luc Boltanski und Ève Chiapello »Der neue Geist des Kapitalismus« kurz rekapituliert werden. Boltanski und Chiapello haben darin unter anderem ein umfangreiches System von Eigenschaften und Tätigkeiten ausgearbeitet, die dem modernen Manager und somit einem Typus eigen sind, der sich in den 1990er Jahren herausgebildet hat und bis heute aktiv ist. Hier sollen vor allem jene Aspekte berücksichtigt werden, an die man denken sollte, wenn man Überlegungen über moderne KuratorInnen anstellt.
Boltanski und Chiapello sehen im Networking das zentrale Existenz- und Arbeitsprinzip des Managements, und die logische Folge dieses Prinzips ist, dass alles geschätzt wird, was der Ausdehnung und Stärkung des Netzes dient, in dem die einzelnen ProtagonistInnen agieren. An die Stelle der kontinuierlichen bzw. lebenslangen Beschäftigung treten die Projektarbeit als anerkannte Form der Arbeit und sämtliche mit ihr verbundenen Eigenschaften – allen voran eine größtmögliche Aktivität, fortwährend neue Projekte zu beginnen oder sich bereits bestehenden anzuschließen, Beziehungen und Freundschaften auszubauen und zu pflegen etc. Ebenso gefragt sind Flexibilität in jeder Hinsicht, die Fähigkeit, Projekte zu wechseln, ein hoher Informationsstand – gute Informiertheit als möglicher Grundstock für einen zukünftigen Erfolg –, Enthusiasmus, Eigeninitiative und größtmögliche Mobilität, wobei die ProtagonistInnen häufig wahre »NomadInnen« sind, die nicht durch Vermögen, Familie usw. an einen bestimmten Ort gebunden sind. Ebenso wird die Fähigkeit verlangt, mit möglichst unterschiedlichen Menschen zusammenarbeiten, Vertrauen gewinnen sowie vor allem kommunizieren und feststellen zu können, welche Verbindungen in welchem Ausmaß zu welchen Menschen sinnvoll sind. Das soziale Kapital stellt innerhalb des Netzes einen bedeutenden Schlüssel zum Erfolg dar, und aus diesem Grund stellt die Entscheidung, wie viel Energie den Einzelnen um einen herum zuteil wird, damit dies einen optimalen Einfluss auf die eigene Karriere hat, quasi eine »große Wissenschaft« dar.
In einem derartigen Netz macht man Karriere, indem eine erfolgreiche Projektarbeit die Beschäftigungschancen der ProtagonistInnen verbessert, die somit immer größeren Projekten, einem größeren Gewinn und immer größerem Ruhm entgegengehen.4 Aus diesem Grund ist es auch nicht sinnvoll, jemanden auf Grundlage eines einzelnen Projektes zu bewerten. Vielmehr muss dies aufgrund des reibungslosen Überganges von einem Projekt zum nächsten erfolgen. Ist dieser Übergang erfolgreich und ist das nachfolgende Projekt noch größer oder bedeutender als das Vorgängerprojekt, ist auch der Protagonist bzw. die Protagonistin erfolgreich. Menschen sind demnach erfolgreich, wenn sie ständig neue Leute kennenlernen oder mit ihnen zusammenarbeiten möchten, während erfolglose Menschen einfach ignoriert werden.5 Daher ist es auch bis zu einem gewissen Grad logisch, dass sich der Einzelne zur Verbesserung seiner Ausgangsposition am Ende eines Projekts die gemeinsam geschaffene Idee, das gemeinsam geschaffene Produkt oder den gemeinsam geschaffenen Text vor allem sich selbst zuschreibt. Erfolg bemisst sich daran, wenn am Ende des Projekts einer einzelnen Person etwas zugeschrieben und das Projekt öffentlich mit ihrem Namen in Verbindung gebracht wird.6
Aus dem bisher Gesagten folgt, dass ein Einzelner, der wohltätigen Konzepten wie »Sharity« oder »Copyleft« zugeneigt ist, in der Welt der Kunst unter den Erfolgreichen keinen Platz finden kann, da er einfach keine Chancen für ein Weiterkommen hat. Im Gegensatz dazu kann dies anderen gelingen, die sich zwar nicht an diese Konzepte halten, sie sich aber auf ihre Fahnen heften. Oftmals wird vorgegeben, engagiert für die Gemeinschaft, die Projektgruppe etc. zu arbeiten, in Wirklichkeit sind die ProtagonistInnen aber darauf bedacht, dies äußerst eingeschränkt und selektiv zu tun. Man leitet zwar verschiedenste Informationen und Kontakte an alle Seiten weiter, behält aber die relevanten Informationen, welche die größten Gewinne, den größten Karrieresprung, den größten Status usw. mit sich bringen, für sich, da man gerade aus dem eigenen Umfeld von jemandem überholt werden könnte, der über eine ähnliche Informations- und Kontaktstruktur verfügt. So sieht man diese ProtagonistInnen bei jeder Gelegenheit etwas verketten, verteilen oder delegieren – man veranstaltet »Gratis«-Events oder verteilt diverse Publikationen –, aber nur aus dem Grund, da diese Dinge in der Ökonomie des Überlebens einerseits entbehrlich sind, andererseits aber den Weg zu neuen Gewinnen ebnen. Der karrierefixierte Akteur ist nicht imstande, irgendetwas umsonst zu tun oder zu geben, und auf seinem Weg zu immer attraktiveren Projekten muss er alles, was sich berechnen lässt, auch zum höchstmöglichen Preis in Rechnung stellen.
Im Gegensatz zur optimistischen Managementliteratur, nach der Boltanski und Chiapello ein Berufsprofil des Managers erarbeitet haben und die selbstverständlich voller Lob für derartige Personen und ihr Umfeld ist, heben die beiden AutorInnen gerade die Grausamkeit eines derart strukturierten Systems hervor, das vor allem die negativen Eigenschaften erfolgsorientierter ProtagonistInnen fördert. Dieses Netz hat neue und noch nicht völlig verständliche Formen der Ausbeutung, die zum Teil von Boltanski und Chiapello auch benannt werden, sowie eine Masse von Ausgeschlossenen zur Folge. Diese bilden aufgrund der Tatsache, dass sie ihre Ausgeschlossenheit als eine Art persönliches Schicksal verstehen, gegen das sie nicht ausreichend angekämpft haben, und nicht als Folge einer gesellschaftlichen Asymmetrie, derzufolge einige auf Kosten anderer erfolgreich sind, keine einheitliche Kategorie oder Gruppe, die in der Lage wäre, für ihre Rechte zu kämpfen. Da es sich sozusagen um eine Gruppe von erfolglosen Versagern handelt, bildet diese Gruppe auch keine konkrete Klasse, kann nicht repräsentiert werden und somit auch keine VertreterInnen ernennen, die für die Gruppe das Wort ergreifen würden, womit die Ausgeschlossenen einfach aus dem Blickfeld der Gemeinschaft verschwinden.7
In einem derartigen System untersteht selbstverständlich auch die Kritik einer hundertprozentigen Kontrolle und verläuft ausschließlich nach vorhersehbaren Bahnen; von einer professionellen Ethik, die über leere Worthülsen hinausginge, kann nicht die Rede sein, ungeachtet dessen, wie selbstverständlich und wie laut die AkteurInnen diese einfordern. Obwohl die Managementliteratur der Berufsethik großen Platz einräumt, ist diese für Boltanski und Chiapello äußerst fragwürdig, da ein derart vernetztes System über keine Parameter, was richtig und falsch ist, und infolgedessen auch über keine Beschränkungsmechanismen verfügt, sodass die professionelle Ethik auf den Schultern der einzelnen ManagerInnen ruht. Der Managementliteratur zufolge müssten ManagerInnen schon aufgrund ihres Ansehens, das sie für ihre Karriere in der Welt der Projekte benötigen, ethisch handeln. Von der Bedeutung der Ethik zeugen auch die verschiedensten Formen von Opportunismus und Schönrednerei, die ManagerInnen entwickeln, um sich ihrer Umgebung in einem möglichst guten Licht zu präsentieren. Dass dies bei Weitem nicht ausreichend ist, um selbstsüchtiges Handeln zu verhindern, sieht man äußerst anschaulich am tatsächlichen und angeblich von der Ethik geleiteten Handeln, dessen Zeuge man in der Zeit der globalen Rezession tagtäglich ist.
Übersetzt von Borut Novinec
1 An dieser Stelle soll auf Harald Szeemann hingewiesen werden, der sagte: »Was schön ist, ist die Tatsache, dass Utopien erfolglos sind. In der Kunst hat der Misserfolg eine poetische Dimension.« (Harald Szeemann, Epilogue, in: The Beauty of Failure, The Failure of Beauty, Fundació Joan Miró. Barcelona, 2004, S. 249).
2 Zitiert nach Beti Zerovc, Kurator in sodobna umetnost, Pogovori, in: Maska, Ljubljana, 2008, S. 143.
3 Davon, dass die Kunst und die Welt der ManagerInnen vielleicht weniger voneinander entfernt liegen als angenommen, zeugen auch die Thesen einiger WirtschaftswissenschaftlerInnen und SoziologInnen, nach denen gerade die Welt der Kunst, für die eine mangelnde Solidarität, ein Leben ohne soziale Sicherheit mit wenigen, aber hoch dotierten Preisen für Auserwählte charakteristisch ist, stark die Entwicklung des modernen Managertums inspiriert hat. Siehe hierzu etwa Robert H. Frank/Philip J. Cook, The Winner-Take-All Society. New York/London 1996 und Pierre-Michel Menger, Portrait de l’artiste en travailleur. Métamorphoses du capitalisme. Paris 2002.
4 Luc Boltanski/Ève Chiapello, The New Spirit of Capitalism. London/New York 2005, S. 92–96 (deutschsprachige Ausgabe: Der Neue Geist der Kapitalismus. Konstanz 2003).
5 »Deshalb kennt diese Welt keine anderen Sanktionen als die Zurückweisung oder den Ausschluss, der jemanden, indem er ihn um seine Verbindungen benachteiligt [...], auf den Rand des Netzes wirft, wo die ›Kontakte‹ wenig und ohne wahren Wert sind. Die ausgeschlossene Person ist jemand, der von anderen abhängig ist, aber von dem kein anderer mehr abhängig ist, den keiner mehr möchte, den keiner mehr aufsucht, den keiner einlädt, jemand, dessen Adressbuch noch voller Namen sein kann, aber sein Name aus den Adressbüchern der anderen verschwunden ist.« (Boltanski/Chiapello, The New Spirit of Capitalism, S. 126) »In einer ›vernetzten‹ Welt lebt jeder somit in ständiger Angst, ausgeschlossen, abgewiesen, auf seiner Stelle von Seiten derer zurückgelassen zu werden, die sich umherbewegen.« (Ibid., S. 364)
6 Ibid., S. 358–359.
7 Ibid., S. 337–338, 354–355.