Ausstellungen über Rockgruppen sind wohl oder übel rund um eine Leerstelle angeordnet, die sich unterschiedlichst auffüllen lässt. Jene Epiphanien, die gemeinhin bei Konzerten oder dem Hören von Tonträgern ausgelöst werden, lassen sich in Museen nur bedingt wiedergeben, und so sieht sich jedes Unterfangen, eine Band im Kunstzusammenhang zu präsentieren, zu Ausweichmanövern gezwungen. Meist besteht dies im Anhäufen von Plattencovern, Postern, Flyern etc., ergänzt durch obligatorische Konzertmitschnitte, welche dem Live-Erlebnis meist nur kümmerlich entsprechen. Die Ausstellung »Sonic Youth etc.: Sensational Fix«, die seit letztem Sommer durch die Stationen LiFE, Saint-Nazaire, das Museion in Bozen, die Kunsthalle Düsseldorf und zuletzt die Malmö Konsthall tourt, hat von vorneherein einen anderen Weg eingeschlagen. Zwar enthält auch sie die unabkömmlichen Cover- und Postergalerien, doch der Fokus ist ungleich weiter eingestellt. So ging nicht nur eine Art konzeptueller Genealogie, die für die Gruppe seit Beginn der 1980er Jahre formativ war, in die Unternehmung mit ein – beispielsweise frühe Performancearbeiten von Dan Graham und Vito Acconci oder Fotografien von James Welling und Richard Kern, die verschiedentlich Blaupausen für Covergestaltungen lieferten. Auch die vielen künstlerischen Neben- und Begleitaktivitäten, die einmal enger, einmal loser an das Werk von Sonic Youth angelehnt sind, finden sich darin wieder. Und nicht zu vergessen Arbeiten, alt wie neu, der Bandmitglieder selbst, was daran erinnert, dass zwei von ihnen (Lee Ranaldo und Kim Gordon) anfänglich aus Kunstzusammenhängen kamen. Alles zusammen lässt, so unüberschaubar vor sich hinwuchernd es auf Anhieb wirkt, auf ein größeres, para- wie transkünstlerisches Phänomen schließen: eine mittlerweile drei Dekaden umspannende Bandgeschichte, durch die ebenso viel künstlerische Aktivität hindurchgegangen ist, wie umgekehrt immer wieder neue, verschiedenste Medien und Sparten umspannende Ansätze aus ihr hervorgegangen sind.
Diesem weit um sich greifenden Flechtwerk, das von John Cage bis zu japanischer Noise-Musik reicht, von wiederzuentdeckenden Fotoarbeiten einer Barbara Ess bis zu den grotesken Collagen einer Marnie Weber, diesem zu Recht ausufernden Kontext geht auch der ziegeldicke Katalogband »Sonic Youth etc.: Sensational Fix« nach. Gegenüber der Ausstellung hat er, bei aller Schwerfälligkeit, die ein 700-Seiten-Buch inklusive zweier 7-Inch-Singles mit sich bringt, durchaus seine eigenen Meriten. Zunächst enthält er zahlreiche Dokumente, die in der Ausstellung keinen Platz mehr fanden oder einzig in den jeweiligen Museumsbibliotheken zugänglich sind – Texte der Bandmitglieder aus teils obskuren Fanzines, Communiqués der Gruppe oder historische Interviews, die in längst vergriffenen Publikationen erschienen sind (etwa ein heute noch lesenswertes Gespräch von Mike Kelley mit Kim Gordon, das 1991 in dem von Peter Pakesch und Johannes Schlebrügge herausgegebenen »Fama & Fortune« publiziert wurde). Ergänzt werden die zumeist als Faksimiles reproduzierten Textflächen durch ausgedehnte aktuelle Interviews mit den vier MusikerInnen, die der Leiter des LiFE in Saint-Nazaire, Christophe Wavelet, initiiert und zusammen mit Paul Sztulman geführt hat. In Kombination ergeben die stundenlangen Gespräche, die zum Teil noch etwas konzisere Redigierarbeit vertragen hätten, eine funkelnde, sich immer wieder überschneidende, aber auch individuelle Bahnen eröffnende Oral History, die umso mehr interessiert, als eine wirklich kompetente Bandbiografie (trotz mehrfacher Anläufe) bis dato aussteht. Schließlich geht eine Reihe von neueren Texten, etwa ein aufschlussreiches Gespräch von Alan Licht mit Jutta Koether, beide aus dem engeren künstlerischen Umfeld von Sonic Youth stammend, dem aktuellen Wertigkeitsgefüge rund um die Gruppe nach. Hier kommt – kompakt gebündelt wie in anderen Beiträgen – das hohe Reflexionsniveau zur Sprache, das die Band bis heute für kritische Ansinnen de facto uneinholbar macht. Zwar mag ihr Sound über die Jahre die eine oder andere Ermüdungsphase erlitten haben, doch hat sich die Gruppe über die fortgesetzte Auseinandersetzung mit ihren eigenen Existenz- und Produktionsbedingungen auf ein Plateau gehievt, auf dem auch ihre Musik immer wieder von Neuem erstrahlt.
»Sonic Youth etc.: Sensational Fix« macht bei aller Unübersichtlichkeit deutlich, dass dieses Plateau aus einer immer noch wachsenden Vielzahl von Kunst-, Theorie-, Sound-, Design- und vielen anderen Splittern besteht. Dem in einer Ausstellung gerecht werden zu wollen, mag vermessen sein. Ihr ein sattes Kompendium wie das vorliegende an die Seite zu stellen, lindert diese Inadäquatheit nicht, gibt ihr aber nochmals einen zusätzlichen (wenn auch nicht unbedingt sensationellen) Dreh.