Heft 4/2009 - Lektüre



Tom Holert:

Regieren im Bildraum

Berlin (b_books, Reihe PoLYpeN) 2008 , S. 73

Text: Petra Löffler


Der Kunsthistoriker und Bildwissenschaftler Tom Holert beschäftigt sich seit Langem mit den Auswirkungen einer zunehmend globalisierten visuellen Kultur auf die Handlungsmöglichkeiten von Subjekten. Der Band »Regieren im Bildraum« versammelt eine Reihe von Aufsätzen, die er in den letzten Jahren in verschiedenen Zeitschriften und Sammelbänden veröffentlicht hat. Holert begnügt sich jedoch nicht damit, sie in Buchform anzuordnen und unter die Klammer einer gemeinsamen Fragestellung zu zwingen. Er hat sich vielmehr die Mühe gemacht, sein wissenschaftliches Schreiben der vergangenen Jahre einer Revision zu unterziehen. Aus dieser Übung ist nicht nur das umfangreiche Einleitungskapitel hervorgegangen, in dem Holert die theoretischen Prämissen seines bild- und kulturwissenschaftlichen Ansatzes darlegt, sondern auch eine merkliche argumentative Stringenz der einzelnen Kapitel. In diesem thematisch vielfältigen wie strukturell durchdachten Buch untersucht er die ökonomischen und politischen Bedingungen von Sichtbarkeit, wodurch die Subjekte bzw. Akteure der Praktiken des Visuellen ebenso hervorgebracht wie (polizeilich) identifiziert bzw. unsichtbar gemacht werden. Unter Bildraum versteht Holert mit Walter Benjamin, von dem er diesen Begriff entlehnt, die Gesamtheit der »Prozesse und Netzwerke, in denen Bilder zirkulieren und Bild-Ereignisse entstehen«, der zugleich »ein Raum politischen Handelns und Verhaltens« von Subjekten ist.
In acht Fallstudien und einem Schlusskapitel erprobt Holert sein theoretisches Instrumentarium. Darin behandelt er ein weites Spektrum bild- und kulturwissenschaftlicher Themen: Es geht um die Wirkungsmacht von Transparenten mit dem Konterfei von Menschen, die weltweit Aufmerksamkeit erlangt haben, und ihr massenmediales Zirkulieren, um die epistemologischen Fallstricke des Einsatzes wissenschaftlicher Bilder in Gerichtsprozessen, um die gewollten und ungewollten Effekte einer Bildpolitik, die das übermächtige Begehren nach dem Bild in der Informationsgesellschaft zu befriedigen suchen, um Bildarchive ebenso wie zweifelhafte Klassifikationen von Bildern und um die mit ihnen verbundene Problematik und Historizität von Wahrheitsprozeduren sowie schließlich um die politische Praxis öffentlicher Körperbilder.
Stets ist Holert bestrebt, die je spezifischen Kontexte zu benennen, in denen massenmedial verbreitete Bilder verwendet werden, und zugleich strukturelle Ähnlichkeiten zwischen den verschiedenen Kontexten und Verwendungsweisen aufzudecken. So erschließt sich zum Beispiel die Ideologie von »photo opportunities«, wie die für die Kamera gestellten Pseudoereignisse genannt werden, durch die PolitikerInnen und Celebritys ihre Publizität positiv zu beeinflussen suchen, erst richtig durch eine Kette von Argumenten, die mehrere Kapitel umfasst. Zunächst beschäftigt sich Holert mit einer PR-Aktion, die George W. Bush im November 2003 angeblich spontan zu einem Truppenbesuch nach Bagdad geführt hat, und mit den unbeherrschbaren Bildakten der Folterfotos US-amerikanischer SoldatInnen aus dem Gefängnis von Abu Ghraib nur wenige Monate später. Diese beiden Bildereignisse werden durch ihren offensichtlichen Inszenierungscharakter vergleichbar: Sie teilen die »Gewöhnlichkeit des Spektakulären«. Holerts Darstellung dieser viel diskutierten Bilder besticht durch die Genauigkeit ihres analytischen Blicks: So erkennt er in dem knipsenden Soldaten, der auf dem Foto des zu PR-Zwecken arrangierten Truppenbesuchs zu sehen ist, nicht nur einen »historischen Akteur des politischen Ereignismanagements«, sondern exakt jene »Pose des fotografierenden Augenzeugen«, die ebenfalls die Folterfotos von Abu Ghraib auszeichnet.
Holert wendet sich dabei dezidiert den neuartigen Gebrauchsweisen von Bildarchiven zu, die durch den massenhaften Einsatz digitaler Kameras und Speichermöglichkeiten entstanden sind. Aus dem knipsenden Zeitzeugen ist unter den Bedingungen einer digitalen visuellen Kultur längst ein »Bildmanager« geworden, »dessen Verhalten schwer auszurechnen ist, der aber immer schon mitmacht«. Im darauf folgenden Kapitel erprobt Holert diesen medienhistorischen Zusammenhang. Am Beispiel eines 2001 lancierten Fotos, das den damals amtierenden Außenminister Joschka Fischer als Polizistenschläger im Frankfurter Häuserkampf von 1973 verdächtig macht, und der selbstreferenziellen Bildpolitik des Weltstars Madonna untersucht er die Wirkmächtigkeit permanent aktualisierter Bildarchive. Seine Überlegungen kreisen dabei immer auch um die Möglichkeit eines Eigensinns der Bilder, um die Grenzen der Kontrollierbarkeit von beabsichtigten Bildwirkungen, um das Unbewusste von Archiven und vor allem um politische Akte der Subversion und des Entzugs von Bildern.
Dies macht sich auch bei der Gestaltung des Bandes bemerkbar. Die einzelnen Kapitel werden nicht illustriert, zwischen ihnen befinden sich stattdessen Bild-Schrift-Collagen, die sich dem jeweiligen Thema zuordnen lassen. Als eigenständige Kompositionen geben sie eine Vorstellung von dem, was Holert unter Bildraum verstanden wissen möchte – die Latenz von Bildereignissen in der globalisierten visuellen Kultur und die daran geknüpfte Notwendigkeit, sie stets von Neuem zu rekonstruieren und einer kritischen Lektüre zu unterziehen mit dem erklärten Ziel, den »Bildraum als Möglichkeitsraum« von Kritik zu besetzen.