Going global. Seit geraumer Zeit ist diese Dimension des Denkens, egal auf welche künstlerischen oder kulturellen Szenarien bezogen, ein fixer Bestandteil des Gegenwartsdiskurses. Dabei bilden Globalität, Globalisierung und Globalismus ein vages Cluster einander überschneidender Ideen, deren tatsächliche Trennschärfe nur selten in den Blick gerät.
Unverzüglich stellt sich, sobald das Wort »global« im Mund geführt wird, eine Reihe von Fragen: Lässt sich in Bezug auf die weltweit vernetzte Kunstszene tatsächlich von so etwas wie einer »globalistischen« Ausrichtung reden? Also nicht bloß von einer der Ausdehnung nach immer mehr Schauplätze erfassenden Kontroll- und Überblicksfunktion, sondern von einer aktiven Förderung, was Austausch, Wechselseitigkeit und Vielfalt betrifft? Oder stellt diese Art der Betrachtung nur eine weitere, vom Westen ausgehende Perspektive dar, der die disparaten lokalen Realitäten nur begrenzt entsprechen? Sind die Import-Export-Szenarien, wie sie in den Kunstszenen unterschiedlicher Kontinente und Regionen vorherrschen, tatsächlich einer ansatzweisen Gleichberechtigung verpflichtet? Oder setzt sich die historisch verankerte Schieflage weiter fort, die selbst bei global ausgerichteten Institutionen wie Biennalen und Kunstgroßausstellungen nur schwer zu überwinden ist?
Fragen wie diese sind nicht aus der Welt zu schaffen, indem man das eigene Denken als immer schon »globalistisch« orientiert ausweist. Vielmehr bilden sie den kontinuierlichen Anstoß, sich mit den Voraussetzungen und Blindheiten des eigenen Vorgehens zu befassen. Die beständige Aufforderung, der vermeintlichen Weltgewandtheit des eigenen Kunst- und Denkanspruches profund zu misstrauen.
Die vorliegende Ausgabe widmet sich diesen Voraussetzungen und Fragestellungen, indem das Potenzial eines ins Positive gewendeten Globalismus einer näheren Betrachtung unterzogen wird. Angelpunkte der Auseinandersetzung bilden dabei regionale Cluster und Einflusssphären, deren besondere Konfiguration im größeren politischen, aber auch lokalspezifischen Zusammenhang beleuchtet wird. Einen Einstieg dazu bieten schlaglichtartige Untersuchungen einzelner Kunstschauplätze im asiatischen und maghrebinischen Raum: So beschäftigen sich Keiko Sei und Toni Maraini eingehend mit den Szenen in Thailand und Marokko, nicht zuletzt um die Trugbilder herauszuarbeiten, die für KünstlerInnen vor Ort in globalen Versprechungen verborgen liegen. Chancen und Defizite, Hoffnungen und Enttäuschungen des globalistischen Diskursansatzes thematisieren auch die Beiträge von Erden Kosova und Nancy Adajania. Geht Kosova der verqueren Positionierung der türkischen Gegenwartskunst inmitten nationalistischer, antikapitalistischer und globalistischer Ansprüche nach, so bricht Adajania eine Lanze für die grundlegende Neuschreibung kultureller Geografien: Nicht die Umkehrung alter Zentrum-Peripherie-Modelle schwebt ihr vor, sondern die multipolare Aufsplitterung in Richtung einer »kritischen Transregionalität«.
Die Idee des Globalismus als aktive, gestalterische Kraft in Bezug auf die häufig als schicksalhaft erfahrene Verhärtung weltweiter Machtstrukturen stark zu machen – dies mag einer der Subtexte vieler hier versammelter Beiträge sein. Dass diese Verhärtung angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise nicht so einfach zu überwinden ist, unterstreicht der Essay von Brian Holmes, der sich einmal mehr mit den kulturellen Fundamenten der wirtschaftlichen Globalisierung auseinandersetzt. Ein Gegenmodell zu dieser fatalen Dynamik versucht Anna Schneider in der »maritimen Wende« gegenwärtiger Kulturvorstellungen zu orten – einer fluiden, wechselhaften, gleichzeitig aber auch historisch-materiellen Basis weltweiter Austauschbeziehungen.
Ein weiterer Aspekt der Globalismusdebatte betrifft schließlich die aktuelle Kunstproduktion selbst: Wie weit ist heutigen Praktiken an einer globalistischen Ausrichtung gelegen – im Unterschied etwa zu ortsbezogenen Verfahren (was keinesfalls im Widerspruch zueinander stehen muss)? Inwiefern ist dies eine von außen, mithin von hierarchisch höher stehenden Playern an die Kunstpraxis herangetragene Forderung, der sich individuelle Ansätze nur bedingt fügen? Fragen dieser Art werden auch weiterhin virulent bleiben. Auf einem dem Thema Globalismus gewidmeten Kongress Ende Februar wird ihnen näher nachgegangen werden (Informationen dazu finden Sie auf der inneren Umschlagseite hinten). AutorInnen dieser Ausgabe werden dabei mit ausgewählten KünstlerInnen und TheoretikerInnen in Dialog treten. Gleichsam als Motto soll die Aussicht bzw. Realisierbarkeit einer »vereinigten« kritischen Kraft, die sich aus weltweit verbreiteten Knotenpunkten speist, über der Veranstaltung stehen.