Heft 1/2010 - Lektüre



Robert Crumb:

Die Genesis

Hamburg (Carlsen Verlag) 2009 , S. 73

Text: Gislind Nabakowski


»The Bible doesn’t need to be satirised. It is already so crazy.«1

Nachdem der amerikanische Künstler Robert Crumb seit 1961 mit Comix wie »Fritz the Cat« oder »Mister Natural« die von LSD und Hippies geprägte Subkultur Kaliforniens um unverwechselbar satirische Figuren bereichert hat, zog er 1991 nach Südfrankreich: Mit 1.690 EinwohnerInnen aus 24 Ländern hat das Longuedoc-Dorf Sauve eine bedeutende Ausländerquote. Seitdem der Comic-Star dorthin mit seiner Familie dem Künstlerfreund Pete Poplaski gefolgt war, ist Sauve um einen prominenten Chronisten reicher. Hier zeichnete Crumb akribisch die engen, typisch mittelalterlichen Gassen. Mit spitzer Feder karikierte er gerne in Restaurants der Umgebung Menschen beim Essen. Vier satirische Bildbände – »Waiting for Food« – geben davon Zeugnis.
In dieser abgeschiedenen Provinz unterstützen Robert Crumb und seine Frau, die Comic-Künstlerin Aline Kominsky-Crumb, ehrenamtlich eine kleine Galerie. Über Plakate und Blogs lud diese zur Signierstunde. Zum normalen Ladenpreis konnten Fans der Region den signierten, neuen »Genesis«-Comic kaufen. Mit dem Erlös will die seit der Finanzkrise kippelige Privatgalerie die Energiekosten zahlen. Vier Landesversionen des Comics wurden präsentiert. Crumb selbst machte keinen Hehl daraus, dass er die amerikanische Version im Druck etwas misslungen findet. Er gibt der sorgfältig edierten französischen Ausgabe den Vorrang. Seine Illustrationen beziehen sich auf das 1. Buch Moses: von der Schöpfungsgeschichte bis zum Einzug nach Ägypten. Mit dem feinen Koh-I-Noor-Rapidografen2 plus Korrekturstift zeichnete er daran vier Jahre.
Während er für die US-Edition, die in zwölf Ländern erscheint, zum größten Teil den Text des Berkeley-Historikers Robert Alter von 2004 nutzte,3 den er vereinzelt mit Zitaten der Thora und der 1611 erschienenen King-James-Bibel versah, dürfte diese Fassung, neben der französischen, bereits wegen des Sprachproblems die einzige sein, bei der Crumb genau weiß, welches Verhältnis sich zwischen den Bildern und Texten auftut. So liegt zum Beispiel der deutschsprachigen Ausgabe leider die verstaubte Luther-Version zugrunde. Zumal die Lizenz für die aufgeräumtere Bibeledition von 1984 nicht erteilt wurde.
Auch wenn viele Szenen in Kenntnis von Cecil B. DeMille und anderen cineastisch aufgefasst sind, weckten große Agenturen bereits falsche Erwartungen, indem sie den Comic vorab als Satire bewarben. Das ist nicht komplett nachvollziehbar. Die Ironie, die wohl im Retrolook der mit Goldschnitt versehenen, ältlichen Aufmachung des wie kaiserzeitlich-deutschen Bucheinbands liegen soll, kann diese Edition nicht vermitteln.
Obgleich Robert Crumb um die Absurdität weiß, dass »Millionen Menschen das Bibelwort für Gottes Wort« halten, ließ er sich speziell von der fabulösen Bildmacht leiten: Mythen, Projektionen, Exzesse, insbesondere selbst übersinnliche Pointen populär darzustellen. Je minutiöser ihm dabei die Historisierung geriet, umso weniger wird alte Subversion sichtbar. Wie oft im humorvollen Genre ist Kritik in Figuren personifiziert: Gott wird zum Ebenbild von Crumbs Vater, der als Mitglied der US-Marine ein »sehr viriles Gesicht hatte«. Diesen Herrgott umgibt die Aura des Hollywoodschönlings Charlton Heston. Auch wie ein beleibter Klon des tatsächlich dürren Künstlers sieht er aus: Selbstironie? Noahs Söhne erscheinen wie die drei legendären Stooges, amerikanische Kurzfilmkomiker, die mit brachialem Slapstick berühmt wurden.
Ein effektvoller Rauschebart ziert den vom Lichtpathos umflirrten Herrgott. Am handfesten Choleriker klären sich strafende und misogyne Seiten. Unterschiedlichste Szenen dampfen tumb zwischen den Kulissen: Adam und Eva treibt eine muskulöse Romanze um. Wie bodenständig persiflierte Hippies machen sich beide mit der Hacke zum Acker auf. Diese geistreiche Replik auf eine Blütezeit des kalifornischen Comics ist am Anfang noch erkennbar. Spätere Szenen mögen womöglich selbst bibeltreue Personen erbauen: eine Bibel für Anhänger und Gegner also? Eine, die sich an die längst fraktionierte Öffentlichkeit wendet.
Zur genderisierten Gottähnlichkeit der Menschen und zur Gewaltförmigkeit des Monotheismus: Reihenweise, grundsätzlich und nicht physiognomisch komisch verkettet der geschickte Zeichenstift dennoch lange Patriarchenchroniken. Um einmal mehr wird somit im ab und an leicht verschrobenen Buch Satire deutlich. Wegen der speziell von Menschen erdachten, essentialistisch tradierten Bibelworte – der wie in manischen Wiederholungen illustrierten Herrlichkeiten: Kampf, Eroberung, Frauenraub, Fortpflanzung, Prokreation und die darauf bezogenen, patriarchalischen Beschwörungen. Darf man daran sehen, wie sich der 66-Jährige – in his own way – in feministische Deutungen einreihte? Das nun auch wieder nicht.

 

 

1 Robert Crumb, in: AFP, Paris, 28. September 2009.
2 Vom Künstler als »archaic tool«, »becoming obsolete« und »really handy, portable drawing tool« bezeichnet. Vgl. R. Crumb, A Dialogue with H. U. Obrist. The Conversation Series. Köln 2007, S. 29.
3 Vgl. A. Platthaus, Genesis-Genese, in: FAZ, 27. Oktober 2009, Nr. 249, S. 33.