Wien. »Gender Check« ist eine historische Ausstellung anlässlich des 20. Jahrestags des Mauerfalls, zugleich aber viel komplizierter. Man kann sie einerseits mit früheren Ausstellungen osteuropäischer Kunst in Zusammenhang bringen, andererseits mit der feministischen Kunst. Nach den Ereignissen 1989 sahen sich Museen nicht nur aufgrund ihrer neuen Interessenlage, sondern auch wegen dem nun möglichen Zugang zu neuem Material auch in der Kunst aus der Region Osteuropa um.1 Die resultierenden Ausstellungen gingen der Kunst jenes anderen Europas nach, aber sie »[…] änderten nichts an der herkömmlichen Kunstlandkarte, sondern artikulierten, schlimmer noch, nicht einmal, dass solche Änderungen nun möglich waren«, wie Piotr Piotrowski schreibt. 2009 schließlich erinnerten gleich mehrere Ausstellungen an die politische Wende. Darunter waren »Two Germanys« und »1989«. Die eine suchte nach Parallelentwicklungen in West und Ost, die andere zeigte bereits etablierte KünstlerInnen, darunter auch welche aus Osteuropa. »WACK!« oder »Global Feminism« wiederum setzten den Akzent auf die längst überfällige Würdigung der feministischen Kunst, und obwohl die Ausstellungen Künstlerinnen aus dem ehemaligen Osteuropa nicht völlig ignorierten, fehlten ihnen doch lokale Perspektiven und Kontexte. Trotz dem gesetzten Ziel, den Wirkungsbereich der Kunstwelt auszudehnen, bewirkten weder die Osteuropa- noch die Feminismusausstellungen eine merkliche Änderung der Beziehung zwischen Kunst und Macht. Ebenso wenig unterzogen sie die Verbindungen zwischen westlicher und östlicher Kunst einerseits sowie dem Feminismus andererseits einer Revision.
Die Kuratorin von »Gender Check« ist die in Berlin lebende, serbische, feministische Kunsthistorikerin Bojana Pejic. Sie geht von Gendertheorie und Geopolitik gleichermaßen aus. Schon zu Beginn einer ihrer Vorträge auf dem zweitägigen Symposium zur Ausstellung stellte sie klar: Wo eines der Wahlplakate der konservativen CDU die deutsche Wiedervereinigung symbolisch als glückliche Ehe zeigte, gab es wohl kaum Zweifel daran, wer hier Mann und wer Frau wäre. Natürlich war der Westen der Mann und der Osten die Frau.
Gender als Folie für die Untersuchung der Kunst aus Osteuropa zu verwenden, birgt ein Risiko. Denn Gender ist in den postkommunistischen Staaten immer noch ein heikles Thema, über dessen Bedeutung Verwirrung herrscht. Immer noch wird der Vorwurf laut, dass das ganze Interesse an Genderfragen bloß einem Theorieimport aus dem Westen geschuldet sei. So wies Pejic darauf hin, dass auch viele der ausgestellten Künstlerinnen das Etikett »Gender« nicht akzeptierten, weil es ihnen »zu restriktiv« wäre.2 Andererseits ist »Gender« jedoch oft ein guter Ausdruck, um die wirklich »bösen« Worte Feministin und Feminismus zu umgehen.
Darüber hinaus besteht noch eine weitere Gefahr. Der Kampf gegen den gemeinsamen Feind – die kommunistische Ideologie, das Regime, die Zensur – wurde im Staatssozialismus von Frauen und Männern geführt, was natürlich, insbesondere im Rückblick, als heroisch gewertet werden kann. »Gender Check« vermeidet diese Heroismusfalle dadurch, dass sich die Ausstellung von heldInnenhaften Widerstandsfiguren weg- und dem Verborgeneren zuwendet. Dies geschah auf dreierlei Art: Gender wurde als Deutungsmethode angewandt, offizielle und dissidente Kunst wurde nicht getrennt und heroische männliche Subjektivitäten wurden mit einbezogen. Die Genderperspektive ermöglicht es, die Interpretation der Kunst einschließlich der angeblich geschlechtsneutralen Neoavantgarde der 1970er- und1980er-Jahre zu dekonstruieren. Ähnlich komplex wird das Verhältnis von Öffentlichem und Privatem dargestellt. Nicht nur Frauen haben nämlich über das Politische ihres Privatlebens nachgedacht, sondern auch Männer. Anstelle des heroischen Männerkörpers, der als Machtsymbol firmiert, fehlt es dem neu verstandenen (nackten) Männerkörper an jederlei Macht, hat er sich doch, ob freiwillig oder nicht, ins Privatleben zurückgezogen. Und das ist der wegweisende Teil von »Gender Check«, die ein Verfahren wieder aufnimmt und Themen, die während des Kalten Kriegs verdeckt oder falsch aufgefasst wurden, einer Neubewertung unterzieht.
Die Ausstellung ist nicht chronologisch, sondern nach Themen gegliedert. Dadurch wird verhindert, dass die Vergangenheit wie ein »fremdes Land«, das entrückte »Andere« im Gegensatz zum Jetzt erscheint. Es gibt klar ersichtliche Analogien und leicht verständliche Themenbereiche wie Arbeit oder Emanzipation und Unbehagen. Dennoch bestehen zwischen den 24 bearbeiteten Ländern Unterschiede, und zwar sowohl, was ihre kommunistische Vergangenheit, als auch was ihren »jungen Kapitalismus« von heute betrifft. Für die BesucherInnen aus den ehemals sozialistischen, aber auch aus anderen Ländern wären mehr Zusatzinformationen über die lokalen Zusammenhänge also von Not gewesen. Schließlich wäre dies die Gelegenheit gewesen, die osteuropäische Kunst unter verschiedensten Blickwinkeln begreifbar zu machen. Umso mehr fehlten diese Informationen, als die Kuratorin schließlich die sogenannten Stars der osteuropäischen Kunst nicht besonders hervorgehoben hatte, was im Übrigen sehr erfrischend wirkte. Ohne diese differenzierte Kontextinformation scheint es jedoch, als sollten die ausgestellten Werke für sich selbst sprechen, was einer schon oft kritisierten modernistischen Einstellung gleichkommt, der die sonst thematisch und theoretisch so versierte Ausstellung eigentlich fernsteht.
Wien möchte eine Schnittstelle oder Brücke in Europa sein, und die Erste Stiftung, Sponsorin der Ausstellung, brachte ihre finanziellen Mittel ein, um der Kunst des ehemals sozialistischen Osteuropas Stimme und Sichtbarkeit zu verleihen. Das ist der institutionelle Rahmen der Ausstellung, und er lässt die momentane historische Lage deutlich zutage treten. Die osteuropäischen Staaten hätten nämlich eine Ausstellung dieser Größenordnung samt den vorangegangenen jahrelangen Recherchen nicht finanzieren können. Bojana Pejic hat eigens ein Netzwerk aufgebaut und neue Forschungen angestoßen. Der Katalog ist eine Aufsatzsammlung hervorragender WissenschaftlerInnen aus der Region, die sich mit äußerst spezifischen, ja »fortgeschrittenen« Genderthemen beschäftigen mussten, weil sie erst einen noch nicht existenten Kanon definieren mussten. Man wartet bereits gespannt auf den in Arbeit befindlichen Reader mit Grundlagentexten und älteren Forschungsergebnissen. Aufgrund der Genderperspektive bedeutet diese Ausstellung nämlich einen Wendepunkt weg von der altbekannten Gegenüberstellung von offizieller und dissidenter Kunst. Sie zeigte kaum bekannte KünstlerInnen und legte Zeugnis von der Notwendigkeit ab, die Geopolitik der Kunst und der Gendertheorie neu zu überdenken. »Gender Check« beweist, dass eine Theorie, die auf Basis der westlichen Kunst entstanden ist, kritisch befragt werden kann. Zugleich konnten die lokalen Kunstgeschichten Osteuropas in einem neuen, transnationalen Licht betrachtet werden. Und das sind erste Schritte auf dem Weg zu einer Änderung der Kunstlandkarte.
1 Piotr Piotrowski, In the Shadow of Yalta. Reaktion Books. London 2009, S. 11–33.
2 Gender Check: Femininity and Masculinity in the Art of Eastern Europe. Ausstellungskatalog. Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien 2009, S. 23.