Heft 3/2010 - Lektüre
Wird das Schokoladeessen der Bridget Jones überinterpretiert? Die Übersprung- und Frusthandlungen der Filmfigur Anfang 30 auf der Suche nach dem Traumtypen stehen im Mittelpunkt eines Kapitels von Angela McRobbies neuem Buch. Darin untersucht die britische Kulturtheoretikerin neue Formen der Geschlechterkonstitution. Ihre Aufmerksamkeit gilt dabei der spezifischen Herstellung von Geschlecht mit den Mitteln populärkultureller Medien (wie Frauenzeitschriften und Fernsehen) und unter den Bedingungen neoliberaler Ökonomie. Was aber haben fanatische Privatisierungen und Deregulierungen, die gemeinhin als Neoliberalismus bezeichnet werden, mit dem Süßigkeitenkonsum einer gebildeten, jungen, selbstreflexiven Mittelschichtsfrau aus einem Kinokassenschlager zu tun?
Die britischen Cultural Studies hatten es sich vor einigen Jahrzehnten zur Aufgabe gemacht, auch alltägliche Praktiken, die vermeintlichen Kleinigkeiten im routinisierten Handlungsgefüge, auf ihre politischen Potenziale hin abzuklopfen. Viele der Ermächtigungsszenarien, die daraus entstanden waren, sind weitgehend Szenarien geblieben, also politisch enttäuscht worden. Bleibt man aber der Methode treu und streicht die normative Aufladung, das heißt die mit den Alltagshandlungen verbundenen emanzipatorischen Hoffnungen etwas zusammen, dann entsteht zeitdiagnostisch nach wie vor durchaus Aufschlussreiches.
Glücksvorstellungen, Zukunftsperspektiven, Handlungsstrategien – alles, was Bridget Jones verkörpert, folgt extrem traditionellen Geschlechterklischees, obwohl sie als partyaffine Single-Frau kein traditionelles Leben lebt. Und gerade weil sie für hedonistische Individualität und traditionelle Werte gleichermaßen steht, ist Bridget Jones die perfekte Repräsentation des neoliberalen Geschlechterregimes: aktiv, selbstreflexiv aber antifeministisch. Relevant sind ihre Nasch- wie Unterwäschepräferenzen insofern, als sie, in populärkulturellen Medien verbreitet, die Interpretationsmodi der sozialen Welt prägen, also das erzeugen, was als »gesunder Menschenverstand« gilt. Ebendieser gestaltet sich aus der begründeten Sicht McRobbies seit Jahren mehr und mehr antifeministisch.
McRobbie analysiert anhand von verschiedenen Filmen und Fernsehshows eine »Desartikulation« des Feminismus. Wenn Artikulation nicht nur das vernehmbare Sprechen bezeichnet, sondern, wie bei Ernesto Laclau und Chantal Mouffe, auch politische Verknüpfungen beschreibt, dann besteht die Desartikulation darin, solche Verkettungen zu unterbinden: Feministische Forderungen der Ermächtigung, der Aktivierung und der Repräsentation von Frauen sind zwar aufgegriffen und verallgemeinert worden, abgeschnitten wurde aber, so McRobbie, die Möglichkeit, diese erstens als kämpferische Motive weiterzugeben und sie zweitens an andere politische, gar sozialistische Inhalte anzubinden. Der dominante Diskurs der individuellen Wahlfreiheit verhindere »von vornherein potenzielle Solidaritäten« zwischen Gruppen mit unterschiedlichen Hintergründen.
Aber nicht nur, dass der Feminismus seiner politischen Schlagkraft beraubt wurde. Darüber hinaus haben auch Fragmente seiner eigenen Geschichte zu seiner Abwicklung gedient. Der antifeministische Rollback ist demnach nicht derselbe, der er seit Entstehung des Feminismus immer schon war, sondern es hat McRobbie zufolge eine »Komplexifizierung des Backlashs« stattgefunden.
Stark wird diese These dort, wo es McRobbie gelingt, über populärkulturelle Repräsentationen hinaus die Verwicklungen und Überlappungen antifeministischer Diskursfelder und Praktiken aufzuzeigen: Soziologen wie Ulrich Beck, Anthony Giddens und Scott Lash arbeiteten über ihre Individualisierungseuphorie an der »Abwicklung des Feminismus« nicht weniger als die antikollektivistische Politik von New Labour. Erst angesichts solcher Zusammenhänge wird dann auch deutlich, inwiefern ein neuer »Aufmerksamkeitsraum« – wie beispielsweise die Repräsentanz von Frauen aus den unteren sozialen Schichten im Reality-TV – alles andere als die Erfüllung der einst emanzipatorisch gemeinten Forderung nach Sichtbarkeit ist. Hier dienen diejenigen Frauen, die dem neoliberalen Aktivierungs- und Selbsterfindungsimperativ nicht genügen (können oder wollen), als Abgrenzungsfolie und Abschreckungsbeispiel. McRobbie spricht in Anlehnung an Pierre Bourdieu von »symbolischer Gewalt«, mittels derer durch die live inszenierte Mischung aus Bloßstellen, Niedermachen und Ironie »neue Klassenschranken« entstünden und stärker polarisierte Geschlechterregime erzeugt würden.
Demgegenüber stellt McRobbie allerdings auch bestimmte Sensibilitäten hinsichtlich ethnischer Differenzen fest, die zwar nicht zu politischen Solidarisierungen führen, den entsprechend »anders« markierten Frauen aber durchaus zum Vorteil gereichen würden. Nicht zuletzt die Zusammensetzung ihres eigenen Soziologieseminars, in dem 90 Prozent der Teilnehmerinnen keinen originär britischen Hintergrund mehr hätten, versteht sie als Ausdruck einer positiven »Bewegung junger Frauen« – nicht im Sinne einer politischen »sozialen Bewegung«, sondern verstanden als gesellschaftliche Mobilisierung. McRobbie schreibt also keine Verfallsgeschichte des Feminismus. Sie lässt verschiedene Strömungen der vielfältigen feministischen Geschichte Revue passieren und diskutiert ihre sozialgeschichtliche und kulturtheoretische Bedeutung, schließt sie mit anderen kultur- und sozialtheoretischen Ansätzen kurz und legt sie konzentriert an die (populärkulturellen) Gegenstände an. Dass sie ihr eigenes Seminar am Ende zu einem »pädagogischen Dritten Raum als ›Kontaktzone‹« auftheoretisiert, sei ihr als Reminiszenz an frühere Cultural-Studies-Euphoriken verziehen. Kulturtheoretisch und sozial unschuldig war das Schreiben über kulturelle Phänomene, und das wissen wir dank Leuten wie Angela McRobbie, wie auch das Essen von Schokolade schließlich noch nie.