Heft 3/2010 - Artscribe
Wien. Erste und einzige Überraschung der Nordkoreaausstellung im Wiener MAK – die acht Dutzend Bilder mit ArbeiterInnen, Bauern, Soldaten, Kindern und den beiden Führern der Revolution, Kim il Sung und Kim Jong-il, zeichnen sich durch Harmlosigkeit aus. Neben Anklängen ans weltweite Revival figurativer Malerei hat das bunte koreanische Malerhandwerk, das pompös als »Arbeiten vorwiegend aus den letzten zehn Jahren« beworben wurde, allein aufgrund eines Umstandes Bedeutung: Die Bilder werden von extra Wachpersonal geschützt. Ein Anschlag fand nicht statt. Den Überraschungserfolg kann man Peter Noever dennoch nicht absprechen: Seit Langem erfreute sich keine Ausstellung des MAK derart massiver Berichterstattung. Wenn zum Gelingen der Provokation mittels künstlerisch wenig interessantem Sozialistischen Realismus vor allem aktuelle weltpolitische Querelen zwischen Nord- und Südkorea sowie die Niederungen der österreichischen Innenpolitik beitrugen – die Kritik geriet umso monumentaler: Von »Verherrlichung nordkoreanischer Diktatur« war die Rede, von »Legitimation des Steinzeitkommunismus«. Der Vorwurf »Salonkommunismus« (!) wurde vonseiten des MAK nicht ganz unbegründet mit dem Gemeinplatz »Jede Kunst transportiert Ideologie« zurückgewiesen. Vom Direktor eines Museums für angewandte Kunst hätte man eine gute Weile nach dem Ende des Kalten Krieges eine klügere Antwort erwartet. Etwa die Gegenfrage: Wie viel Kunst vermag Ideologie hervorzubringen? Die immer wieder erhobene Forderung nach »Kontextualisierung«, die traditionelle Formeln wie »Kunst und Macht«, »Kunst und Freiheit« abgelöst hat, sollte heute zumindest selbstkritisch gewendet werden. Zu fragen wäre, in welchen Kontexten bewegen wir uns, um einen letzten kolonialen Ausläufer eines Imperiums, das vor 20 Jahren unterging, überhaupt zum Gegenstand der Auseinandersetzung zu machen?
Boris Groys charakterisierte in »Die Postkommunistische Situation« die Schwierigkeiten des Westens im Umgang mit dem Osten und der Ostkunst folgendermaßen: »Sicherlich hat die postmoderne Sensibilität eine große Abneigung – und muss sie haben – gegen das graue, monotone, uninspirierende Aussehen des Kommunismus. Das ist der Grund, warum die postkommunistische Welt heutzutage ein blinder Fleck bleibt.« Die Beschreibung hat Gültigkeit für die Kunst des verstaatlichen Sozialismus generell, seit ihrem Beginn: Der Kommunismus war der blinde Fleck in der Kunst des 20. Jahrhunderts! Trotz der universalistischen Ursprünge der sowjetischen Avantgarde, die diese mit allen westlichen Richtungen und Strömungen gemeinsam hatte, wurden alle späteren Entwicklungen nur noch als schattenhafte Doppelgänger von Kunst angesehen; ein ästhetischer Irrläufer, der bestenfalls als Kuriosum belächelt, meist aber als monströs angesehen wurde. Um nur die bekanntesten Beispiele zu nennen: die Moskauer U-Bahn, die sogenannten Stalinhochhäuser diverser Ostblockhauptstädte; im Fall der üblichen Leninmakulatur und sonstiger Denkmäler von China bis Kuba fiel die Häme ohnehin nicht schwer. Da sich das repräsentative Kunsthandwerk überdies außerhalb aller Kunstmärkte abspielte, bot es auch nicht den geringsten Anlass für weitere Überlegungen. Der produktive Rest des Ostens wird bis heute ignoriert. Erst mit der Wiederentdeckung der sowjetischen Revolutionskunst in den 1960er- und 1970er-Jahren, die einst von der Sowjetmacht zur Devisenbeschaffung in den Westen verkauft worden war, mittlerweile aber prominente Plätze in den Museen einnahm und von der westlichen Linken rezipiert wurde, stellte sich die Frage nach Totalität von Kunst und Welt neu. Für die Wiederkehr einer Ästhetik des Erhabenen hätte es im Gestrüpp der Analysen und der in den 1980-/1990er-Jahren sich beschleunigenden ästhetischen Diskurse keinen besseren Zeitpunkt als das Jahr 1989 gegeben: Die Denkmäler, die in Europas Osten gestürzt wurden, bekamen erstmals jene Bedeutung, die sie nie – oder seit den 1920er-Jahren nicht mehr – gehabt hatten. Ein Gespenst wurde in Umlauf gebracht: das »Gesamtkunstwerk Stalin«. Mit bisweilen fatalen Folgen: Die simplifizierende und werbewirksame Gleichsetzung von einstiger Avantgarde und Umsetzung des Totalen führte bei einigen AusstellungsmacherInnen zu befremdlichen Vorgehensweisen: Malewitsch, Rodtschenko oder Vertov wurden aus den Depots hervorgeholt – dass es sich in einem Fall um Fotos aus dem Gulag, im anderen um Propagandaplakate für die Errichtung von Kolchosen, was mit massenhaften Hungernöten einherging, im dritten um eine Hymne auf eine Weltrevolution, die vor allem Hekatomben von Opfern produziert hatte, wurde nicht dazu gesagt. Noch drastischer aber war das Verschweigen all jener KünstlerInnen und Bestände, die nicht ins Konzept passten. Kontexte zu erstellen bedeutet nicht (nur), auf die katastrophalen zeitlichen Umstände, in denen Kunst entsteht, zu verweisen, sondern jene Paradigmen herauszuarbeiten, derer sich Kunst bedient: aus Technik, Wissenschaft, Natur, Macht oder Markt. Bis dahin wird das Gespenst des sozialistischen Realismus nicht zur Ruhe kommen, das wie alles Verbotene Faszination ausübt, auch wenn sich dahinter nur Leere verbirgt. Eine läppische Ostalgie und Sammlung kommunistischer Devotionalien. Die eigentliche interessante Ausstellung im MAK ist denn auch nicht »Kunst und Architektur aus der Demokratischen Volksrepublik Korea«, sondern »Gypsy Urbanism«, ein solider Überblick über Leben und Werk des Philosophen Otto Neurath.