Heft 3/2010 - Netzteil


Sound als Waffe

Der Autor, Musiker und Label-Betreiber Steve Goodman über den Einsatz von Musik zu kriegerischen Zwecken

Christian Höller


Steve Goodman hat mit dem Buch »Sonic Warfare: Sound, Affect, and the Ecology of Fear« eine viel beachtete Studie über den Zusammenhang von Sound, Affektbearbeitung und den teils militärischen, teils zivilen Kriegsmaschinerien des frühen 21. Jahrhunderts vorgelegt.
Als Betreiber des Labels Hyperdub und DJ namens Kode9 arbeitet er seit Beginn der 2000er-Jahre selbst an der Etablierung einer »bass-materialistischen« Praxis, welche die etablierten Sound-Regime unterläuft. Im E-Mail Interview reflektiert er die machtbesetzten wie auch die machtkritischen Seiten gegenwärtiger Klangproduktion.

Christian Höller: In »Sonic Warfare« befassen Sie sich mit einer Reihe von Phänomenen, bei denen Klänge zu kriegerischen Zwecken eingesetzt werden. Das Spektrum reicht von ganz offensichtlichen Fällen, bei denen Popmusik als Foltermittel dient (wie beispielsweise in Guantanámo), bis hin zu eher subtileren technischen Entwicklungen, etwa akustischen Langstreckenwaffen, sogenannten »long range acoustic devices« (LRADs), oder der berüchtigten »Mosquito«-Vorrichtung, bei der hohe, schmerzende Frequenzen zur Vertreibung bestimmter sozialer Gruppen aus urbanen Geschäftszonen verwendet werden. Dazu kommen die verschiedenen Ansätze, die man unter dem Schlagwort »Sonic Branding« zusammenfassen kann. Könnte man sagen, dass sich heutzutage sämtliche Formen der Machtausübung, von der Disziplinierung über Kontrollregime bis hin zur Präventivmacht, klanglicher Mittel bedienen?

Steve Goodman: Es gibt sicherlich eine klangliche Dimension in allen Formen der Machtausübung, die relativ unbemerkt bleibt, insofern sie über den sprachlichen Inhalt der Rede hinausgeht. Verschiedene Machttypen, von der Disziplin über die Kontrolle bis hin zur Prävention, fügen den Regimen der klanglichen Machtausübung eigene spezifische Zielsetzungen hinzu. Dabei lösen sie einander nicht bloß sukzessive ab, wie beim Übergang von einer Phase zur nächsten, sondern sie existieren gleichzeitig, sind gleichsam übereinander geschichtet und stecken dabei ihre jeweiligen Einsatzgebiete ab, die sich häufig überlagern oder miteinander verstrickt sind. Ich glaube, dass wir momentan eine besondere Phase der Intensivierung dieser Machttypen erleben, und zwar aufgrund der Allgegenwart des Hörens und bestimmter technologischer Entwicklung, etwa des Einsatzes zielgerichteter Beschallung, die den akustischen Raum grundlegend verändert.

Höller: Eine dieser Entwicklungen, der Sie sich in Ihrem Buch widmen, ist die Art und Weise, wie »Kriegsmaschinen«, in einem umfassenderen Sinne à la Deleuze und Guattari verstanden, verstärkt Klänge verwenden, die für das durchschnittliche menschliche Gehör nicht wahrnehmbar sind. Es sind dies die Bereiche des Infra- und des Ultraschalls. Wie kam es, dass diese Kriegsmaschinen nicht bloß das Gehör, sondern den gesamten Körper bzw. das ganze »affektive Sensorium«, wie Sie es nennen, als Angriffsziel für ihre Praktiken entdeckten?

Goodman: Das Ganze geht auf eine Idee der US-Armee zurück, die als Reaktion auf die asymmetrische Kriegsführung des frühen 21. Jahrhunderts die Strategie der »Beherrschung des ganzen Spektrums« (»full spectrum dominance «) erfunden hat. Teil dieser Strategie ist die Militarisierung sämtlicher Frequenzbereiche, was offensichtlich quer durch alle Sinnesbereiche hindurchgeht. Die Beherrschung des gesamten Spektrums bedeutet, dass die Macht synästhetisch wird und den virtuellen Bereich der Wahrnehmung zu kolonisieren beginnt, der zwischen bzw. außerhalb dessen liegt, was wir üblicherweise den fünf Sinnen zuordnen. Im Bezug auf unhörbare Schwingungen leben wir heute in einer Periode der »Hör-Prothetik«. Deshalb muss auch unser Begriff davon, was sinnlich wahrnehmbar ist, durch Zusätze und qualitative Verschiebungen ergänzt werden, die sich aufgrund von maschineller Wahrnehmung, Scannern, Vibrationssensoren, Hörgeräten und so weiter ergeben.
All dies steht im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Trend zu nicht letalen Waffen bzw. zu Kontrollausübung, ohne jemanden dabei zu berühren (»no-touch control«). Eine Politik des Affekts betrifft nicht bloß die Manipulation von menschlichen Stimmungen und Emotionen, sondern auch den affektiven Einfluss von Objekten auf andere Objekte, Architekturen, Maschinen und Körper, die allesamt in eine umfassende Schwingungsökologie eingebunden sind.

Höller: Einer der Zwischen- oder Grenzbereiche von Sound bzw. Musik ist jener des »Lärms« (»noise«). In »Sonic Warfare« nehmen Sie eine profunde Neubestimmung dieser Idee vor, im Gegensatz etwa zum futuristischen Ansatz von Lärm als Schock, als Waffe oder als Selbstzweck. Wie lässt sich diese Idee in das Konzept eines umfassenden affektiven Sensoriums einbetten?

Goodman: Die Idee von Lärm, die mich am meisten interessiert, sieht darin ein Reservoir an rhythmischem Potenzial. Daneben gibt es selbstverständlich viele andere Definitionen von Noise, die mich gleichermaßen beeinflusst haben, die ich aber insgesamt für die Argumentation meines Buches weniger hilfreich fand. Der Diskurs um klangliche Gewalt dreht sich stark um einen Begriff von Lärm, wie er von den italienischen FuturistInnen bis hin zu Jacques Attalis Buch über die politische Ökonomie von Noise verwendet wird. Noise ist geradezu ein Codewort für eine bestimmte Art des Experimentierens mit Klängen geworden, sprich: Er ist mittlerweile ein eigenes Genre, eine Art halbwüchsiges klangliches Erhabenes im Bezug auf Schmerz, Lautstärke und Kakophonie. Gleichzeitig wird dieser Begriff bevorzugt verwendet, wenn sich die Theorie – üblicherweise von poststrukturalistischer Provenienz – mit Klängen befasst. Dann steht Noise für Differenz, Überreste, Zufall und so weiter.
Darüber hinaus gibt es alle möglichen wissenschaftlichen Definitionen, die eine Art Farbspektrum auf Frequenzbereiche umlegen. Es gibt viele interessante Aspekte in all diesen Ansätzen, aber zumeist kommt mir dieser Noise-Diskurs sehr zirkulär vor, oft auch betont nihilistisch und nicht besonders hilfreich, was die spezifischere Auseinandersetzung mit Schwingungsökologien, Affektbearbeitung und Frequenzpolitiken betrifft. Im Buch befasse ich mich mehr mit Rhythmus als mit Noise per se.
Letzteres scheint mir eher ein Konzept zu sein, das auf die Virtualität oder das bereits erwähnte rhythmische Potenzial von Klängen verweist. Dies kommt auch bei Attali zum Ausdruck, wenn er sagt, dass die Zukunft der Musik schlechterdings in Noise besteht, oder dass Lärm, als Potenzial betrachtet, eine Art Feedback der Zukunft in die Gegenwart ist.
Noise ist meiner Ansicht nach ein opaker Klangozean, in dem vielerlei mutierende, unterseeische »Rhythmaschinen« (»rhythmachines«) lauern.

Höller: Eine »Politik des Lärms« stellt die eine große Antwort auf die Frage dar, wie der Allgegenwart von Klängen bzw. der Verknüpfung von Musik und Macht zu begegnen sei. Diese »Politik« versucht die Verbindung gleichsam bis zum Exzess zu treiben, während die andere
große Antwort in einer »Politik der Stille«liegt, die diese Verbindung aufzulösen bzw. zu unterbrechen versucht. Ihrem Ansatz nach sind beide Antworten unzureichend und
sollten von einer »Politik der Frequenz« abgelöst
werden …

Goodman: Ja, wobei ich kurz gesagt glaube, dass eine genauere Untersuchung von Frequenzen und den minimalen Veränderungen, die sie in bestimmten affektiven Stimmungen oder Tonalitäten auslösen können, nötig ist.
Damit begibt man sich auf ein weitaus nuancierteres, aber auch komplexeres Terrain, als eine krude »Politik des Lärms« oder eine »Politik der Stille« dies tun. Das Problem mit diesen beiden Ansätzen ist, dass sie den Diskurs um Klänge gleichsam binär auseinanderdividieren.
Auf der einen Seite hat man die Ästhetik des Lärms, die glaubt, dass Lautstärke, Aggressivität oder Kakophonie etwas grundlegend Radikales sind, was meiner Ansicht nach vom futuristischen Manifest »Die Kunst des Lärms« herrührt. Auf der anderen Seite gibt es eine reaktionäre Feier der Stille, oftmals orientalistisch oder pseudo-spiritualistisch geprägt, welche die Klanglandschaft reglementieren und die »Klangverschmutzung« ausmerzen möchte. Beide sind sie unzureichende Antworten auf die Fragen, die von aktuellen Schwingungsökologien aufgeworfen werden.

Höller: Die »Politik der Frequenz«, die Sie ins Treffen führen, scheint an einer ganz bestimmten Schnittstelle bzw. an einem notorischen Konfrontationspunkt angesiedelt zu sein: einerseits die Machenschaften einer »umfassenden Klangkontrolle« (»holosonic control«), was die Art und Weise betrifft, wie die Präventiv macht heute klangliche Mittel einsetzt; andererseits die vielen widerständischen Klangkulturen – den »futurhythmachines« des Schwarzen Atlantic, wie Kodwo Eshun sie genannt hat; oder der »Bass-Materialismus«, wie Sie es bezeichnen.
Gibt es eine tatsächlich eine Art polare Opposition zwischen den beiden, in welchem Fall man das alte Cultural-Studies Modell der widerständischen Musiksubkulturen wiederbeleben würde? Und ließe sich diese Opposition – so sie existiert – jemals in sinnvoller Weise auf den politischen Bereich übertragen?

Goodman: Manchmal kommt es mir tatsächlich so vor, als wäre diese Art der intergalaktischen Schlacht die zentrale Auseinandersetzung in meinem Buch. Manchmal scheint mir dies dann aber wieder viel zu krude und vereinfacht. Wie immer man es nimmt, es geht in »Sonic Warfare« keinesfalls um Widerstand.
Die »Zukunftsrhythmusmaschinen« (»futurhythmachines«), die ich in dem Buch diskutiere, sind trotz ihrer bisweilen einschlägigen Rhetoriken nicht aufgrund ihres Widerstandsmoments interessant. Um ehrlich zu sein, gebe ich nicht allzu viel auf die Idee des Widerstands. Sie scheint mir eher wie eine Beleidigung für die Musikkulturen, die sie beschreiben soll – als ob eine Kultur nur dann zu ästhetischer oder sozialer Innovation fähig wäre, wenn ihr eine bestimmte hierarchische Struktur übergestülpt ist, sprich: wenn eine Quelle für ihren Widerspruchsgeist existiert. Mir kommt Widerstand eher wie ein Effekt zweiter Ordnung vor – etwas, das einer ästhetischen Degradierung gleichkommt. Widerstand bedeutet auf gewisse Weise, dass jemand oder etwas gefangen gehalten wird. Meiner Ansicht nach gibt es aber eine viel ursprünglichere Triebfeder der klanglichen Mobilisierung – etwas, das dem Begehren zu kämpfen oder sich zu wehren vorausgeht. Dies kommt auf unterschiedlichste Weise zum Ausdruck – in Musik, die sich der politischen Realität stellt oder widersetzt, oder in Musik, die diese Realität aus taktischen Erwägungen ignoriert und stattdessen eine neue Realität zu konstruieren versucht. Mir erscheint die zweite Version interessanter.

Höller: Ein Teil der Argumentation in »Sonic Warfare« dreht sich um das Moment der klanglichen Ansteckung bzw. der Ansteckung durch bestimmte Klänge. Wie lässt sich der Idee der Ansteckungsgefahr, die innerhalb des gegenwärtigen Angstklimas eine der schlimmsten Befürchtungen darstellt, eine positive Seite abgewinnen? Sie scheinen eine solche positive Dimension in Bezug auf die von Ihnen propagierte »Audio-Virologie« bzw. die diversen, global verbreiteten »Shanty House«-Szenen zu implizieren.

Goodman: Ich glaube, Ansteckungsfähigkeit stellt ein ganz zentrales Moment in dem Bereich dar, in dem Klangkulturen angesiedelt sind, nämlich im »viralen Kapitalismus«. In dieser Hinsicht kann man auch sagen, dass das »Virenhafte« die abstrakte Maschine dieser Existenzphase, in der wir gerade leben, definiert. Aber Sie haben recht, ein Teil meines Projekts besteht darin, dem Begriff des Virus einen positiven Dreh zu geben, ihn nicht ausschließlich negativ wahrzunehmen bzw. ihn der Widerstandslogik der Virenbekämpfung oder von Immunisierungsprogrammen zu unterwerfen.
Vielmehr stellt der Virus meiner Ansicht nach ein weitaus konstruktiveres taktisches Modell dar. Deshalb finde ich auch PiratInnenkulturen so interessant. Bei ihnen besteht eine gewisse Resonanz zwischen einer virusartigen Anti-Copyright-Ästhetik, dem virusartigen Gebrauch von Übertragungstechnologien und einer virusartigen Ökonomie.
Diesbezüglich interessiert mich, welche Art von Klangmitteln (»sonic agents«) zu kulturellen Mutationen führen können.

Höller: Eine der überzeugendsten Ideen in »Sonic Warfare« ist jene des »déjà entendu«, des schon einmal Gehörten. Damit meinen Sie die Art und Weise, wie Konzerne und ihre Marketingabteilungen Klänge auf subtile Weise einsetzen, um damit »den Eindruck eines bereits erlebten Vergnügens zu evozieren und dadurch die Wiederholung des Konsums anzuregen«. Ist dieses Verfahren ein Monopol des militärisch-industriellen Unterhaltungskomplexes, oder hat sich die Musik der letzten 20 Jahre generell diesem Retro-Modus verschrieben?

Goodman: Einfach gesagt ist die klangliche Ansteckungsfähigkeit das Um und Auf jeder populären Musik. Die Konzernwerbung und insgesamt die »Branding« Kultur haben sich diese grundlegende Taktik einer Mobilisierung der Affekte und Erinnerung aus der Popkultur angeeignet. Es ist zugleich eines der Symptome dafür, welche negativen Auswirkungen die Postmoderne in der Kultur gezeitigt hat.
Primär geht es dabei um eine Instrumentalisierung der Retro-Kultur, um daraus eine Tarnwaffe zu machen, ein Mittel der demografischen Zielgruppensondierung.

Höller: Was sich in der elektronischen Kultur der letzten Dekade mehr und mehr ausbreitet, ist – Sie haben bereits darauf verwiesen – die Idee und Praxis der Piraterie. Lässt sich darin so etwas wie ein tragfähiges Widerstandsmodell erkennen?

Goodman: Auch die Idee der Piraterie scheint mir nicht in erster Linie im Hinblick auf ihre Widerständigkeit relevant zu sein, obwohl dies selbstverständlich eine ihrer Funktionen ist.
Aber die interessanteren Momente der PiratInnenkultur haben nichts mit Widerstand per se zu tun, sondern vielmehr mit mikroökonomischer, ästhetischer und kultureller Selbsthilfe, ungeachtet ihrer genaueren ideologischen Ausrichtung. Gleichzeitig können wir uns, wie ich im Buch argumentiere, nicht einfach auf die Seite der PiratInnen im Kampf gegen die Konzerne schlagen. Der virale Kapitalismus sorgt dafür, dass die Virenartigkeit als Modus Operandi auf beiden Seiten auftritt und es eine wechselseitige Symbiose bzw. ein Nutznießertum zwischen beiden gibt. Die Frage lässt sich daher nur von Fall zu Fall beantworten: Piraterie für wen und von wem?

Höller: »Sonic Warfare« endet mit einem Ausblick auf das, was Sie »Unsound«, also Nicht-Sound bzw. das Nicht-Stimmige nennen – »das innerhalb der normalen Bandbreite des Hörens noch nicht Hörbare«. Denken Sie, dass dies der zukünftige Kampfplatz der verschiedenen Kriegsmaschinen, die Klänge verwenden, sein wird? Oder sollte man die Idee des »Unsound« mehr als das Bestreben nach Innovation vonseiten der diversen Sound- Kulturen verstehen?

Goodman: Beides, denke ich. Aber in meinem nächsten Buch werde ich mich eingehender mit dem Begriff auseinandersetzen.

Steve Goodmans »Sonic Warfare: Sound, Affect, and the Ecology of Fear« ist Ende 2009 bei MIT Press, Cambridge/London erschienen.

http://sonicwarfare.wordpress.com/
http://www.discogs.com/label/Hyperdub
http://www.myspace.com/kode9