Debatten um Zuwanderung, Asyl und Migration gewinnen europaweit an Brisanz. Kaum ein anderes Thema führt momentan in der gesellschaftlich-kulturellen Auseinandersetzung zu derartigen Polarisierungen wie dieses. Auf der einen Seite stehen dabei reflexhafte Ressentiments und Abwehrreaktionen, die sich in den Wahlergebnissen vieler Länder niederschlagen. Auf der anderen Seite erleben wir ein nahezu hilflos gewordenes Zelebrieren von Multikultur, das inzwischen von höchsten politischen Stellen eine Absage erfährt. Selten jedoch sind in der anhaltenden Diskussion stärkere, tragfähigere, ja ins Positive gewendete Konzepte zu vernehmen, die über das bloße Abfeiern von Diversität hinausgehen.
Ein neuralgischer Punkt des ganzen Komplexes scheint darin zu liegen, dass selbst in aufgeschlosseneren politischen Lagern das Thema häufig auf die Aspekte Integration bzw. Assimilation reduziert wird. An diesem Punkt setzt auch die vorliegende Ausgabe an und wirft eine Reihe von Fragen auf, die sich quer durch die Terrains des Politischen, Sozialen, Kulturellen und im engeren Sinne Künstlerischen ziehen: Was genau meint man, wenn vom Wunschbild »gut integrierter MigrantInnen« die Rede ist? Worauf zielt die weithin erhobene Forderung nach Integrationsbereitschaft? Wird damit einzig die sprachliche Angliederung an die Mehrheitsgesellschaft verlangt oder sind damit noch weitreichendere Anliegen impliziert? Kann die Forderung nach Integration überhaupt ein legitimer Anspruch sein angesichts weltweit zunehmend durchmischter Sozietäten – eine Entwicklung, die kaum vor einem Nationalstaat haltmacht?
Der Migrationsforscher Nikos Papastergiadis befasst sich schon seit Längerem mit diesen globalen Realitäten und unaufhaltsam fortschreitenden Vermischungsszenarien. Sein Resümee der Debatte, welche die letzte Dekade hindurch zusätzlich von der grassierenden westlichen Paranoia im Gefolge von 9/11 angeheizt wurde, lautet schlicht und trefflich: Das Rad lässt sich nicht zurückdrehen, vielmehr sind aufseiten der Kunst Ansätze gefragt, die sich explizit mit Aspekten der Mobilität, Differenz und Zugehörigkeit befassen. Ein Schwerpunkt, wie ihn die Fotografin Yto Barrada länger schon am Beispiel der Grenzregion Marokko–Spanien untersucht, einer jener Zonen, in denen Kontinente und Welten aufeinanderprallen. »Closer to home« untersucht die Historikerin Rita Chin sowohl die historische als auch die aktuelle Rolle, welche muslimische Frauen innerhalb der Migrations- und Integrationsdebatte einnehmen. War die Generation der 1970er-Jahre-Feministinnen darum bemüht, türkischstämmige Frauen in Deutschland anhand von Sozialreportagen in ihrem sozialen und kulturellen Habitat besser verstehen zu lernen, so sind Letztere inzwischen zu einem Politikum ganz anderer Art geworden. Entzündet sich an ihnen doch regelmäßig der aus westlicher Überlegenheit heraus erfolgende Ruf nach (vermeintlicher) Emanzipation und einem Mündigwerden, mit dem auch gleich dem gesamten islamischen Hintergrund eine Abfuhr erteilt werden kann.
Um Mündigkeit und Unmündigkeit und die daran festgemachten kulturpädagogischen Konzepte dreht sich auch der Beitrag von Ljubomir Bratić. Seine Auseinandersetzung mit den Anfeindungen und Selbstbehauptungsversuchen von nach Österreich gekommenen GastarbeiterInnen bzw. deren Nachkommen skizziert eine Reihe von Transformationen, teils bereits erfolgt, teils noch vor uns liegend, die das gängige Gesellschaftsbild radikal verändern werden. Eine ähnliche Argumentation verfolgt Rubia Salgado, die in einem Gemeinschaftsprojekt zusammen mit Asylwerberinnen deren selbst erstrittenes »Bleiberecht« artikuliert: »Wir gehen nicht!«, heißt es darin programmatisch innerhalb eines Kontexts, in dem Migration und Asyl zunehmend in den Bereich von Sicherheits- (und nicht Menschenrechts-)Diskursen verschoben zu werden drohen.
Inwiefern die »Integrationsvereinbarung«, die heute politisch in aller Munde geführt wird, immer schon auf zweifelhaften Voraussetzungen beruhte, beleuchten weitere Beiträge dieser Ausgabe: Die Künstlerin Farida Heuck etwa befasst sich mit zwanghaft verordneter Sprachpolitik und den ungleichen Migrationsprämissen, denen zufolge ökonomisch besser Gestellte eindeutig privilegiert sind. Süreyyya Evren fragt in seinem Essay nach den kulturgeografischen Koordinaten, die Europa von Asien trennen, um zugleich auf verdrängte sexuelle Komponenten der Migrationsdiskussion zu verweisen. Ein eigener kleiner Schwerpunkt zu Themen afrikanischer Kunst und Moderne wirft schließlich ein Licht darauf, wie sich integrative Belange aus der Perspektive europäisch-afrikanischer Dialoge ausnehmen – bzw. wie weit wir von solchen Zielvorstellungen in der Realität entfernt sind.
Insgesamt versucht das Heft »Nicht integriert« ein Spektrum abzubilden, innerhalb dessen sich Differenz, Minorität und Nicht-Homogenität denken lassen, ohne auf assimilatorische bzw. integrative Bestrebungen verkürzt zu werden.