Heft 3/2011 - Netzteil


Bloggen für die Freiheit

Die Online-Chronik »Generación Y« der kubanischen Journalistin Yoani Sánchez

Rosental Calmon Alves


Die kubanische Bloggerin Yoani Sánchez ist ein Ausbund an Freiheit, deren Mut und Hoffnung just von einem Land ausstrahlt, das durch notorischen Informationsmangel und Restriktionen der individuellen Freiheit geprägt ist. Sie hätte ein ruhiges Leben in Europa führen können, ging jedoch 2004 auf eine Mission zurück in ihre Heimat. Zwei Jahre, nachdem sie sich in der Schweiz niedergelassen hatte, zog sie wieder nach Kuba, als folge sie einer Berufung. Sie wollte als freier Mensch in ihrer Heimat leben und zu den politischen Veränderungen beitragen, die sich am kubanischen Horizont deutlich abzuzeichnen begannen. Als freier Mensch in seinem Herkunftsland zu leben klingt nach einem bescheidenen Ziel, ist es aber nicht im revolutionären Kuba. Das längst überholte und funktionsuntüchtige marxistisch-leninistische Regime beruht immer noch auf einem Polizeiapparat, der für seine Missachtung der Menschrechte berüchtigt ist. Dazu gehört der bekannte Artikel 19: Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.
Als Yoani Sánchez 2004 am Flughafen von Havanna ankam, wurde sie sofort genötigt zu erklären, warum sie denn so lange in Europa geblieben wäre. Damals konnte sie sich noch nicht vorstellen, dass ihre zunächst private Mission in die ganze Welt ausstrahlen würde und sie zu einer Leitfigur für das Recht auf freie Meinungsäußerung und zur Verkörperung der internationalen Bemühungen, den Artikel 19 durchzusetzen, werden würde. Die von der Universität Havanna graduierte Geisteswissenschaftlerin gründete im Dezember 2004 entgegen dem restriktiven politischen System die alternative Zeitschrift »Consenso«. Diese als »Raum für Reflexion und Debatte« bezeichnete Publikation lud alle LeserInnen zur Mitarbeit ein und versprach, alle Aspekte des Lebens in Kuba – von der Politik bis hin zur Spiritualität – zu behandeln.
Journalistin zu werden war im Fall von Sánchez kein Zufall und auch nicht bloße Taktik. Zu der Zeit, als sie sich auf die Eintrittsprüfungen auf der Uni vorbereitete, konnte man Journalismus noch nicht studieren, und so wählte sie Literatur und Philologie. Doch seit der Gründung von »Consenso« stieg Sánchez langsam zur berühmtesten Journalistin Kubas auf. Zwar ist sie in Kuba selbst aufgrund der Effizienz der Zensur nicht so bekannt, doch bei der großen Gruppe der ExilkubanerInnen und all den Millionen, die ihre Arbeit kennen, steht sie in hohem Ansehen. Angeblich lesen mehr als eine Million Menschen ihren Blog, der von Freiwilligen auf der ganzen Welt in mehr als 20 Sprachen übersetzt wird.
Yoani ist nicht nur eine preisgekrönte, sondern auch eine neue Art von Journalistin. Von sich selbst sagt sie: »Ich bin einfach Bürgerin und Journalistin, die ihre Meinung im Internet veröffentlicht.« Doch natürlich ist sie weit mehr als das. Sie steht für eine ganze neue Generation von WeltbürgerInnen, welche die neue Technik nützen, um über restriktive und von normalen Medien unbeachtete Gesellschaften zu berichten und damit für soziale Gerechtigkeit und Freiheit einzutreten. Nach ihren Erfahrungen mit »Consenso« startete Sánchez im April 2007 den Blog »Generación Y«. Dieser Name soll eine Einladung an jene Generation von KubanerInnen sein, die wie Sánchez in den 1970er-Jahren geboren wurden und von denen viele Vornamen tragen, die mit Y beginnen – angesichts der kubanischen Tradition eine Merkwürdigkeit, die aber den damaligen Einfluss der Sowjetunion widerspiegelt.
»Generación Y« war ein Vorreiter, der einen neuen Stil in die politisch kritischen Blogs Kubas einführte. Statt harscher Rhetorik gegen das kommunistische Regime bietet er eine Mischung aus Journalismus, Literatur und oft auch Poesie, um damit den Alltag auf der Insel zu darzustellen. Der Blog verpasst zwar keine Gelegenheit, die Regierung zu kritisieren, geht dabei jedoch der seit Jahrzehnten üblichen Anti-Castro-Rhetorik aus dem Weg. Unterstützt wird er durch ExilkubanerInnen in den Vereinigten Staaten. Doch Sánchez’ Blog kritisiert nicht nur die kubanische Regierung, sondern auch jene der USA. So verurteilte sie beispielsweise das Embargo Washingtons, das Kuba nun schon so lange zu ersticken droht. Bereits als »Generación Y« ein Publikum von nur wenigen privilegierten KubanerInnen mit Internetzugang anzog, schritt die Regierungszensur ein. 2008 wurde der Blog in Kuba gesperrt, doch glücklicherweise kontrollieren die kommunistischen Zensoren nicht das Internet jenseits der Insel. Also wuchs Sánchez’ Öffentlichkeit im Ausland exponentiell an. Bald zog sie weltweit nicht nur LeserInnen an, sondern auch viele Fans und Freiwillige aus unterschiedlichen Ländern, die ihre Hilfe anboten.
In der Folge wurde der Blog allmählich zu klein. So wurde der Micro-Blogging-Dienst Twitter zu Yoanis neuem Mittel, um ihre journalistische Arbeit noch schneller, beweglicher und effizienter zu machen. Erstaunlich war, wie schnell sie sich an das neue Medium anpasste. Ihr literarischer Stil verband sich perfekt mit der prompten Information über aktuelle Ereignisse, über die sonst niemand berichtete. Über Sánchez’ Tweets erfahren wir zum Beispiel, dass die Polizei gerade eine Demonstration aufzulösen versucht. Yoani war es auch, die 2009 kundgab, dass sie und ihr Mann Reinaldo Escobar, ebenfalls ein Blogger, in nur zwei Wochen unabhängig voneinander attackiert worden waren. Durch Männer, die wie Geheimdienstleute aussahen, hätten sie leichte Verletzungen davongetragen, nun ginge es ihnen aber wieder gut. Mit Tausenden Twitter-NutzerInnen teilte sie schließlich auch die Freude darüber, wie einfach es ist, vom Mobiltelefon aus zu twittern. Dies ist etwas ganz anderes als früher, als sie als Touristin verkleidet in für KubanerInnen verbotenen Hotels ins Internet gehen musste.
Die Großzügigkeit, die Sánchez aus dem Ausland erfahren hat, gibt sie weiter, indem sie KubanerInnen in einer improvisierten Blogger-Schule Computergrundkenntnisse beibringt. Trotz staatlicher Restriktionen und Vergeltungsmaßnahmen – so wurde ihr zum Beispiel mehrmals die Reisegenehmigung verweigert – führt sie ihre Mission also fort. Als Galionsfigur des Rechts auf freie Meinungsäußerung und als Pionierin in der Nutzung des Internets zur Umgehung der Zensur wurde sie 2010 mit dem Prince Claus Award ausgezeichnet.
Inzwischen ist auch der Kunstbetrieb auf Yoani Sánchez aufmerksam geworden. So war sie unlängst auf der PhotoEspaña vertreten, und zwar in der Ausstellung »Face Contact«, in der 31 KünstlerInnen das Medium des Porträts als Identifikations- und Kommunikationsmittel thematisierten. Yoanis Arbeit wurde hier auf zwei Computern präsentiert, auf denen das Publikum ihre Blog-Einträge und Fotos, die sie und ihr Mann gemacht hatten, betrachten konnten. Auch das ein Mittel, um den großteils unter Verschluss gehaltenen kubanischen Alltag vor Augen zu führen.

 

Übersetzt von Thomas Raab