Heft 3/2011 - Lektüre



Claudia Basrawi:

Mittelmeer Anämie – Damaskus. Beirut. Kairo

Berlin (b_books) 2009 , S. 76

Text: Peter Kunitzky


Der sympathische Berliner Kleinverlag b_books hat etwas gewagt. Er hat es gewagt, sein bislang streng der Theorie verpflichtetes Programm der Belletristik zu öffnen. Er hat es namentlich also gewagt, der Autorin Claudia Basrawi, die, wie man nicht ganz ohne Irritation vernimmt, »seit 7–8 Jahren hauptberuflich als Verfasser von Prosatexten tätig ist«, ihr literarisches Debüt zu ermöglichen. Doch leider wird verlegerischer Mut nicht immer belohnt.
Denn dieses Buch ist, um nur das Mindeste zu sagen, eine Enttäuschung. Eine Enttäuschung, die freilich – diese Schuld sei eingestanden – auch auf eine gewisse Erwartung folgt: Da macht sich nämlich eine studierte Arabistin und Politologin nur ein paar Jahre vor den dortigen revolutionären Erhebungen auf den Weg nach Damaskus, Beirut und Kairo. Was hätte daraus nur alles werden können? Idealiter: ein Roman über den arabischen Vorfrühling. Poetischer: eine belletristische Sonde in den Bauch der Geschichte. Jedenfalls etwas Antizipatives, Visionäres, die kommenden Ereignisse Erklärendes. Doch bedauerlicherweise hatte die Autorin eine andere Agenda: Ursprünglich aufgebrochen, um sich gemeinsam mit zwei Begleitern auf die Spuren von Jean Genet zu begeben und seine Sympathien für die PalästinenserInnen filmisch zu ergründen, bemerkt sie indes bald, »dass mich etwas anderes interessiert: durch die Straßen laufen, am besten ohne besonders aufzufallen, Sachen kaufen, Essen, Essen gehen, Schreiben, Unterhalten, Fragen stellen, aber keine Schlussfolgerungen«. Und so kommt es dann auch. Nur ist dieses Programm, wie unschwer zu erkennen, doch von einer rechten Anspruchslosigkeit gekennzeichnet, zumal ja, nachdem die Fährte Genets, eigentlicher Motor der Reise, tatsächlich zusehends an wegweisender Bedeutung verliert, auch das Fragen, das vor allem der Palästinenserproblematik und einer klandestinen schwulen Kultur im Orient gilt, an Federführung einbüßt und ferner das Schreiben selbst nie zum Gegenstand des Texts promoviert wird. Den LeserInnen bleibt mithin wenig mehr übrig, als die Autorin bei ihren eher alltägliche Bedürfnisse stillenden Besorgungen zu begleiten oder ihr bei ihren wirklich häufigen Besuchen in den diversen Cafés, Restaurants und Clubs Gesellschaft zu leisten. Das soll alles wahrscheinlich eine großartige Lässigkeit, vielleicht sogar eine bohemehafte Attitüde zum Ausdruck bringen, zumal auch ständig erwähnt wird, dass sich wieder einmal jemand eine (filterlose!) Gitane oder Gauloise angezündet hat, verbreitet aber leider mit der Zeit nur eine großartige Langeweile; und das erstens, weil diese Dinge eben an sich von ziemlich banaler Natur sind, was aber, zweitens, umso schwerer wiegt, als ein Reisetagebuch, und in dieses Genre fällt vorliegender Text unzweifelhaft, von alters her doch ganz bestimmte wissenschaftlich-pädagogische bzw. literarische Ziele verfolgt, also die LeserInnen einerseits über die je fremden Gepflogenheiten und Sitten unterrichten und sie andererseits im selben Rahmen mit »interessanten« Begebenheiten unterhalten will. Beides kommt hier nun doch deutlich zu kurz, der Erkenntnisgewinn etwa ist schlechterdings überschaubar, gerade weil die Reflexionen (der, notabene, Politologin) oftmals auch so klingen: »Wir sprechen wieder über Politik. Fatima sagt, auch hier sei es so, dass sich nach dem 11. September vieles geändert hat, oder zumindest wird dies gerne behauptet. Auch die Petersilie im Palästinenser-Lager war plötzlich teurer geworden. Der Verkäufer begründete es damit, dass der Dollar nach 9/11 gestiegen sei und sich das letzten Endes auf die Petersilienpreise in Damaskus ausgewirkt hätte.« Oder so: »Fatima sieht eine Veränderung in Europa, aus ihrer Sicht, eine positive, denn dort gäbe es wenigstens Globalisierungsgegner, man hätte eine globale Sicht auf die politische Lage und würde sich nicht, wie die Palästinenser, nur für die eigene Sache interessieren, die ja letzten Endes von globalen Faktoren abgängig sei.« Noch Fragen? Und sogar wenn die Autorin interessanten Menschen begegnet sein sollte – und wir halten das durchaus für möglich –, würde man das nicht unbedingt gleich bemerken, da sie, vielleicht hat man es schon erkannt, die deutsche Sprache nicht wirklich restlos zu bemeistern vermag, was neben Stilblüten zuhauf bei der Schilderung von Situationen auch dazu führt, dass die Wiedergabe von Gesprächen sich manchmal so anhören kann: »Edward Said hat in Ägypten gelebt, sage ich und Ali antwortet, ja und Jassir Arafat hat in Ägypten gelebt.«
Vielleicht mag das nach dem Bisherigen überraschen: Aber dieses Buch kann es von seiner charmanten Wirkung her mit dem Diavortrag Ihres Nachbarn über seinen letzten Urlaub locker aufnehmen.