Wien. Die Deutschen beleidigen meist mit Vorsatz und sie meinen es auch so. Wiederhole ich als Deutscher, was ich bei einer Wienerin als Beleidigung vermute, da mich die mit unschuldigem Blick gestreute Bösartigkeit erstaunt, reagiert mein Gegenüber regelrecht erschrocken, fast so, als würde ihr der Abgrund erst durch mein Echo bewusst. Was gerade noch Konversation war, wird durch die Spiegelung oder mein Missverständnis vom Kopf auf die Füße gestellt, die sprachspielerische Leichtigkeit der Beleidigung hat sich durch meinen Eingriff in einen erdnahen Fettnapf verwandelt.
Jene Beleidigungsästhetik, die sich mit der Redewendung »Ask Yo Mama« verbindet, wirkt der deutschen Verbalattacke auf den erste Gehör näher, da sie genau mit diesen Worten markiert, ich werde dich jetzt beleidigen. Es wird mit offenem Visier angegriffen oder plump, da unterscheiden sich die Kulturkreise. Die stehende Wendung verweist aber auch auf eine ritualisierte Form der Beleidigung, welche die Deutschen kaum kennen, während sie den WienerInnen vertraut scheint.
Der »Ask Yo Mama«-Brauch hat seine Ursprünge in afroamerikanischen Sprachspielen des »playing the dozens«, wurde durch HipHop in die Welt hinausgetragen und lässt sich heute als Verbalregulativ postmigrantischer Jugendkulturen nur schwer überhören. Die bevorzugt von Männern genutzte Konvention, »deine Mudda« und damit in der Regel Frauen im Allgemeinen durch Herabsetzung zu beleidigen, entlädt Spannungen in einer »sozial akzeptablen Form« und stiftet dadurch Verbindlichkeit zwischen Männern.
Das Ausstellungskonzept der Kuratorin Ina Wudtke verkehrt die soziale Verkehrsform und nimmt die Worte buchstäblich. Buchstäblich heißt zunächst, dass ausschließlich Frauen eingeladen wurden, die sich in ihrer Arbeit auf »schwarzen Sound« beziehen. Während Frau-Sein hier biologisch verstanden wird, schließt »schwarz« an den von Thelma Golden geprägten Begriff »Post-black« an, der die »Verlagerung von Körper und Hautfarbe hin zu einer ästhetischen Sensibilität bezeichnet«. Es ließe sich über diesen Widerspruch streiten, aber Ina Wudtke nährt ihre Arbeit, sei es als Künstlerin oder Publizistin, immer auch aus dem Widerspruch. Zudem schließt die Ausstellung recht direkt an eine von Wudtke gemeinsam mit dem belgischen Philosophen Dieter Lesage verfasste Streitschrift mit dem Titel »Black Sound, White Cube. Die Audiologie des Ausstellungsraums«, dessen deutsche Übersetzung vor Kurzem im Wiener Löcker Verlag erschien.
Der 120-seitige Essay öffnet mit dem Superlativ: Bei der »Weißen Zelle« handle es sich um den ideologischsten aller Räume. Zunächst wird Brian O’Doherty auf verschiedenen Ebenen angegangen, was teilweise zu interessanten Perspektiven führt. Hauptziel ist dabei herauszuarbeiten, dass der Autor des Standardwerks »Inside the White Cube« in seiner Kritik übersehen habe, wie sehr die abgetrennte »Weiße Zelle« ausschließt, vor allem Frauen und Schwarze. Überraschender liest sich die daraus abgeleitete These, die »Weiße Zelle« lasse nur »weißen Sound« in sich zu, während ein »schwarzer Sound« fast nie zu Gehör käme. Als weißen Sound machen die AutorInnen dabei neben Bob Dylan, Punk, New Wave oder Noise aus. Überhaupt sei die »Weiße Zelle« besonders empfänglich für jeden Sound, »der auf dem besten Weg ist, zum Geräusch zu werden«. Die Unterscheidung »schwarzer« und »weißer Sound« klingt problematisch, überzeugt in der verfeinerten Unterscheidung und der Komplexität der Verweise aber doch. So werden die Einflüsse der afroamerikanischen Choreografin Syvilla Fort auf den jungen John Cage untersucht sowie deren Ausblendung in der Rezeptionsgeschichte. Recht amüsant pflückt man die oberflächliche Übernahme des DJ-Vokabulars durch den Kunsttheoretiker Nicolas Bourriaud auseinander und rückt sie neu zurecht. Innerhalb der Überlegungen zu Dan Grahams Video »Rock my Religion« klingt aber auch ein auf das Aufgeräumte insistierender Ton an, der sich schon in der Kritik von O’Doherty andeutete. Als Lesender frage ich mich jedoch, warum sollte von KünstlerInnen Stringenz, Information oder Erklärbarkeit erwartet werden? Geht es nicht gerade jetzt, wo die Organe der Kontrollgesellschaft solch messbaren Mehrwert in Gestalt von Research- und PhD-Programmen einfordern, genau darum, die andere Seite der KünstlerInnenforschung starkzumachen? Lernen mag ja ganz gut und schön sein, aber beim »Yes, we can«, das Lesage und Wudtke am Ende ihres Essays bemühen, handelt es sich nicht nur um das präsidiale Zitat aus einem Song der Pointer Sisters, sondern eben auch um die Lieblingsworte der Horrorgestalt Bob der Baumeister, die Kinder zum Wahnsinn des gesellschaftlichen Konzepts, in dem wir leben müssen, verführen soll. Trotzdem mag ich am Ende nur zustimmen, dass der White Cube seine Audiologie überdenken muss. Dennoch all das, was hier nur ganz verkürzt aufscheint und nur nachdrücklich zur Lektüre empfohlen werden kann, häuft viel Überbau für eine überschaubare Gruppenausstellung an.
Ina Wudtke schreibt nicht nur die notwendige, da bisher nicht vorliegende Theorie selbst, als DJ agiert sie zudem seit anderthalb Jahrzehnten auch außerhalb des White Cube und weiß genau, was sie in diesen einschleppen will. Als sei das noch nicht genug, lässt sie sich selbst als zentrale Künstlerin auftreten. All das ist eine beeindruckend konsequente Fortsetzung des Bestrebens nach Autonomie sowie der Entwicklung eines erweiterten KünstlerInnenselbstverständnisses. Der hohe Selbstanspruch, der Auftritt in multiplen Rollen wider die Arbeitsteilungen des Kunstbetriebs und die Forderung der These erzeugen die Spannung der Ausstellung, hängen die Latte aber auch hoch. Und sie stehen ein wenig jenen künstlerischen Möglichkeiten im Weg, welche sich am besten in der Anspruchslosigkeit entfalten. In der Ausstellung beschleicht einen auch der Eindruck, das Gros der eingeladenen Künstlerinnen – Ihu Anyanwu aka G. rizo, Sonia Boyce, Yvette Mattern, Marusa Sagadin, Constanze Schweiger, Samgam Sharma und Anna Zwingl – haben sich auf den aufgeworfenen Fragenkomplex nur bedingt eingelassen oder es gab nicht den Raum dafür. Auch bleiben die Arbeiten eher für sich und klingen nicht wirklich miteinander. Manches wirkt wie ein Beleg des Ausschlusses, der helle Klang der »Weißen Zelle« wird dadurch nicht schwarz, dafür lassen sich solche sprachlich fassbaren Gesten zu leicht entsorgen.
Perspektivischer als das Benennende wirken auf mich die abstrakteren Gesten. Eine auf dünnen Metallstäben gefährlich aufrecht im Raum stehende Skulptur, deren geschwungene Form imaginär tänzelt, ist in ihrer Sprache der »Weißen Zelle« verpflichtet. Der vage Titel »Limbo« verschiebt die schwebende Setzung aber, welche ihrem Ausgangsort anhaftet und sich im gleichen Moment zu lösen versucht, ohne dass die Bewegung konkret fassbar werden würde. Es bewegt sich, ohne kanalisierbar zu sein. In solch feinem Spiel verschattet sich das Dispositiv der »Weißen Zelle«, in verunreinigten Zwischentönen, die sich ihrer selbst nicht sicher sind, wird die erwünschte Verdunklung erahnbar und das Einsickern des Kontrastmittels unabwendbar.