Ärger, Unmut und Zorn als Antrieb künstlerischer Produktion? In Zeiten, in denen es primär darum ging, sich von allem bislang Dagewesenen mit radikaler Geste abzusetzen, stellte dies nahezu eine Selbstverständlichkeit dar. Zumindest in den Rhetoriken sich abgrenzender, rebellierender Bewegungen mangelte es meist nicht an derlei Affektbekundungen, die sich in erster Linie »gegen« etwas richteten. Seit jedoch die Zeit der unermesslichen Gleichzeitigkeit und neutralisierenden Koexistenz, ja der Allgegenwart unterschiedlichster, teils auch unvereinbarer Stile angebrochen ist, seither kommt diesem affektiven Antrieb eine weitaus bescheidenere Funktion zu. Ärger über etwas künstlerisch zum Ausdruck zu bringen steigert allenfalls den Unterhaltungswert innerhalb der Kunstmarktindustrie. Eine wahrlich aufrührerische Dimension, die in zorniger junger oder auch alter Kunst verborgen läge, und zwar als formaler Bruch und nicht allein als inhaltliche Bekundung – diese Art von künstlerischer Revolte dürfte sich auf unabsehbare Zeit verflüchtigt haben.
All dies scheint mit den Platzbesetzungs- und Occupy-Aktivitäten seit 2011 neu verhandelbar geworden zu sein. Seit weltweit, oft unvorhergesehen, mit schier unerschöpflichen Energien und ohne dass dies von irgendwelchen Zentren aus gesteuert wäre, immer neue Protestbewegungen aus dem Boden sprießen, stellt sich auch im künstlerisch-kulturellen Feld eine Reihe brisanter Fragen: Wie kann die aktuelle Kunst, die sich als Teil dieser Bewegungen sieht, ohne sich von ihnen funktionalisieren zu lassen, wie kann eine solche Kunst den Widerstand gegen die ins Trudeln geratenen ökonomischen Strukturen befördern? Wohlgemerkt handelt es sich dabei um Strukturen, an denen die Kunst bekanntermaßen lange Zeit und mit Gewinn selbst teilhatte. Gibt es so etwas wie ein soziales Substrat für die vielen, oft im Kleinen oder Marginalen ihren Ausgang nehmenden Aufstände, die in Kunst und Theorie vielleicht eher registriert wurden als in anderen Milieus? Lässt sich auf der Basis von Empörung und Unvernehmen eine tragfähigere Bewegung aufbauen, die mehr als nur punktuell oder ephemer zu agieren imstande ist? Und schließlich: In welchen Formaten sind Protest und Aufbegehren denkbar, die über kurzlebige künstlerische Agitations- und Agitpropformen hinausgehen?
Die Ausgabe »Art of Angry« widmet sich Fragen wie diesen und legt das Augenmerk darauf, wie sich der Affekt der Auflehnung, der sich nur schwerlich auf einen gemeinsamen Nenner herunterbrechen lässt, heute durch vielerlei Kunstsparten zieht. Wie dieser, so nicht-identisch und »uneins« er auch sein mag, nicht aufhört, Quelle und Ziel heterogener Begehrensartikulationen zu sein. Brian Holmes widmet sich in seinem Essay den Grundbedingungen, die für das Entstehen sozialer Bewegungen maßgeblich sind. Dabei kommt er, die Geschichte erfolgreicher künstlerisch-sozialer Artikulation rekapitulierend, auch auf die Rolle von Empörung und Wut innerhalb aktivistischer Ansätze zu sprechen. Diese könnten laut Holmes erst in Kombination mit anderen Faktoren, etwa geeigneten Formen von Netzwerkbildung, Partizipation und Selbstorganisation, ein wahrlich »soziales Moment« auslösen. Für ein gewisses Maß an Organisation und Disziplin spricht sich auch die Politikwissenschaftlerin Jodi Dean aus, die die Occupy-Bewegung seit einiger Zeit aus nächster Nähe verfolgt. Wiederholt hat Dean sich die Frage gestellt, ob es denn ausreiche, Unmut und Dissens ohne jedwede positive Forderung zu artikulieren – wohl wissend, dass Strategien von Networking und Partizipation inzwischen zum Einmaleins des »kommunikativen Kapitalismus« zählen. Aber ein politisches Projekt – eines, das mehr als bloß der Ausdruck von Empörung ist – könne nur dann zustande kommen, wenn das horizontal strukturierte, dispersiv agierende Feld beginnt, Ziele und Agenden auf produktive Weise miteinander zu verknüpfen.
Anschauungsmaterial dazu liefern die KünstlerInnen Marina Naprushkina und Oliver Ressler, die dem Ärger über die aktuellen politischen Verhältnisse visuell auf den Grund zu gehen versuchen. Ressler, indem er sich nahe beobachtend auf die Platzbesetzungen in Athen oder Madrid einlässt und den dort verhandelten Details erhöhte Aufmerksamkeit schenkt; Naprushkina, indem sie einen Auszug aus der von ihr mitbegründeten Zeitung »Self#Governing« präsentiert. Der politische Cartoon, der unter anderem die ökonomische Grundierung der durch und durch undemokratischen Verhältnisse in Weißrussland aufzeigt, ist Teil einer Initiative, die von der Organisation Nash dom (Unser Haus) getragen wird. Als Selbstermächtigungswerkzeug »von unten« setzt sich diese offensiv gegen die widrigen Realitäten zur Wehr.
Sich häufende Fälle von Zensur und strafrechtlicher Verfolgung von künstlerischen Aktivitäten stehen im Mittelpunkt von Herwig G. Höllers aktuellem Lokalaugenschein in Russland und der Ukraine. So sehr darin die Zeichen totalitärer Repression, die zuvor länger in der Versenkung verschwunden war, wiederkehren, so sehr lässt sich damit auch die Hoffnung verknüpfen, dass politisch engagierter Kunst gegenwärtig ein wichtigerer Stellenwert als je zuvor beigemessen wird. Ähnliches gilt auch für die Bestandsaufnahme, die Thomas Edlinger aktuell in der israelischen Kunstszene unternommen hat. Nicht nur machen sich dort zusehends Protest und Unmut gegen eine als immer unzumutbarer erachtete politische Realität breit, sondern es mehren sich auch die kritischen Ansinnen gegen eine Kunstpolitik, die in erster Linie kalmierend aufzutreten versucht.
Kurze Fallstudien in »Art of Angry« sind der aktivistischen Videoszene in Syrien, der zunehmend unter Beschuss geratenden Roma-Kultur in Ungarn sowie den Ansätzen queer-feministischer Kunst in Polen gewidmet. »Empört euch!« mag vor Jahren der verbindende Schlachtruf all dieser heterogenen Szenen gelautet haben. Jetzt – und darauf zielt die Mehrzahl der hier vertretenen Beiträge – geht es darum, dieser Empörung eine längerfristige, haltbare Basis zu geben.