Heft 3/2012 - Lektüre



Tiqqun:

Anleitung zum Bürgerkrieg

Hamburg (LAIKA-Verlag) 2012 , S. 74

Text: Hans-Christian Dany


Wer veröffentlicht Anleitungen zum Bürgerkrieg? Der LAIKA-Verlag, wo neben Tiqquns Überlegungen zur Eskalation überhaupt ein überraschend kompromissloses Programm erscheint. Dass die Theoriereihe des jungen Verlags zunächst mit dem weniger erstaunlichen Entertainer Slavoj Žižek eröffnete, deutet an, man möchte sich nicht allein auf politische oder akademische Nischen beschränken. Radikales bis militantes Denken gegen eine staatliche Monopolisierung des Politischen überzeugt hier zudem, da der Hamburger Verlag unabhängig von Fördermitteln der öffentlichen Hand agiert. Das Geld soll aus Filmrechten stammen, die der Filmproduzent und ehemalige »Cinema«-Redakteur Willi Baer besitzt, der den Verlag gemeinsam mit dem Autor, Filmemacher und Exterroristen Karl-Heinz Dellwo vor drei Jahren gegründet hatte.
Vor wenigen Wochen sorgte der Verlag für einiges Aufsehen: LAIKA war von den Linken Buchtagen in Berlin wegen seines unter Antisemitismusverdacht gestellten Buchs »Mitternacht auf der Mavi Marmara« nicht eingeladen worden. Als Reaktion rief LAIKA mit großem Erfolg zur Solidarität gegen »Zensur« und zum Boykott der Veranstaltung auf, bis die Organisatoren der Buchtage dem Druck nachgaben und den Verlag doch noch einluden. Ob Solidarität mit einigen der die Politik Israels kritisierenden Stimmen im Sammelband zur Blockadedurchbrechung nötig war, könnte man infrage stellen. Die massive Reaktion scheint wiederum zu großen Teilen der Penetranz antideutscher Gruppen geschuldet, welche die Stimmung gegen das Buch anstießen. Dem nach alten Grabenkämpfen duftenden Gerangel zum Trotz wirkt LAIKAs Brückenschlag zwischen Theorie und Aktivismus in der Summe äußerst erfrischend und gegenwärtig.
Bei Tiqqun handelt es sich im Unterschied zu vielen anderen Stimmen des Verlags nur bedingt um eine Entdeckung. Das französische Autorenkollektiv wandert seit 2003 durch die linke deutschsprachige Verlagslandschaft. Zuerst erschienen zwei Bände bei diaphanes, etwas später einer bei Merve, dann folgte »Der kommende Aufstand« des prominenten Seitenarms Unsichtbares Komitee, eine Art langes Manifest, das zuerst als pdf bzw. fotokopiert kursierte, bis Nautilus mit einer um Klarheit bemühten Übersetzung einen Bestseller damit landete. Als sei das noch nicht genug, wurde ein ehemaliges Tiqqun-Mitglied unter dem Alias »Claire Fontaine« in zahllosen Kunsträumen gezeigt und weitete dabei den experimentell-revolutionären Ansatz auf Backsteinskulptur und Neonparolen aus.
Nun veröffentlicht LAIKA eine Reihe wichtiger Fragmente, die »Der kommende Aufstand« vorbereiteten, einen Text, der innerhalb der deutschen Linken auf große Skepsis stieß. Im Zweifelsfall müsste es sich bei den KäuferInnen um »Wutbürger« handeln, die für solchen unscharfen Anarchismus alter Schule anfällig wären und am Ende doch nur mit dem Ausweg des konsumkritischen Landlebens liebäugelten. Ungefähr so lautete eine verbreitete linke Spekulation zum Erfolg des Buchs, welches dann auch noch einigen konservativen FeuilletonistInnen gefiel. Dass es sich mit Tiqqun oder dem Unsichtbaren Komitee anders verhält, zeigt »Die Anleitung zum Bürgerkrieg« nun nochmals. Die kantig geschnittenen, wie poetisch schwebenden Bemühungen um eine Form, welche sich der gleichgeschalteten Sprache der Kommunikation verweigert, dürften es aber schwer haben, eine breitere Leserschaft zu erreichen. Eine der wenigen bisher erschienen Kritiken heftet die »Anleitung« unter der derzeitigen Mode der Aufstandsliteratur ab. Aha! Sollte es eine solche geben, wissen sich ihre DarstellerInnen in diesem Fall recht unmodisch auszudrücken, was sich auch schon mal ein wenig gespreizt lesen kann, in Wirklichkeit jedoch auch daran liegt, dass die Mehrheit längst aufgegeben hat, als Subjekt zu sprechen.
Die jetzt vorliegenden Texte – der Verlag kündigt bereits 400 weitere Seiten von Tiqqun an – wurden vor mehr als elf Jahren im Rahmen der gleichnamigen Zeitschrift verfasst, die gerade einmal zwei Jahre existiert. Sie wurden von Menschen geschrieben, die zu diesem Zeitpunkt mit der Sprache der Universitäten brachen und von denen nicht wenige auch bald den großen Bruch mit der Gesellschaft wagen sollten. Dort, wo sich dieser Bruch in poetischen Formfindungen ausdrückt und sprachliche Bilder von großer Dichte findet, liest sich das Buch auch am spannendsten. Aufregende, regelrecht beunruhigende Passagen entstehen vor allem dort, wo der Text auf mikropolitischen Selbstbeobachtungen fußt: Da geht es um unterschiedliche Schärfen des Selbstbewusstseins an Tagen, an denen die Kasse des Supermarkts durch den Ladendiebstahl ignoriert wird, im Gegensatz zu solchen der Schwäche: »Ich zahle in der Tat für das Recht am Nicht-Vorhandensein.« Neben solchen mit Leben gefüllten Überlegungen zur Subjektivierung nimmt sich die Denkfigur des Bürgerkriegs oft ein wenig abstrakt aus.
Ausführlich arbeiten sich Tiqqun an Giorgio Agamben ab, und im Steinbruch wird die Luft staubig. Ob es an der harten Arbeit oder an Agambens Schwäche für einen gewissen Nebel liegt, der sich im Weiterdenken potenziert, lässt sich nur bedingt ausmachen. Der nebelig verhangene Raum wirkt großartig, solange die Atmosphäre nicht zum Selbstläufer wird, scheint das Ziel doch viel mehr darin zu liegen, die Konturen der Konfrontation schärfer zu zeichnen. Im Hintergrund spukt der an den Rändern einer intellektuellen Verhandlung des Bürgerkriegs unvermeidliche Carl Schmitt. Spätestens der Auftritt dieses Rumpelstilzchens macht klar, dass wir es hier mit AbsolventInnen bester französischer Eliteuniversitäten zu tun haben. Nichts gegen eine gute Ausbildung, denke ich, während vor dem Fenster des TGV die verwüsteten französischen Städte wie in einem Traum vorbeiziehen. Dennoch frage ich mich, ob ich deren Abarbeitung an Agamben tatsächlich brauche. Ja, kann sein, mir bleiben da immer Zweifel. Aber letztlich glaubt man gar nicht, was für ein elender Abklatsch diffuser Theorie das Leben ist, weshalb ich weiterlese. Aber brauche ich das alles auch noch durch Carl Schmitt gedacht? Nein, den lese ich dann doch lieber im Original. Bin ich einfach der falsche Leser? Ja und nein. Selbstverständlich bin ich die Zielgruppe von Tiqqun, auch wenn es die gar nicht gibt. Wobei dieses Buch eher für die Euphorisierten gedacht ist, die es genau wissen wollen, wie es sich mit dem kurzlebigen Mythos Tiqqun verhält, jener undurchsichtigen Gruppierung, die nach dem 11. September 2001 abtauchte. Die Fragmente bilden aber auch ein Dokument der Militanzdebatte vor diesem Ereignis. Und beim Lesen wird deutlich, wie wenig an den Konzepten eines linken Terrorismus seit dieser Eskalation weitergearbeitet wurde. Anregend liest sich dies zusammen mit jenen Passagen, in denen sich Tiqqun vom »schwachen« Denken des Dekonstruktivismus zu entfernen versucht, um zu einer Handlungsfähigkeit zu gelangen, in der die Macht nicht mehr kritisiert wird, sondern MAN sich ihr widersetzt.