Wien/New York. »It has gotten to the point that most forms of engagement with the art world have become so fraught with conflict for me that they are almost unbearable, even as I struggle to find ways to continue to participate«, bekennt Andrea Fraser in ihrem Beitrag zur Whitney Biennial 2012. In Form eines Aufsatzes mit dem Titel »There’s No Place Like Home« problematisiert sie die Wechselwirkungen zwischen einer immer häufiger als »kritisch« oder »politisch« bewerteten Kunst und deren sozialen und ökonomischen Bedingungen. Angesichts einer Kunstwelt, die direkter Nutznießer der (nicht nur in den USA) wachsenden Einkommensungleichheit ist,1 konstatiert die Künstlerin eine sich stetig vergrößernde Kluft zwischen dem wirtschaftlichen Status der Kunst und dem, was KünstlerInnen, KuratorInnen und KritikerInnen ihr an alternativer oder gar revolutionärer Bedeutungs- und Handlungsmacht zuschreiben. Der Boom der Diskurse über den kritisch-politischen Charakter zeitgenössischer Kunst geht einher mit einem Verschweigen der unmittelbaren, materiell-ökonomischen und persönlich-emotionalen Motivationen und Konfliktlagen der AkteurInnen dieses Felds. So wird beständig eine Missinterpretation dessen perpetuiert, was Kunst heute ist und was es bedeutet, Teil ihrer Institution zu sein. »From this perspective, the task of art and especially of art discourse is one of structuring a reflection on precisely those immediate, lived, and invested relations that have been split off and disowned.«
Während Fraser für die New Yorker Whitney Biennial bewusst keine künstlerische Arbeit, sondern einen gleichermaßen komplexen wie selbstkritischen Katalogtext beisteuerte,2 zeigte das mumok in Wien unterdessen Frasers »Projection« von 2008. Die Reflexion auf persönliche Antriebe und Divergenzen wird von der Künstlerin hier in einer Videoinstallation ins Bild gesetzt, die die BetrachterIn in die daraus erwachsenden Widersprüche nicht nur intellektuell, sondern auch physisch und emotional einspannt.
In einem abgedunkelten Raum findet sich die BesucherIn der lebensgroßen Projektion einer, das Gesicht in den Händen verbergenden Andrea Fraser gegenüber. »I’ve always been extremely ambivalent about my field. And I made kind of a career of that ambivalence. But in the last couple of years it just got extremely difficult. I just don’t think I can do it anymore«, schluchzt sie. Als Häufchen Elend kauert sie in einem Ohrensessel von Arne Jacobsen, heult, stockt, wird laut, dann wieder leise – sie exponiert sich in ihrer ganzen Neurotik mit einer ans Unerträgliche grenzenden Peinlichkeit. Die Künstlerin spricht von Neid und Scham, vom Bedürfnis geliebt zu werden, von Konkurrenz, vom Erfolg in einem Feld, das sie zugleich verabscheut. An der gegenüberliegenden Wand erscheint zeitversetzt dieselbe Performerin, im selben Outfit und im selben Setting von braunem Sessel vor schwarzem Hintergrund. Ihr Auftreten aber ist grundverschieden: mit zugewandten Gesten, verständnisvoller bis eindringlicher Mimik und einer nachfragenden Art verkörpert Fraser überzeugend ihre eigene Therapeutin. Das Skript des 2-Kanal-Videos basiert auf tatsächlichen Psychoanalysesitzungen der Künstlerin, die Personalpronomen allerdings wurden für »Projection« teilweise adaptiert. Nun wird meist von Ich und Du gesprochen, und da von den Figuren jeweils nur die eine zu sehen ist, während die andere ins Dunkel abtaucht, wird die BetrachterIn zur (in-)direkten AdressatIn. »How does this make you feel?«, fragt die Therapeutin ihrer Profession gemäß bzw. ihr Gegenüber in die Bredouille bringend: »You’re observing theses mechanisms and relationships with great clarity. So? What is the alternative?« Auch die Patientin und leidende Künstlerin hebt gelegentlich den Blick in Richtung Therapeutin, Kamera und ZuschauerInnenraum: »You know, what I’m getting from you right now is just consistent incomprehension, ok? […] It doesn’t feel encouraging.«
Die Inszenierung selbst scheint immer wieder thematisiert zu werden, wobei psychoanalytisches Vokabular und Bezüge zur Performancekunst verschwimmen. »I became this figure for you. […]; And now you’re reenacting these dynamics here. […]; I feel like … like I’m producing this for you.« Derweil entspinnt sich ein komplexes Gefüge aus Beziehungsstrukturen dicht um die BetrachterIn. Das Verhältnis zwischen »neurotischer« Patientin und ihrer sie analysierenden Therapeutin verkörpert auch den inneren Konflikt dieser intellektuellen, institutionskritischen und erfolgreichen Künstlerin, einen Konflikt zwischen unmittelbaren, affektiven Bedürfnissen und einer analytisch distanzierten, professionell kritischen Über-Ich-Instanz. Die Grenzen dieser Seiten sind dabei durchaus nicht immer klar gesteckt. Zuweilen scheinen Äußerungen fehl am Platz, unterwandern eine diametrale Positionierung. So etwa wenn die Therapeutin fragt: »What do you have that I haven’t? Is it … physical, psychological, social, material power, is it beauty?«, oder wenn die Patientin der Therapeutin konstatiert: »Well, that’s your neurosis.« Die analytisch-kritische Seite und die »banalen« Bedürfnisse nach Anerkennung erweisen sich damit als nicht separierbar und zutiefst verwoben. Institutionelle Korrumpiertheit ist ebenso Teil der Künstlerin wie kritische Reflexion. Selbstredend ist die Situation der BetrachterIn hier keine andere, als KritikerIn oder AusstellungsbesucherIn ist auch sie in diese Kunstwelt verstrickt. Sie hat deren Werte internalisiert und kann nicht umhin, deren Mechanismen zu reproduzieren. »Just as art cannot exist outside the field of art, we cannot exist outside the field of art, at least not as artists, critics, curators etc. […] It is because the institution is inside of us, and we can’t get outside ourselves«, schrieb Fraser 20053. Wenn die Therapeutin in »Projection« nun fragt: »If you left this system behind of being in this world, wanting from it, hating it, what are you losing?«, muss die Antwort folglich lauten: »Alles.« Der Ausweg ist für die Künstlerin versperrt, ihre Existenz als Künstlerin gibt es ebenso wenig jenseits des Systems wie die meine als Kritikerin. Wo ein Außen der Kritik immer schon versperrt ist, bleibt nur die problematisierende Selbstsituierung. Widersprüche werden dabei freilich nicht aufgelöst, aber zumindest benannt und wahrgenommen. Das Resultat ist keine Individualisierung gesellschaftlicher und institutioneller Verhältnisse, sondern ein Weg, den Zusammenhängen in ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit gerechter zu werden. Andrea Fraser trägt dem Rechnung, was in der sogenannten »kritischen Kunst« wie auch der »Kunstkritik« nur allzu oft ausgeblendet wird – unseren Wünschen und Bedürfnissen, die uns mitspielen lassen in jenem Spiel, das wir kritisieren, während wir aus ihm Profite und Befriedigungen ziehen.
1 Dies schlägt sich nicht nur in den Profiten des Kunstmarkts, sondern wesentlich auch in einem Zuwachs an Museen, Biennalen, Non-Profit-Räumen (sic!) und akademischen Kunstprogrammen bei gleichzeitigem Rückgang von öffentlicher Kunstförderung und einem zunehmend privat zentriertem Reichtum nieder.
2 »Should I boycott these exhibitions as Occupy Museums and other groups have called upon artists to do? […] Writing an essay for the Whitney Biennial rather than contributing an art work was a way of participating and not participating at the same time, while attempting to engage the exhibition as an opportunity to reflect on these conflicts as honestly and directly as I could.« (Andrea Fraser im Interview mit der »Huffington Post« vom 23. März 2012 über ihre Teilnahme an der Whitney Biennial)
3 Andrea Fraser, From the Critique of Institutions to an Institution of Critique, in: Artforum, September 2005.