Wien. Die Tür ist verrammelt, das Ausstellungsplakat klebt auf Klinkenhöhe, ein Loch ist hineingebohrt auf Schlüssellochniveau und drückt im Bild jenes Fenster ein, wo der eigentliche Eingang zur Ausstellung im Untergeschoss der Secession wäre. Mager, rechtfertigt man seinen Voyeurismus, und gafft natürlich durch das Loch. Das lohnt sich. Einen behaarten Bauch erblickt man statt minimalistischer Innenarchitektur und – inzwischen mit äußerster Beharrlichkeit – einen Dildo in Deutschlandfarben in der Hand des, als Künstler vermuteten, Schlafenden. Hier lacht es sich schon mal gemeinsam.
Stephan Dillemuth selbst hat sich eine verletzliche Ausstellung gewünscht, die sich keiner Überwachung unterwerfen muss, und die, etwas pathetisch formuliert vielleicht, aber aus einer politischen Leidenschaft heraus einnehmend, in Zeiten der Kontrollgesellschaft ein wieder etabliertes Vertrauen ausstrahlen soll.
Dillemuth geht es um nichts weniger als die Möglichkeiten künstlerischer Forschung in Hinblick auf eine gegenwärtige Verschiebung des Öffentlichkeitsbegriffs. »Ist zeitgenössische Kunstproduktion«, so fragt er, »den aktuellen Veränderungen passiv ausgeliefert, oder versteht sie sich demgegenüber als eine Art epistemologisches Werkzeug? [...] Gute Forschung reflektiert sich selbst und richtet sich demnach auch gegen Rahmenbedingungen«1 – damit natürlich auch gegen die Institution Secession, die, wenngleich sympathisch als KünstlerInnenvereinigung, doch mit der Bürde einer Auratisierung par excellence behaftet ist.
Naheliegend, sich in gewisser Weise von der Secession zu sezessionieren. Also heraus aus der Institution, herum um die gesamte Pracht und beim anderen Seiteneingang wieder hinein. So stülpt sich auf unaufgeregte Weise der Außen- in den Innenraum ein, Kontroll- und damit Einschlussinstanzen wie Eintrittspreise, Aufsicht und Öffnungszeiten sind aufgehoben, in den Räumen sind Spuren der vorangegangenen Ausstellung erhalten – Klebschaumreste, Verkabelungen statt einer unberührten Plattform, statt auratisierter Räume. Und natürlich wird auf diese Weise gleichzeitig eine »Archäologie« des Ausstellungshauses freigelegt, werden die Schichten der vielen Produktionen angedeutet, die normalerweise nach einer bestimmten Frist wieder gelöscht werden und so die Repräsentationsebene intakt halten.
Der erste Raum wirkt wie ein Patio, ein Hausbrunnen plätschert vor sich hin. Ein Kaffeehaustisch dient als Sockel, auf dem sich Zahnräder, ein Negativkörper und ein Zicklein zu einem Ensemble stapeln, nicht marmorn, sondern mit Gips überzogen. Natürlich ist das ein Spiel mit Insignien des Bürgertums, ein ikonografisches Spiel, aber es lässt sich nicht darauf reduzieren. Genauso erzählt die Skulptur davon, dass der Brunnen einst das Symbol von Öffentlichkeit war, dieser Funktion inzwischen beraubt nur noch als Ornament Beachtung zu finden scheint, und schließlich kann die Figur über diese Metaphorisierung ganz einfach die Frage nach heutigen öffentlich zugänglichen Quellen stellen – Open Sources beispielsweise.
»Ohne alles, auch ohne Titel« im nächsten Raum ist eine weitere komplexe Skulptur, die Bedeutungen nur so stapelt. Auf dem Boden liegt ein Zahnradlaufwerk aus Gips, das, aus der Wand betrieben, einen Sockel stützt, der wiederum einen Negativabguss eines Körpers trägt, nämlich jenen des Künstlers, als er mal wieder in der Secession schlief. Ein Beamer auf der Skulptur überträgt Bilder des Außen wechselnd mit Bildern aus dem Inneren dieser gipsernen Körperhülle rundum in den Raum. Der Boden ist flüchtig mit Klebeband markiert, schwarze, bekleckerte Malermatten liegen unter der Skulptur. Sternparkett und Teppich mit Wanduhr als großbürgerliches Ambiente, das ironisiert bzw. entnobilitiert wird? Es kann sein – oder eben auch nicht. Dillemuth gibt nichts vor, drängt keine Assoziationen auf. Vielleicht ist es sogar einmal mehr eine freundliche Verführung: Dem eingenommenen Status entsprechend metaphorisiert man eben selbst. Genauso ließe sich über das Künstleratelier als Ort des Genius spekulieren, über das Spiel mit der An- bzw. Abwesenheit des Künstlers, über die Verknüpfungen bürgerlicher Kapitalkraft mit Vorstellungen von einer wilden, entfesselten Boheme, die von den KünstlerInnen wiederum genährt wird. Und natürlich kann man damit immer noch nicht aufhören und setzt das mechanische System, das Ineinandergreifen der Räder, in Bezug zu einem gesellschaftlichen, fühlt sich bemüßigt, über die Gleichzeitigkeit von Funktionieren und extremer Verletzlichkeit des Systems bzw. des Einzelnen zu sinnieren, um schließlich über den zugewiesenen (auch dann, wenn es selbst gewählt aussieht) Ort des Körpers zu spekulieren und damit bei der Gouvernementalität angekommen zu sein: Wer wird wie regiert, welche Selbstverhältnisse und Vorstellungen von subjektiver Souveränität verkörpern geradezu eine gouvernementale Normalität?
Im dritten Raum nun schaut sich ein ausgestopfter Ziegenbock, neben der Andeutung eines Stalls platziert, das Video »The Hard Way to Enlightenment« an. Fühlt sich jemand an Beuys, der dem Hasen die Kunst erklärt, erinnert? Der Film zitiert Pop-Art-mäßig zwei Figuren, beide von Dillemuth dargestellt, das autonome Subjekt in der Erscheinung des bohemistischen Malers und den Gefangenen, vom Maler mit Chips, Wasser und Bananen versorgt und dafür immer wieder skizziert oder porträtiert. Sämtliche Klischees werden aufgeführt, wieder werden Abhängigkeitsverhältnisse und aufrechterhaltene Dualismen von Bürgertum und Kunst bzw. Bildung und Wissen zu Fußangeln, wieder wird man verführt, sich Fragen zu stellen: Wo beginnt die persönliche Unterstützung eines Systems und wo die Abhängigkeit von ihm?
Irgendwann stolpert dann noch eine Ziege durch die lauschige Szenerie und ein Spiel mit der patriarchalen Zuneigung zur weiblichen Muse wird inszeniert. (Karöttchen gefällig? Und dann stehste wieder stramm für meinen Kanon.) So sind diese Bilder auch als eine feministische Auseinandersetzung mit den Schweinsigeleien männlicher »Malergenies« zu verstehen.
Und wem bis jetzt noch nicht klar war, dass Stephan Dillemuth ein feministischer Mann ist, dem öffnet die zweite Installation zweifellos die Augen. »A certain lack of Coherence« ist ein freizügiges Reenactment von Marcel Duchamps letzter Arbeit »Étant donnés: 1° la chute d’eau/2° le gaz d’éclairage«.
Hier schließt sich auch der Kreis der Ausstellungsverschiebung – durch das Schlüsselloch erscheint, statt anmutiger, weiblicher Muse der auf dem Rücken liegende Dillemuth, die Hoden abgeklebt wie bei einer Kastration. Hoch schwebt der erledigte schwarz-rot-goldene Phallus in seiner Hand, ein Hoch auf die deutsche Männlichkeit. Und natürlich ist es das Tableau zum anfänglichen Ausschnitt. Diese letzte Ironie bedient eine fundamentale Neuaufteilung ebenso wie eine Absage an Konventionen. Auch an die Konvention des Gegenkonventionellen.
1 Stephan Dillemuth, The Hard Way to Enlightenment, Video 2010; free Download unter: http://societyoutofcontrol.com/down .