Heft 3/2012 - Netzteil


Sound, Art, Vision

Über Anziehung und Abstoßung zweier wahlverwandter Medien

Christian Höller


Denkt man über die Zusammenführung von Klang und Bild nach, wie sie in elektronischen Medien heute weithin praktiziert wird, so kommt man in analytischen, sprich differenzierenden Begriffen nicht allzu weit. Zu verwoben, zu sehr ineinander vertrackt sind die beiden Bereiche längst geworden. Aspekte von Visualität scheinen – in unzähligen, bis dato angesammelten historischen Ausformungen – auf eine Weise in die aktuelle Soundkultur verwoben, dass sich nur schwer eins vom anderen trennen lässt. Ja mehr noch: Die geschichtliche bzw. »retrofixierte« Sedimentierung, die egal in welcher Form von musikalischer Praxis heute unweigerlich am Werk ist,1 wird stets noch von Formen einer damit einhergehenden »Umwegvisualität« getoppt. Gemeint sind damit jene »äußerlichen« Visualitätsschichten, die – egal wie immateriell das musikalische Objekt inzwischen geworden sein mag – auf vielerlei Ebenen zum Kern des Musikalischen hinzukommen. Die sich, ein Blick auf einschlägige YouTube-Praktiken bestätigt dies, in diesen regelrecht hineinverweben, sodass insgesamt kaum noch ein Hörerlebnis unabhängig von solchem Begleitflimmern vorstellbar ist.
Um dieser zunehmenden Ballung und Verstrickung, die zwischen Musik und Visualität gerade stattfindet, etwas von ihrer Undurchdringlichkeit zu nehmen, sollen hier zwei gegenläufige Tendenzen herausgestrichen werden, die in diesem Prozess am Werk sind. Es ist dies, vereinfacht gesagt, eine Phase der Anziehung und eine der Abstoßung – beide darauf zurückgehend, was man als die unumkehrbare Durchmischung der beiden Bereiche bezeichnen könnte.
Die Anziehungskraft, die Musik- und Visual-Bereich in jüngerer Vergangenheit aufeinander ausgeübt haben, ist schnell benannt. Zwar reicht die Vorgeschichte dieser »Affäre« in die Anfänge des 20. Jahrhunderts zurück (Stichwort abstrakter Film bzw. visuelle Musik),2 doch soll hier an eine aktuellere Episode erinnert werden, die im lokalen Kontext gelegentlich als eine Art »goldenes Zeitalter«, was das Zusammenführen von Ton und Bild betrifft, betrachtet wird. Gemeint ist damit jene, ab Mitte der 1990er-Jahre einsetzende Phase, in der vor allem aufgrund der leistbar und handhabbar gewordenen Digitaltechnologie beide Bereiche auf gemeinsamer Produktionsbasis zusammengeführt werden konnten. Zwar ging vieles von dem, was unter dem Etikett »Austrian Abstracts«3 kurze Zeit auf einschlägigen Festivals einen Präsentationsrahmen erhielt, anfangs von einem recht klassischen Modell aus: zu einem elektronisch produzierten Musikstück ein gleichfalls digital hergestelltes und damit der »Feinkörnigkeit« des Sounds vergleichbares visuelles Pendant herzustellen. Aber schnell erwuchs daraus eine tatsächlich neuartige Möglichkeit, nämlich dass VisualistInnen Teil einer Musikgruppe werden konnten, da beide ja primär mit elektronischen Signalen arbeiteten und nunmehr mit den Inputs, die der jeweils andere Teil der Band lieferte, im eigenen Medium operiert werden konnte.
Die Visualistin Michaela Grill und der Musiker Martin Siewert, die beide unter anderem in der Formation My Kingdom For A Lullaby aktiv waren und eine Reihe von gemeinsamen Arbeiten produzierten, erinnern sich: »Die Musiker haben diverse Geräusche bzw. musikalisches Rauschen bereitgestellt, die von den beiden Visualistinnen zunächst mit einem Analogmixer in Bilder umgesetzt und dann weiter bearbeitet wurden. Die Band wiederum hat dann mit diesem Material improvisiert, und so hat sich der ganze Prozess wechselseitig verstärkt.«4
Die »Anziehung« bestand demnach in erster Linie darin, Ton und Bild als prinzipiell gleichwertig anzusehen. Sie im besten Fall wechselseitig auseinander hervorgehen zu lassen, sie aus dem Innersten, sprich dem gemeinsamen digitalen Code heraus zu entwickeln – und nicht das eine über das andere zu stülpen, eine Art sekundäre Bildanreicherung zu vollziehen und damit die vorhin erwähnte »Umwegvisualität« zu schaffen.
Wenn man sich entschloss, konzentriertere Klang-Bild-Kombinationen als geschlossene künstlerische Form anzusehen und sie als fertig abgepackte Arbeit zu präsentieren, dann mehr, um darin nochmals in komprimierter, zeitlich überschaubarer Form die gemeinsamen Tiefenstrukturen von Musik und Video zum Vorschein zu bringen. Und nicht so sehr, um den Kunstmarkt mit elektronischer Ware zu beliefern, auf die dort zu der Zeit (um das Jahr 2000) ohnehin niemand groß gewartet hat. Damit ist gleich auch eine der neuralgischen Stellen benannt, an der sich so etwas wie eine Tendenz zur Abstoßung der beiden Bereiche abzuzeichnen begann.
Das erneute Auseinanderdriften, das sich vielleicht gar nicht so sehr in der tatsächlichen Praxis als in einem bestimmten Denkmodus äußert, lässt sich zunächst in jenem »institutionellen Unbehagen« orten, dem die ausgesprochenen Hybridformen aus Klang, Bild und Kunst nach wie vor ausgesetzt sind. Zwar wurden den audiovisuellen Acts, die sich aus dem Inneren ihrer verwendeten Medien heraus einer Neuzusammenführung widmeten, eine Zeit lang – in der ersten Hälfte der 2000er-Jahre – durchaus Tür und Tor diverser Institutionen geöffnet. Aber sieht man von einer Handvoll Festivals (von sound:frame bis zur transmediale) einmal ab, so sind die Outlets für derlei Kunstformen nach wie vor recht knapp bemessen oder eher sogar im Schwinden begriffen.
In dieser institutionellen Verknappung artikuliert sich ein Aspekt, der das Zusammenspiel von Sound und Visualität im größeren Ausmaß betrifft. Nachdem heute medial alles mit allem zusammengeht – man braucht nur einen Blick auf die gängigen Club-Visuals werfen –, macht sich umgekehrt ein Unbehagen breit, dass womöglich überhaupt nichts mehr mit etwas anderem, von außen Hinzugefügtem, zusammenpasst. Egal wie perfekt Rhythmen, Schnittfolgen, Bildaufbau, Texturen, Klangfarben etc. im Einzelfall aufeinander abgestimmt sein mögen, macht sich unterschwellig eine Absetzbewegung bemerkbar, der zufolge die Musik die ihr zugedachten Bilder gleichsam abschütteln möchte; sie die visuellen Zusatzschichten, die oft nicht mehr als bloße Ablenkung vom Eigentlichen darstellen, nicht länger mitschleppen will. Soundextremismen, denen kein wie immer gestaltetes Bild mehr angemessen ist, sprechen diesbezüglich eine deutliche Sprache. Aber auch visuelle Arbeiten, die sich primär der Erforschung bildeigener Qualitäten widmen, als dass sie sich der Verschaltung und damit der Gefahr der »Übertönung« durch welche Musik auch immer aussetzen würden. Sounds, für die man nicht sofort assoziierbare Bilder parat hat, und Bilder, die ihre »Musikalität« ganz ohne klangliche Begleitschicht entfalten.
Produktiv machen ließe sich diese Absetzbewegung hingegen dadurch, dass nicht die völlige Auflösung, sondern eine Neuzuspitzung des Bild-Ton-Verhältnisses gesucht wird. Sprich, es gälte, die schleifenartigen Sound- und Visualitätskoppelungen, die aus dem Inneren der beiden Medien herrühren, weiter fortzuführen – wobei Musik und Bild nicht voneinander abgespaltet, sondern so weit wie möglich von der Beliebigkeit ihrer Koppelung befreit werden. Mittlerweile existieren eigene kleine Kunstformen wie jene der sogenannten »Echo Jams«5, bei denen minimale Musik- und Bildfragmente derart miteinander verzahnt werden, dass daraus schillernde Kristalle, kleinste Resonanzeinheiten von Ton und Bild zu erstrahlen beginnen. Derlei »Jamming«, das Neuverrühren von klanglichen und visuellen Elementen, ist selbstverständlich nicht neu, sondern wird im Avantgardefilmbereich seit ewigen Zeiten gepflogen. Dennoch ist es bezeichnend, dass derlei Audiovisionsformate heute vorrangig im Internet existieren – als wäre dies ihr ureigenster, immer schon für sie vorgesehener Ort und nicht der Club, das Kino oder die Ausstellung.6
Wohin die unausweichliche Durchmischung bzw. Einswerdung der verschiedenen Medien im Endeffekt führt und was sich dem wirkungsvoll entgegenhalten lässt, ohne den gewählten Kontext gänzlich zu verlassen, ist in Summe nicht wirklich absehbar. Aber mehr denn je sieht sich der kombinatorische Umgang mit Bild und Ton heute an einem Entscheidungsmoment angelangt. Der Punkt ist der, dass das Zwingende der Medienvermischung nicht so sehr im von außen Herangetragenen, im »Konnektiven« und auf diese Weise Mehrwert Schaffenden liegt, sondern vielleicht stärker als bislang angenommen im bereits existierenden gemeinsamen Unterbau der verwendeten Materien, ja gleichsam in deren »Schwundstufe« verankert ist. Um Anziehung und Abstoßung der medialen Begegnung zum Vorschein zu bringen, gälte es demnach, erst in diesen Unterbau und das per se schon komplexe Ineinandergreifen von Klang- und Visualitätspartikeln einzudringen, anstatt den Weg der sekundären, Schicht auf Schicht türmenden Bild- bzw. Tonanreicherung einzuschlagen. Der Prozess, dies zu erlangen, ist mithin einer, der mehr subtraktiv und reduzierend denn additiv oder akkumulierend vonstattengeht.

Teile dieses Texts gehen auf eine Keynote zurück, gehalten am 13. April 2012 zum Auftakt des sound:frame-Festivals 2012 im MAK Wien.

 

 

[1] Vgl. Simon Reynolds, Retromania. Pop Culture’s Addiction to Its Own Past. London 2011, wo dieser Aspekt auf vielerlei Ebenen, von der Mode über die zunehmende Musealisierung von Rockmusik bis hin zu den beständig anschwellenden Internetarchiven, abgehandelt wird.
[2] Vgl. Cosima Rainer et al. (Hg.), See This Sound. Versprechungen von Bild und Ton. Köln 2009 sowie: Dieter Daniels/Sandra Naumann/Jan Thoben (Hg.), Audiovisuology 2: Histories and Theories of Audiovisual Media and Art. Köln 2011.
[3] So die 1999 bis 2001 auf der Diagonale, dem Festival des österreichischen Films, vertretene Programmschiene.
[4] Das Fragmentarische ist die Erzählung. Interview mit Michaela Grill und Martin Siewert; www.musicaustria.at/magazin/musikleben/musik-fuer-film-und-medien/film-musik-gespraeche-das-fragmentarische-ist-die/ (April 2012).
[5] Vgl. Reynolds, Retromania, S. 79ff.; ein Beispiel ist zu finden unter www.youtube.com/watch?v=-RFunvF0mDw/.
[6] Demgegenüber sei auch an genuine Installationsformen erinnert, die einzig im Realraum funktionieren, etwa die CineChamber; www.rml-cinechamber.org/.