Antihumanismus in der Kunst? Vermutlich schrillen bei diesem Gedanken sofort die Alarmglocken, schwingt darin doch unweigerlich ein Aspekt von „Unmenschlichkeit“ mit. Doch nicht erst seit der letzten documenta ist die Frage virulent, wie ein Weltbild aussehen könnte, das vom Menschen als zentralem Bezugspunkt bewusst absieht. Ein gleichsam egalitäres In-der-Welt-Sein, das sich auf einer Stufe mit anderen Lebewesen und Organismen, und nicht als diesen herrschaftlich übergeordnet sieht. Eine Weltsicht, welche die vor Langem eingeleitete kopernikanische Wende weg vom menschlichen Subjekt als Mittelpunkt allen Seins konsequent weitervollzieht.
Die philosophischen, aber auch künstlerischen Ansätze, die sich dies zum Ziel gesetzt haben, lassen sich bis weit ins letzte Jahrhundert zurückverfolgen. Strukturalismus und Poststrukturalismus waren nur die letzten großen Spitzen eines Theorie-Eisbergs, der auf die „Dezentrierung“ des menschlichen Subjekts hin angelegt war und dabei – so scheint es im Rückblick der letzten 50 Jahre – an dieser Zentralstellung in pragmatischer Hinsicht insgesamt nur wenig ändern konnte. Gerade deshalb ist es immer wieder nötig, an die uneingelösten Versprechen und Ideen dieser Denkschulen zu erinnern bzw. sie nach Möglichkeit auf den Stand der Zeit zu bringen. Die Frage, inwiefern künstlerische Praktiken in dieser Hinsicht nicht ohnehin meist einen Schritt weiter und in Sachen Entthronung des alles bestimmenden Subjekts federführend waren, stellt hier eine ergänzende Perspektive dar.
Insgesamt mutet es reichlich paradox an, aus intellektueller, also denkender Position der Basis dieses Denkens, sprich der subjekt- oder personenzentrierten Vernunft, eine Absage zu erteilen. Das Fundament aller weltlichen und ästhetischen Erfahrung dadurch untergraben zu wollen, indem man das, was außerhalb ihrer selbst liegt, einzuholen versucht. Ja sich anschickt, aus diesem Einholen und Sich-Öffnen eine neue Denkbasis aufzubauen.
Die Beiträge im vorliegenden Heft gehen diesen Paradoxien nach und versuchen eine aktuelle Bestandsaufnahme von gegen den sogenannten „Anthropozentrismus“ gerichteten Ansätzen. Eine wesentliche Rolle kommt dabei dem Spekulativen Realismus zu, der seit geraumer Zeit von sich reden macht und der Objektwelt, unabhängig von einem wahrnehmenden oder erkennenden Geist, zu ihrem ureigensten Recht verhelfen möchte. Zwei Beiträge widmen sich diesem Komplex, der auch in der gegenwärtigen Kunstproduktion einen immer wichtigeren Part einnimmt. Zum einen breitet Rahma Khazam in einer Reihe von Interviews Positionen und Modelle aus, die aus kuratorischer und künstlerischer Sicht eine spekulativ-realistische Praxis erschließen lassen. Zum anderen werden im Gespräch, das Pascal Jurt mit dem Amerikanisten Ridvan Askin geführt hat, die theoretischen Grundlagen dieses Denkansatzes auf den Prüfstand gestellt. Nicht zuletzt betrifft dies auch die Art von Politizität, die – nicht auf Anhieb ersichtlich – in den Spekulativen Realismus eingeschrieben, oder wie die KritikerInnen sagen: darin abwesend ist.
Derlei Streitpotenzial kennzeichnet aber nicht nur das aktuelle subjektkritische Denken, sondern wirkt auch aus den historischen Tiefen des erwähnten poststrukturalistischen Versuchs der Subjektüberwindung nach. Félix Guattari, meist nur in Zusammenhang mit seinem langjährigen Philosophie- und Schreibpartner Gilles Deleuze rezipiert, erfährt diesbezüglich eine immer höhere Wertschätzung. Vor allem Guattaris im Zusammenhang ausgedehnter Lateinamerikareisen entwickelte Diagnose eines „integrierten Weltkapitalismus“ machte, lange bevor von den Vor- und Nachteilen der Globalisierung die Rede war, einen weltweiten „maschinischen Zusammenhang“ geltend. Diesem „Maschinischen“, der alles Subjektive weit übersteigt, geht Max Hinderer in seinem Essay nach, der die Aufmerksamkeit auf die „Fließbandproduktion“ jeglicher Form von Subjektivität lenkt und damit ein höchst akkurates Gegenwartsbild zeichnet.
In Félix Guattaris Idee einer das Subjektive hinter sich lassenden, weltumfassenden Wunschmaschinerie („Assemblage“, wie er es nannte) spielt auch der Animismus eine wichtige Rolle. Der Beseeltheit der Objektwelt, der in den letzten Jahren mehrere Ausstellungsprojekte gewidmet waren, wird in diesem Heft auf komprimierter Basis nochmals eigens nachgegangen. Jasbir Puar schließlich, die sich im Gefolge von 9/11 mit „terroristischen Assemblagen“ und dem Erstarken des von ihr sogenannten „Homonationalismus“ befasst hat, steht zu Aspekten des Posthumanismus Rede und Antwort. Innerhalb immer komplexerer diskursiver Netze wird das Humane, so Puars Fazit, „zu einem von vielen Knotenpunkten“ – anstatt der zentrale Bezugspunkt für Weltauslegung, Macht und Bedeutung zu sein. Diese Relativierung bzw. Erweiterung des Denkens gibt die Richtung vor, an der sich jede künftige Kritik am anthropozentrischen Modell wohl oder übel zu orientieren hat.
Die Beiträge dieses Hefts fragen insgesamt nach den Potenzialen einer Haltung, die sich aktiv gegen die instrumentelle Verfügungsgewalt des Menschen wendet. Einer großteils noch zu entwickelnden Einstellung, die sich selbst als grundsätzlich limitiert, bescheiden und unvollständig betrachtet. Ohne in den Regress einer unreflektierten Liebe zum „Anderen“ zu verfallen, soll so die Aussicht eines künstlerischen Antihumanismus erkundet werden – eines Denkens, das nicht Unmenschlichkeit verbreiten möchte, sondern sich als emanzipatorisches Projekt versteht.
Übrigens erscheint diese Ausgabe, wie Sie bereits bemerkt haben, in völlig überarbeitetem Design. Nach zehn Jahren, in denen die vom Grafikbüro Surface entworfene Gestaltung unverändert beibehalten wurde, war es an die Zeit, das Erscheinungsbild auf einen neuen, zeitgemäßen Stand zu bringen. Wir hoffen, dass Sie diesen Wechsel ebenso freudig begrüßen wie wir, die Redaktion.