Heft 1/2013 - Antihumanismus
Hinter dem Spekulativen Realismus und den „objektorientierten“ Philosophien verbirgt sich eine Denkweise, die eine radikal neue Sicht auf das Verhältnis von Kunstwerk und BetrachterIn wirft und für einige KünstlerInnen und KuratorInnen – die sich ihr in unterschiedlichem Maße anschließen – zunehmend an Attraktivität gewinnt. Im ersten der folgenden drei Interviews spricht der Kurator und Autor Tom Trevatt über die Ziele von The Matter Of Contradiction, einer vierteiligen Projekt- und Konferenzreihe, die er mitorganisiert und die sich der Untersuchung erfolgreicher Verbindungen zwischen Kunst und besagten Philosophien widmet. Das Projekt betont die Notwendigkeit, von der Idee der menschlichen Dominanz über das Objekt abzurücken, und spielt mit den Vorstellungen einer Kunst, die aus ökologischem Denken schöpft – und den Menschen als ein Objekt unter vielen in einer ihm völlig indifferent gegenüberstehenden Welt betrachtet.
Im zweiten Interview liefert der Kurator Vincent Normand ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie diese scheinbar abstrakten Ideen in der künstlerischen wie in der Ausstellungspraxis umgesetzt werden können: Seine Ausstellung Sinking Islands stellt eine Präsentation von Objekten dar, die nicht von ihrem Verhältnis zu ihren BetrachterInnen definiert werden – und diesen daher vollkommen indifferent gegenüberstehen. Ungeachtet ihrer zutiefst verstörenden Implikationen für die Kunst sind diese Vorstellungen von Ökologie und dem dezentrierten menschlichen Subjekt keinesfalls auf einen kleinen Kreis Eingeweihter beschränkt, sondern finden vielmehr breites Gehör.
Im dritten und letzten Interview berichtet die Künstlerin und Leiterin des Londoner Kunstraums Banner Repeater, Ami Clarke, von ihrer Auseinandersetzung mit kritischer Kunst und den Belangen, die sie mit den bereits erwähnten Philosophien und Praktiken teilt.
Tom Trevatt
Rahma Khazam: Sie haben vor Kurzem eine Konferenz mit dem Titel Undergrounding The Object mitorganisiert (September 2012, Vassivière, Frankreich), bei der es darum ging, sich das Objekt außerhalb des menschlichen Zugriffs vorzustellen. Welche Themen wurden dort vorrangig angesprochen?
Tom Trevatt: Ich arbeite in einem Team, das kontinuierlich erforscht, wie man möglicherweise innerhalb der bestehenden Geophilosophie neu über Kunst nachdenken könnte. Zu diesem Team gehören Sam Basu, Künstler und Kodirektor von Treignac Projet, der französische Künstler Fabien Giraud und die französische Kunsthistorikerin Ida Soulard, die im Limousin gemeinsam die Künstlerresidenz und das Atelier inkhuk betreiben. Unser fortlaufendes Projekt The Matter Of Contradiction begann 2011 im Rahmen einer Ausstellung von Fabien im Pariser Kunstraum Rosascape mit einem Vortrag des Philosophen Quentin Meillassoux und einer anschließenden Diskussion. Undergrounding The Object, ein einwöchiger Workshop im Treignac Projet verbunden mit einer zweitägigen Konferenz in Vassivière, war die jüngste Veranstaltung der Reihe. Unser Projekt ist der Versuch, Kunst als eine Ökologie der Objekte zu betrachten, die nicht durch menschliche Unterteilung oder Dominanz definiert wird, sondern durch ein größeres Geflecht von Verbindungen. Der Mensch ist innerhalb einer Ökologie von Objekten mit anderen verwoben, er ist ein Objekt unter vielen und kein bevorzugtes und bevorzugendes Subjekt. Um der jüngsten ökologischen Krise Rechnung zu tragen, muss der im Großteil unseres althergebrachten kontinentaleuropäischen Gedankenguts verankerte Anthropozentrismus zugunsten einer Verflachung des ontologischen Felds aufgegeben werden. Im Gegensatz zu allen nostalgischen Rettungsversuchen des vermeintlichen Wesens der Natur erlaubt uns der Ökologiegedanke, über das Menschliche hinaus und auf spekulative Art und Weise neu über Realismus nachzudenken.
Khazam: Der Konferenz Undergrounding The Object ging ein vorbereitender Workshop voraus, der die Evolution der Kunst unter den Bedingungen des Anthropozäns untersucht hat. Was genau meinen Sie mit Anthropozän und wie wirkt es sich auf das Kunstschaffen aus?
Trevatt: Anthropozän ist der geologische und chronologische Begriff, mit dem das Ausmaß menschlicher Aktivität auf dem Planeten angezeigt wird, die zu einem neuen geologischen Zeitalter führt. Dies hat entscheidende Implikationen. So können wir uns selbst nicht länger als unabhängig von und im Gegensatz zu unserer Erde betrachten, wir sind vielmehr eingebunden in Abläufe und Aktivitäten, die sich auf ihre geologische Realität auswirken. Dies führt laut unserer Beschreibung zu einem Schock, der wiederum unsere Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit definiert. Wenn Kunst zu einer Form von Realismus anregen soll, muss sie die Vorstellung aufgeben, der Mensch sei dem Objekt bzw. die Kultur der Natur überlegen. Stattdessen muss sie sich mittels einer Logik der Verflechtungen weiterentwickeln, wobei sie den Menschen notwendigerweise als Teil einer Welt begreifen muss, die ihm gegenüber extrem gleichgültig ist.
Khazam: In dem Workshop ging es darum, die Risiken zu erkennen, denen die Kunst ausgesetzt ist, wenn sie die Idee des Anthropozäns anzusprechen versucht. Können Sie etwas zu diesen Risiken sagen und wie man sie vermeiden kann?
Trevatt: Ja, wir haben eine Reihe möglicher Risiken oder Sackgassen bestimmt. So könnte die Kunst beispielsweise durch die Präsentation des Objekts auf die Idee des Anthropozäns reagieren. In der objektbasierten zeitgenössischen Kunst gibt es viele Beispiele, in denen versucht wird, unter dem Deckmantel der jüngsten philosophischen Bewegung der Object Oriented Ontology materielle Kunst zur Illustration dieser Philosophie einzuschmuggeln. Für uns ist dies jedoch lediglich eine Wiedereinführung des Erhabenen, die mittels der Darstellung des Realen im Ausstellungsraum das Verhältnis zwischen BetrachterIn und Kunstwerk zurückbringt. Ein weiteres Beispiel für eine Sackgasse ist die didaktische Reaktion, also das Schaffen von Kunst, die uns sagt, wie wir über das Anthropozän denken sollen. Die Verflechtung des Denkens mit dem Anthropozän erfordert eine Problematisierung der Beziehung zwischen künstlerischem Objekt und betrachtendem Subjekt, die aus einem ökologischen Verständnis von Realität schöpft, anstatt das dominante menschliche Subjekt wiedereinzusetzen.
Khazam: Ungrounding The Object umfasste auch Vorträge von Philosophen wie Graham Harman und Levi Bryant. Wie überschneidet sich Ihre kuratorische Praxis mit dem, was diese beiden schreiben?
Trevatt: Die Impulse für meine Arbeit kamen in letzter Zeit häufig von Gedanken und Positionen, die ich in Verbindung mit diesen und anderen DenkerInnen entwickelt habe. Ich halte die Ideen von Harman und Bryant für wichtige Impulsgeber in Bezug auf die Entwicklung einer kuratorischen Praxis, die das Reale zu denken versucht.
Khazam: Halten Sie den Antihumanismus für ein emanzipatorisches Projekt, das uns helfen kann, die derzeitigen Spannungen in der zeitgenössischen Kunst und der Gesellschaft zu überwinden?
Trevatt: Ich bin sehr unglücklich über das, was die zeitgenössische Kunst leistet, aber man kann die Probleme nicht umgehen, indem man dem Humanismus dialektisch einen Post- oder Antihumanismus gegenüberstellt. Emanzipation ist für diese Fragen ebenfalls der komplett falsche Ansatz: Mir erscheint es wichtig, ein größeres Verständnis für die Verflechtungen der Realität zu schaffen, anstatt zu versuchen, sich selbst aus der Situation herauszuziehen. Das wiederholt lediglich die dialektische Geste der Menschen-gegen-Objekt-Kritik, der wir uns mit unserer Arbeit entgegenstellen.
Khazam: Könnten Sie uns von der Ausstellung erzählen, die Sie kürzlich im Banner Repeater kuratiert haben? In welchem Verhältnis steht sie zu den Themen der Konferenz?
Trevatt: Ich arbeite mit dem Künstler Christopher Kulendran Thomas unter anderem auch an seinem fortlaufenden Projekt When Platitudes Become Form zusammen. Im Banner Repeater wurde eine von vielen Versionen dieser Arbeit gezeigt. Es geht dabei um den Erwerb von Kunstwerken einiger der bekanntesten KünstlerInnen Sri Lankas von Galerien in Colombo und die Umgestaltung dieser Arbeiten durch Kulendran Thomas für den zeitgenössischen Londoner Kunstmarkt. Der Verkauf dieser Werke im Westen dient der Finanzierung einer verdeckt operierenden Filmplattform, die sich gegen die Unterdrückung der im srilankischen Bürgerkrieg vertriebenen Volksgruppen ausspricht. When Platitudes Become Form hebt damit die ästhetischen und finanziellen Unterschiede zwischen London und Colombo hervor, zwischen den Machtzentren der Kunst und ihren Rändern, wobei sie unsichtbare politische Affekte erzeugt, die sich der Interpretation des Kunstwerks durch die BetrachterInnen entziehen. Die Publikation, die wir in Verbindung mit der Ausstellung herausgebracht haben, beinhaltet einen Essay von mir über eine Reihe der hier angesprochenen Themen. Die Arbeit von Kulendran Thomas war unglaublich inspirierend, um über eine Form von Kunst nachzudenken, die auf interessante Art und Weise die theoretische Grundlage des fortlaufenden Konferenzprojekts reflektieren kann.
Die dritte Veranstaltung der Reihe The Matter Of Contradiction findet vom 1. bis 3. März 2013 in der DRAF in London statt; http://lamatiere.tumblr.com/
_________________
Vincent Normand
Rahma Khazam: Letzten Sommer haben Sie eine Ausstellung mit dem Titel Sinking Islands (LABOR, Mexico City, 14. Juli bis 31. August 2012) kuratiert, worin Sie folgender Frage nachgegangen sind: „Wie würde eine Ausstellung von Dingen aussehen, die vollkommen allein stehen und niemandes Anwesenheit bedürfen?“1 Wie sehen Sie die Beziehung zwischen Kunstwerk und BetrachterIn?
Vincent Normand: Bei Sinking Islands – ein Projekt, das als Ausstellung und Publikation umgesetzt wurde – ging es weniger um eine Ausstellung ohne BesucherInnen, als darum, Objekte zu präsentieren, die weder durch ihr Verhältnis zu den BetrachterInnen definiert werden, noch durch Kategorien von Diskurs und Sprache. Das Ziel war nicht die Ablehnung der Subjektivität der BetrachterInnen, vielmehr sollten Objekte gezeigt werden, die sich gegen ihre Auflösung in Beziehungsfeldern zur Wehr setzen – und stattdessen zu „alleinstehenden“ Dingen werden, getrennt von Sprache und Diskurs des Menschen.
Mein Ausgangspunkt war die Idee, dass jede Ausstellung mit der Konstruktion einer isolierenden Schicht beginnt, die ihr Dasein ermöglicht und ihr einen Sinn gibt. Sinking Islands war der Versuch, darüber nachzudenken, wie dieser Isolationsversuch unterhöhlt werden könnte, ähnlich der Erosion des Fundaments einer Insel, die dazu führt, dass diese nach und nach im Meer versinkt.
Khazam: Zu den ausgestellten Arbeiten gehörten Etienne Chambauds Lapidation Piece (2012), 350 gravierte Steine, die auf dem Boden verstreut lagen, nachdem sie gegen die Galeriewände geworfen worden waren, und Nicholas Mangans A World Undone (2012), ein Video, in dem gezeigt wird, wie Partikel des Minerals Zirkon in Zeitlupe durch die Luft schweben. Wie passten diese Arbeiten zum Ausstellungsthema?
Normand: Die von mir zusammengetragenen Objekte manifestierten einfache Gesten – Schneiden, Stechen, Fallen, Einfügen, Verwickeln, Sedimentieren. Dennoch lieferte der abstrakte Raum der Sammlung und Übertragung, in dem die Autorität der KuratorInnen zum Tragen kommen soll, der erklärende Paratext, den wir zwischen den Objekten und über dieselben erwarten, nicht wie üblich Quellen und Verweise. Wenn Ausstellungen ein Mittel sind, BetrachterInnen dazu zu bewegen, die Objekte von ihrem Schweigen zu erlösen, damit sie sprachlich erfasst und erkenntnistheoretisch bewertet werden können, dann hat Sinking Islands sicherlich das Gegenteil bewirkt, indem sie ihre Nichtreduzierbarkeit auf jedwede Rettung durch die BetrachterInnen aufgezeigt hat.
Khazam: Ist Sinking Islands für Sie ein emanzipatorisches Projekt, das helfen kann, die Spannungen in der zeitgenössischen Kunst und der Gesellschaft beizulegen?
Normand: Ich versuche mit dieser Ausstellung, aber auch mit meiner Arbeit als Kurator ganz allgemein, einen Schnitt durch die Flut an Dingen zu machen, die unsere derzeitige Verfassung bestimmen. Wie der französische Philosoph Tristan Garcia vor Kurzem erklärt hat, erleben wir gerade eine „Epidemie“ von Dingen, überlappenden Faktoren, Netzwerken und Ereignissen, die Erkenntnis hemmen und denen wir gedanklich nicht folgen können. Dieser Zustand entspricht einer erkenntnistheoretischen „Panik“, in der alles „etwas“ ist und negatives Vorgehen nicht zu existieren scheint. Unter diesen Bedingungen ist jede Ausnahme-, Rückzugs- oder Unterschiedserklärung nur ein weiterer Beitrag zur Masse der Dinge. Was ich Nichtreduzierbarkeit nenne, ist eine mögliche Reaktion auf diesen Prozess der fortlaufenden Akkumulation.
________________
Ami Clarke
Rahma Khazam: Sie betreiben Banner Repeater, einen Raum für Kunst und eine Plattform für künstlerische Publikationen, die der Entwicklung kritischer Kunst gewidmet sind. Wie definieren Sie kritische Kunst, und warum haben Sie sich dafür einen offenen Kunstraum innerhalb eines laufenden Bahnhofsbetriebs ausgesucht?
Ami Clarke: Banner Repeater nutzt die in der Umgebung eines Bahnhofs vorhandenen natürlichen Zwischenräume – eine hohe Anzahl von PassantInnen, die Einbindung in eine breit gefächerte Ökologie von Netzwerken –, um experimentelle Kunstwerke in einem äußerst sichtbaren, von KünstlerInnen organisierten Projektraum zu platzieren, der gleichzeitig als Lesesaal für Veröffentlichungen über Kunst dient. Durch das frühmorgendliche Verteilen kostenloser Broschüren und anderer Publikationen mit kritischen und experimentellen Texten an PendlerInnen auf vollgepackten Bahnsteigen können wir mitunter schwierigen Stoff an ein breites Publikum bringen.
„Kritische Kunst“ ist ein dorniges Areal, viel davon ist in einem tödlichen Endspiel gefangen, wo sie nur noch eine Parodie ihrer selbst zum Besten gibt, die jede Art von radikalem Denken ausbremst. Mich interessieren unbequeme experimentelle Arbeiten, die das derzeitige Denken hinterfragen, die sich der ungewissen Rahmenbedingungen, innerhalb derer sie operieren, nur zu bewusst sind und die womöglich Auswirkungen auf unseren Alltag haben.
Khazam: Stehen Sie dem Spekulativen Realismus und objektorientierten Philosophien wohlwollend gegenüber?
Clarke: Die derzeit in unserem Projektraum ausgestellte Arbeit von Christopher Kulendran Thomas /i>When Platitudes Become Form, kuratiert von Tom Trevatt (Autor von The Allure Of Collusion, der neuen Publikation von Banner Repeater), versucht zu analysieren, wie künstlerisches Schaffen die gesamte Ökologie der Kunst mit einbeziehen kann, indem sie sich, durchaus auch kritisch, mit einigen der interessanteren Ideen des Spekulativen Realismus und der Object Oriented Ontology auseinandersetzt.
Banner Repeater bewegt sich auch innerhalb eines Netzwerks aus Beziehungen und Einflüssen der Kunstszene und des Kunstmarkts mit ihren eigenen selbsterhaltenden Wertproduktionen, legt das Augenmerk dabei aber auf eine experimentelle Kunstproduktion, die über die normale Bevölkerung bzw. den Mainstream verbreitet wird und ihren Teil dazu beiträgt, althergebrachte Vorstellungen zur Produktion und Rezeption von Kunstwerken zu hinterfragen. Entscheidend mag hier sein, dass ich Banner Repeater ausdrücklich als einen von KünstlerInnen organisierten Raum und als künstlerisches Projekt verstehe – nicht als Kunstwerk an sich, wobei die Grenzen hier sicher fließend sind. Vielleicht reicht dieser Raum ebenfalls über den beschränkten Horizont der Beziehung zwischen Werk und BetrachterIn hinaus.
http://www.bannerrepeater.org/
Übersetzt von Gaby Gehlen
1 Vincent Normand, /i>The Sunken World and the Desire for the Shore. Sinking Islands, LABOR, Mexico City, 2012; www.scribd.com/doc/100686320/Sinking-Islands-BOOK