Wien. Würde man die Thematik und die damit einhergehenden, gefühlt ausschließlich in Imperativen wütenden Anforderungen eines postkapitalistischen globalen Alltags auf die Ausstellung projizieren, könnte man sich unter Keine Zeit auch eine sehr laute, weit anstrengendere Ausstellung vorstellen. Eine tosende Hysterie verbreitende Schau beispielsweise oder auch eine Versammlung von Arbeiten, die einer Material schlachtenden Übertreibung zuträglich sind und so der allerorts eingeforderten Unterhaltung Rechnung tragen würde. Doch bereits eingangs entzieht sich die Ausstellung im 21er Haus bzw. manche der dort gezeigten Exponate diesen Erwartungen – und zwar durch akzentuierte auratische Bremsen, ein reflektierendes Understatement und eine teils widersprüchliche Poesie.
James Bennings Arbeit Twenty Cigarettes etwa: der Versuch befreundete Personen beim Rauchen zu porträtieren, addiert die den Film konstituierenden Elemente und führt den rasanten Imageverfall des Rauchens vom respektablen Statuszeichen individueller Freiheit zum verteufelten Ausdruck selbstzerstörerischen Suchtverhaltens dabei unintendiert mit auf. Zu sehen: ein faszinierend symbolischer Realzeittausch mit Kamera und Darsteller im Wechselspiel und dem mit Zigarettengenuss konnotierten Versprechen an Klarheit und Zerstreuung in einer vorgegebenen Zeiteinheit – 20 Mal eine Zigarettenlänge in Kommunikation mit der Kamera.
Gebrauch oder nun Missbrauch von Zigaretten dürften in irgendeiner Form vermutlich auch Werner Reiterers am Museumsboden liegenden Selbstporträtreste The Last Heartbeat Before Dying Frozen As A Loop beeinträchtigt haben. Auf dem Boden liegt ein ausgelaugtes Künstlerselbst, das mit pochendem Herzen zu uns noch aufrecht Erschöpften aufblickt.
Wie sehr das Konsumdiktat auf das menschliche Sprachzentrum drückt und wie sich dieses in totaler Paranoia entladen kann, dann aber doch wundersam als Stakkatostimme der Vernunft eines übergetrimmten Konsumentenbewusstseins auftritt, zeigt das bereits ältere, auch auf YouTube beliebte Video Sieben bis zehn Millionen von Stefan Panhans, das obwohl suggestiv und unheimlich doch solidarisierende Einfühlung evoziert.
Einmal mehr mit dabei sind auch die proklamierten Readymade-Artists Claire Fontaine im kleinen Verschieben der Bedeutungen für echte Veränderungen: einmal als Neonaufforderung Strike, wobei der Bewegungsmelder erst bei registrierter Nicht-Bewegung im Raum mit Lichtflackern reagiert, welches wiederum nach außen, Richtung Arbeiterkammer gedreht, durchaus wirkungsvoll werden könnte, oder aber mit Study For Pills Spills (Prozac Corner), die einen raum-, zeitlosen Bogen der Reminiszenz zur auch einst im 20er Haus gezeigten Félix-Gonzáles-Torres-Arbeit Candy Spills schlägt.
Ein Gros der Arbeiten scheint wie im ruhenden Auge eines Produktivitätssturms konzipiert und trotzt gestressten BesucherInnenblicken in passiver Anmut, humoriger Melancholie und stillem Ennui: Cosima von Bonins schwer relaxende Stofftierpuppen, wobei mittels beiliegendem Kopfhörerangebot Moritz von Oswalds Ambienttechno zusätzlich akustisch in ein schaumstoffgepolstertes Nirgendwo entführt, Judith Hopfs Erschöpfte Vasen oder die Krux künstlerischer Ideenfindung allgemein auflaufend zeigend: Die performative Arbeit Melody Malady von Simon Dybbroe Moller, der am Klavierflügel aus dicken Technikbüchern oder Esoterikratgebern vorspielen lässt. Im Sezieren von Mythen wiederum äußerst präzise Lone Haugaard Madsen, die in der Installation Raum # 255 das Atelier als einen geheimnisumwitterten Produktionsort dechiffriert, oder auch Josephine Pryde, wiederum die Mythisierung der Künstlerin als ein angeblich seltsames Geschöpf analysierend, das mit dem geheimnisvollen Akt der Schöpfung im Bunde steht. Den schöpferischen Akt dabei jedoch auch dem Werk selbst, der leeren, sich drehenden Blumenkorbskulptur The Mystery Of Artistic Work IV (2010) entmystifizierend vorenthaltend, sieht man dem schönen Fetisch den dahinter dennoch vermuteten künstlerischen Aufwand jedoch von keiner BetrachterInnenposition an.
Ebenfalls nicht frei von unsichtbarer Magie Manfred Erjautzs From A „Splendid Isolation“ to An Open End (1934/2007) und das darin versteckte, in diesem Kontext noch nervösere Uhrenticken. Josef Dabernig geht Fragen der Autorenschaft nach: im eigenen Auftrag mit großer Akribie und mühevollem, händischem Copy und Paste des Buchs von Vittorio Gregotti Il territorio dell’ architettura, Campi del sapere/Feltrinelli, Mailand (1988) (Erstausgabe in der Reihe Materiali, 1966), 1999. Verena Dengler steckt wiederum ihr Arbeitsfeld ab, ohne darin zu schürfen, und auch Hans Hollein ist für die Flexibilisierung heutiger Arbeitswelten keineswegs die Alleinschuld zu geben – die Verantwortung für diese Misere wird ja in erster Linie den Punks und KünstlerInnen der 1970er-Jahre des vorangegangenen Jahrhunderts zugeschrieben und die Totalität des Siegeszugs der Idee eines mobilen Büros war 1969 auch noch nicht absehbar. Siggi Hofers Textarbeit A clown says dankeschön liest sich von der Brüstung des Obergeschosses, wo auch die Sammlungsausstellung zu sehen ist, einfacher, nuancenreicher und eventuell tut der Maler hier auch gut daran, kein Leinwandformat gewählt zu haben: Denn die Betonung liegt auf dem Display [sic] – konzipiert von dem inhaltlich und formal noch immer im Fahrwasser seines potenten Professors segelnden Christoph Meier –, welches die darin integrierte Malerei räumlich ein wenig leiden lässt (Majerus, Müller, Strau).
Und so sehr auch weitere unbedingt sehenswerte Arbeiten die Ausstellungsthematik lohnend vorführen, etwa feine Arbeitsalltagsmikronarrative behandelnde, kleinformatige Foto-/Textskizzen von Adrian Williams oder Santiago Sierras 24 Betonblöcke, die während eines Arbeitstages ständig von bezahlten Arbeitern bewegt werden, mag der den Ausstellungstext vorweg begleitende Satz „Adaptiert nach einer Idee von Cosima Rainer“ einem Euphemismus gleichkommen. Wenn eine Institution vorgibt, von einer künstlerischen Position aus zu agieren (Pressetext), ist seitens von Kunst und Künstlerinnen alarmierender Bedarf gegeben, diese diskursive Situation, die Kunst und Künstlerinnen seit jeher mit produzieren, sich auch wieder anzueignen und für sich zurückzuverlangen als eine künstlerische Praxis der Wahrheit, wie das gerade auch Diedrich Diedrichsen in seinem Buch Eigenblutdoping bereits präziser formuliert hat als in seinem Katalogbeitrag.