Heft 2/2013 - Artscribe


Kochi-Muziris Biennale

12. Dezember 2013 bis 13. März 2013
Kochi-Muziris Biennale / Kochi, Kerala, Indien

Text: Christian Kravagna


Kochi. Mit India’s First Biennale wirbt die Kochi-Muziris Biennale auf ihren im Stadtraum allgegenwärtigen Plakaten. Tatsächlich hatte Indien bisher keine auf internationalem Niveau operierende Biennale zeitgenössischer Kunst aufzuweisen. Zwar gab es vor einigen Jahren seitens der intellektuell-kritischen Kunstszene in New Delhi Bestrebungen, eine relevante Alternative zu der 1968 gegründeten, auf einem nationalen Beschickungsmodus basierenden und 2005 zum letzten Mal durchgeführten regierungsnahen konservativen India Triennale ins Leben zu rufen, doch blieben diese mangels finanzieller Unterstützung ergebnislos. Auch die nun in der Hafenstadt Kochi im südlichen Bundesstaat Kerala erstmals ausgerichtete Biennale ist einer Künstlerinitiative zu verdanken, gelang es doch den im Mumbai lebenden Künstlern Bose Krishnamachari und Riyas Komu im Jahr 2010, den damaligen kommunistischen Kulturminister Keralas von diesem Projekt zu überzeugen. Das zentrale Engagement der beiden Künstler, von der Projektidee über die Gründung einer Biennale Foundation bis hin zur künstlerischen Leitung der Ausstellung, ist einigermaßen ungewöhnlich für ein Projekt dieser Größenordnung. Sowohl in künstlerischer und organisatorischer Hinsicht als auch bezüglich der Partizipation der regionalen Bevölkerung ist es jedenfalls als erfolgreich zu bewerten.
Kochi bringt einige Voraussetzungen für einen Biennalestandort mit: die globale Geschichte einer Stadt, die seit 2000 Jahren ein wirtschaftliches und kulturelles Scharnier zwischen Ostasien, dem arabischen Raum, Ostafrika und Europa bildet und sich in der Multireligiosität und Multikulturalität des urbanen Lebens niederschlägt; die touristische Bedeutung, die sich sowohl dieser Geschichte als auch den landschaftlichen Attraktionen des Hinterlands und den boomenden Ayurveda-Heilpraktiken verdankt; nicht zuletzt der relative Wohlstand und das hohe Bildungsniveau einer seit vielen Jahrzehnten stark von kommunistischer Politik geprägten Region mit ihren entsprechenden Landreformen und Arbeitsmarktprogrammen. Zudem ist Kochi eine für indische Verhältnisse „gemütliche“ Stadt ohne allzu große Distanzen und so, wie sie seit der großen Flut im 14. Jahrhundert, die das alte Muziris verschüttete, auf einige durch Bootsverkehr verbundene Inseln und Halbinseln verteilt daliegt, erinnert sie an die Ur-Biennalestadt Venedig. Die Ausstellungsräume befinden sich in den alten Lagerhallen des für die Region bedeutenden Gewürzhandels und den von Portugiesen, Niederländern und Briten im Laufe der wechselvollen Kolonialgeschichte der Stadt errichteten Nutz- und Repräsentationsbauten, die nun zum Teil wieder instand gesetzt und öffentlich zugänglich gemacht wurden.
Mit Arbeiten von 80 zur Hälfte indischen KünstlerInnen und einem thematischen Rahmen, der sich auf den Kosmopolitismus von Kochi und Muziris bezieht, strebt die Ausstellung nach einer lokal verorteten Sicht auf historische und gegenwärtige Transformationsprozesse ökonomischer, sozialer und kultureller Natur. Bei dem indischen Kollektiv CAMP stellt sich Kapitalismuskritik in Form einer beinah positivistischen videografischen Aufzeichnung von Ladevorgängen global zirkulierender Warencontainer dar. Destuffing Matrix (2012) besteht aus vier um 90 Grad gedrehten Monitoren mit je drei Videos, die Marx’ Beschreibung der Fluidität des Kapitalismus auf eine postkapitalistische materielle Basis stellen wollen: „It is not so much that all that is solid melts into air but rather that there are boxes within boxes“, lautet der Text zu CAMPs Interpretation globaler Warenzirkulation. Dieser Mischung aus Understatement und Koketterie steht die voluntaristische Beerdigung des Kapitalismus in Santiago Sierras neuer Videoinstallation gegenüber. Gemessen an viel unsäglicheren Arbeiten Sierras, deren kritisch gemeinter spektakelartiger Instrumentalisierung marginalisierter Gruppen man in den letzten Jahren ausgesetzt war, ist die zehnteilige Videoinstallation (je eine Projektion für jeden Buchstaben des Wortes „Kapitalism“ [sic!]) unterhaltsam-harmlos. In zehn Ländern wird auf je andere Weise ein Buchstabe des Imperiums des Bösen verbrannt, zerschnitten, von Schweinen aufgefressen etc.
Die Arbeiten des Kubaners Carlos Garaicoa folgen einem spezifischeren Ansatz. Sie beziehen sich auf Kaufhäuser aus der vorrevolutionären Ära in Kuba, deren Corporate Signatures in ihre Marmor- und Terrazzoböden eingelassen sind. Auf den Boden projizierte Videos zeigen PassantInnen über die Firmennamen gehen, und Garaicoas Teppiche, über die die AusstellungsbesucherInnen zu gehen haben, greifen diese Corporate-Design-Motive auf und verfremden sie in Richtung einer Selbstentlarvung unternehmerischer und neoimperialistischer Gier.
Noch konkreter und auf aktuelle Entwicklungen bezogen ist Amar Kanwars The Sovereign Forest, eine vielteilige Arbeit zum Verschwinden von Land und Menschen (zahlreiche Selbstmorde von Bauern) durch Umwidmung zu Industriestandorten im indischen Bundesstaat Orissa. Während der Südafrikaner Clifford Charles einen der für Kerala typischen Communist Reading Rooms in die Ausstellung übersetzt, erinnert Ai Wei Wei in dem Video So Sorry, das ihn zusammen mit StudentInnen bei Recherchen zu von den Behörden unterdrückten Fakten zu studentischen Opfern eines Erdbebens zeigt, an die Anfänge seiner Verfolgung durch den kommunistischen Machtapparat Chinas. Macht und Gegenmacht adressiert in provokanter Manier der Holländer Jonas Staal, der die Flaggen von etwa 40 als terroristisch eingestuften und verbotenen Organisationen als handgemalte Schilder präsentierte und einen „New World Summit“ mit Vertretern verbotener indischer Gruppen im Rahmen der Kochi Biennale ankündigte. Die nach Farben zusammengestellten Flaggen sehen hübsch aus, und die Provokation funktionierte insofern, als die Staatspolizei einige der Schilder übermalen ließ und den angesagten Kongress untersagte.
Viele der besten Beiträge dieser Biennale lassen sich dem Bereich des „archäologischen“ oder „archivarischen“ Arbeitens zuordnen. Vor dem historischen Hintergrund der komplexen Geschichte Kochis und ihrer seit Kurzem auch wissenschaftlich erforschten Vorgängerstadt Muziris geht es um Fragen der Erinnerung und Wiedergewinnung verlorener oder vergessener Orte, Geschichten und kultureller Praktiken. Eng an dem Motiv der verschwundenen Stadt operiert Vivan Sundaram, der aus Tausenden Steinen und Tonscherben eine quasi archäologische Landschaft erstehen lässt, die auf die Polyvalenz von Ausgrabungsstätten zwischen politisch instrumentalisierbaren Ursprungsmythen und populären Fantasy-Produktionen hinweist. Unweit davon hat Sheela Gowda mit Stopover eine schöne Arbeit zum jüngsten Wandel des indischen Alltagslebens realisiert. Sie bringt 170 steinerne Mörser, die noch vor 50 Jahren zur Grundausstattung der meisten neuen Häuser gehörten, hier zusammen, um den aufgrund der technischen Revolution der Küchenausstattung funktionslos gewordenen Objekten eine provisorische Ruhestätte zu errichten. Das mag nostalgisch klingen, doch dreht sich die Arbeit vor allem um die nicht scharf gezogenen Grenzen zwischen einem reinen Gebrauchsgegenstand und dessen sakralen Konnotationen, die es vielen Familien nicht erlauben, diese mit Erinnerung aufgeladenen Steine einfach wie wertloses Zeug zu „entsorgen“. Ein kleines Forscherteam hebt die visuelle Kultur der in Malayalam (der regionalen Sprache Keralas) publizierten Magazine aus dem 20. Jahrhundert in den Horizont einer Neubetrachtung. Im Rekurs auf konzeptkünstlerische Ästhetiken der 1960er-Jahre stellt Taf Hassam ein subjektives Archiv von Protestliedern der letzten 100 Jahre aus diversen Weltregionen vor. Diese Arbeit gewinnt noch mehr durch Hassams Kollaboration mit der Sängerin Sumangala Damodaran, die seit Jahren an der Wiederentdeckung und Neuinterpretation von Protestliedern aus dem anti- und nachkolonialem Zusammenhang der Indian People’s Theatre Association in den 1940er- und 1950er -Jahren arbeitet und einen Ausschnitt davon in einem Konzert vorstellte.