Durch die Kraft der Gedanken die Beschränkungen des eigenen Körpers zu sprengen und so unvermittelt Zugriff auf eine Welt außerhalb der eigenen, körperbegrenzten Reichweite erlangen. Dieser alte Wunsch ist längst nicht mehr nur Thema eines – in esoterischer Praxis vollzogenen – magischen Denkens. Vielmehr wird in der neurologischen Forschung seit mehr als 20 Jahren an der Entgrenzung oder besser Überbrückung des Körpers gearbeitet.
Seit es 1999 Wissenschaftlern aus Philadelphia erstmals gelang, einen Roboterarm mithilfe von kortikalen Neuronensignalen zu steuern, haben sich die Anwendungsbereiche sogenannter „Brain-Computer Interfaces“ (BCIs) stetig erweitert. Sie haben die Labore der Forschung längst verlassen, und es steht nicht mehr allein der therapeutisch-prothetische Nutzen dieser Devices – etwa bei der Rehabilitierung und Therapie von Locked-in-Syndrom, ALS- (Amyotrophe Lateralsklerose-)PatientInnen und Querschnittsgelähmten – im Vordergrund. So ist es im Bereich kommerzieller Gadgets zum Beispiel die Game-Industrie, deren Entwicklungsabteilungen sich neben „Augmented-Reality“-Anwendungen stark in der Anwendungsforschung von Gehirn-Computer-Schnittstellen engagieren. BCIs versprechen hier – mehr noch als die klassischen Steuerungsmöglichkeiten – neue, „realere“ Spielerlebnisse. Doch nicht nur kommerzielle Anwendung nutzen Mind-controlled-Interfaces, auch künstlerische Projekte arbeiten mit Gehirn-Computer-Schnittstellen.
Während die medizinische Forschung gegenwärtig die Entwicklung sogenannter invasiver Schnittstellen favorisiert, also Schnittstellen zwischen Computer und Gehirn, deren Elektroden direkt ins Hirn implantiert werden können, konzentrieren sich die kommerziellen und künstlerischen Anwendungen der BCI auf Messungen an der Kopfhaut. Sie gewinnen ihre Signale durch klassische EEG-Verfahren, die ohne operativen Eingriff auskommen, dafür mit geringerer Genauigkeit der Messung umgehen müssen.
Diese Devices besitzen längst nicht mehr die Ästhetik „verkabelter Badehauben“, sondern greifen in ihrer Formensprache die Vorschläge des Science-Fiction-Kinos auf. So erinnert das „Epoc Headset“ formal stark an das „Squid“-Headset im Science-Fiction-Thriller Strange Days aus dem Jahre 1995. BCIs sind reale Produkte geworden, sie sind keine Laborkonstruktionen mehr. Neuro-Headsets sind bereits für wenige Hundert Dollar erhältlich und erfordern mittlerweile von ihren AnwenderInnen nur noch bedingt technologisches Know-how.
Dies eröffnet auch den Raum für künstlerische Erkundungen von durch das Medium der BCIs erschlossenen Möglichkeiten. So nutzt der japanische Musiker Masaki Batoh sein selbst entwickeltes BCI nicht nur zur Komposition seiner „Brain Pulse Music“, sondern vertreibt diese auch als Instrument. Batohs BMP-Maschine misst mit drei Sensoren verschiedene Hirnwellen und wandelt diese in Töne, Frequenzen und Kompositionen. Bathos Kompositionen erinnern an frühe Computermusik und sind für den Künstler auch Teil einer meditativen Praxis, mit welcher die AnwenderInnen vorübergehend Abschied von der materialistischen Welt nehmen können. Nicht die durch die BMP-Maschine entstandene Komposition ist das Werk, sondern der Umgang mit dem BCI selbst ist eine Produktion, die sowohl nach außen als auch nach innen wirkt. Batoh setzt, so wie andere künstlerische Projekte, in denen BCIs zum Einsatz kommen, auf einen Aspekt, der in der neurologischen Forschung unter dem Begriff „neuronale Plastizität“ bekannt ist. Der Umgang mit BCIs muss erlernt werden, und so wie jede Form von Training verändert auch der wiederholte Einsatz und Umgang mit BCIs die neuronale Struktur der betroffenen Gehirnareale.
Dies gilt nicht nur für eine Meditation, die nachweislich die Gehirnwellen beeinflusst, sondern insbesondere für komplexere Anwendungen von BCIs, die mit Impulsabweichungen der neuronalen Aktivität arbeiten. So etwa das beim „Brain Painting“ des Künstlers Adi Hoesle zum Einsatz kommende BCI. Hier sind es nicht die Alpha-, Gemma- oder Thetawellen des Gehirns, welche die nötigen Signale zur Steuerung des BCIs liefern, sondern ein Impulsausschlag, der sogenannte P300. Der P300 ist ein aus einer Serie gleicher Stimuli herausragender Reiz, der für 300 Millisekunden einen wellenförmigen Ausschlag produziert. Beim „Brain Painting“ wird dieser Reiz genutzt, um Selektionen zu markieren. Der Künstlerproband konzentriert sich auf eine spezifische Farbe oder Form einer vorgegebenen Matrix. Das 2012 in der Kunsthalle Rostock gezeigte Projekt pingo ergo sum des Künstlers präsentierte die so entstandenen Arbeiten und ihren Herstellungsprozess als Teil einer Performance.
Immer wenn in der Kunst neue Technologien zum Einsatz kommen, stellt sich die Frage nach den Bedingungen von Kunst und der Zukunft von Kunst überhaupt – bei dieser Form von künstlerischer Auseinandersetzung sind dies die Möglichkeiten neuronaler Schnittstellen. Der die Ausstellung begleitende Text spekuliert über nichts weniger als den Kopf als „Atelier des 3. Jahrtausends“.
Doch, so muss gefragt werden, war der Kopf nicht immer schon das Atelier des Künstlers, mehr als der physische Raum, in dem die klassischen Tools künstlerischer Produktion versammelt waren? Ist es nicht immer schon die Selektivität neuronaler Prozesse, die Differenzen fixiert und Formunterscheidungen trifft? Aus dieser Perspektive scheinen neuronale Schnittstellen das künstlerische Atelier eher mit technologisch avanciertem Werkzeug auszustatten, denn einen neuen Ort zu erschließen. Selektionen, die der Künstler trifft und die seine Hand ausführt, können ohne die Hand im unmittelbarsten Sinne vollzogen werden, die faktischen Bedingungen in den neuronalen Prozessen – Übung, Konzentration und letzten Endes das bewusste Setzen von Differenzen – bleiben gleich.
Die Wendung „mit der Kraft der Gedanken“ ist ein Versprechen, ein Rest magischen Denken, der auf eine falsche Spur führt. Es ist nicht die Kraft der Gedanken, die Zugriff hat auf die Welt. Kein Cyborg mit neuen und anderen Möglichkeiten, stattdessen eine gesteuerte Apparatur, deren Inputsignale nicht den Umweg über die Hand nehmen, sondern dieser technologisch überbrückt erscheint. Und aller Komplexität solcher Technologien zum Trotz bedeutet dies gegenwärtig, sich zunächst einmal auf eine geringere Selektivität einlassen. BCIs sind Werkzeuge, deren Freiheitsgrade noch sehr eingeschränkt sind. „Mit der Kraft der Gedanken“ lassen sich Differenzen in der Realität nur sehr eingeschränkt setzen. Das Omnipotenz-Versprechen des magischen Denkens geht in dieser Technologie nicht auf. Dennoch machen auch neuronale Gadgets einen Unterschied. Sie erschließen einen Möglichkeitsraum, in dem der Zugriff auf Objekte in der Welt durch einen trainierten Umgang mit der technologischen Überbrückung des Körpers möglich ist. Für viele, insbesondere für körperlich eingeschränkte PatientInnen ist dies ein Gewinn. Ob dies auch für die Kunst gilt, wird sich daran messen müssen, wie die künstlerische Produktion mit den Limitationen der Technologie umgehen wird.