Drei Jahre ist es her, seit wir den Um- und Aufbrüchen im arabischen Raum ein eigenes Heft gewidmet haben. Drei Jahre, in denen sich die von aller Welt beachteten Demokratiebewegungen zum Teil festigen konnten, zum Teil aber auch herbe Rückschläge hinnehmen mussten. Während mancherorts die zuvor an der Macht gewesenen Despoten abgesetzt wurden, eskalierte die Lage beispielsweise in Syrien vollends. Während die tief verwurzelten autokratischen Strukturen auf der arabischen Halbinsel großteils unangetastet blieben, geht anderswo, etwa in Tunesien, die Entwicklung klar in Richtung freier Parlaments! wahlen. Zugleich erhob aber auch das Gespenst eines neuen Autorita! rismus quer durch die Region sein Haupt.
Grund genug, um danach zu fragen, was realiter auf den Arabischen Frühling gefolgt ist; welche Hoffnungen, die zu Beginn des Jahres 2011 großflächig geweckt worden waren, sich zumindest ansatzweise erfüllt haben; welche neuen Hürden sich seither für die vielfältigen Emanzipationsbestrebungen in diesem geopolitischen Raum aufgetan haben.
Der beispielhaften Situation in Ägypten, dem bevölkerungsreichsten arabischen Staat, widmet sich der Politikwissenschaftler Farid Hafez. Hier, wo vor drei Jahren neben Tunesien der stärkste Aufbruch zu verzeichnen war, haben sich die Unwägbarkeiten des demokratischen Prozesses alsbald am eklatantesten bemerkbar gemacht. Eine besondere Rolle spielen dabei die Bezugnahmen auf „Islam“ und „Islamis! mus“, die wie Hafez analysiert gleichsam alibihaft eingesetzt wurden, um der Militärführung die politische Oberhand im Land zu sichern. „Islamophobie“, als ideologisches Muster überwiegend im Westen verbreitet, wird hier auf sublime Weise instrumentalisiert,
um den neuen alten Machthabern dabei zu helfen, sich über die Mehrheitsverhältnisse im Land hinwegzusetzen. Was im Hinblick auf eine anhaltende Demokratisierung nicht allzu Gutes verspricht.
Wie katastrophisch sich die Spaltung in verschiedene religiöse, ethnische und politische Fraktionen auswirken kann, beweist die Bürgerkriegssituation in Syrien, bei der kein Ende absehbar ist. Ging vor drei Jahren einiges an Widerstand auch von der kulturellen Szene des Landes aus, so ist dieser wie Charlotte Bank in ihrem Artikel darlegt inzwischen entweder gebrochen oder hat sich notgedrungen ins Ausland verlagert. Zwar halten immer noch viele KünstlerInnen vor Ort an einem besseren, gewaltfreien Zukunftsszenario fest, doch sehen sie sich mit erheblichen Repressalien bis hin zu manifester Gewalt gegen ihre Person konfrontiert. Die Künstlerin Róza El-Hassan ver! suchtindessen,vomAusland indiesemFallUngarn aus,dasBanner für einen übergreifenden künstlerisch!kulturellen Widerstand hochzuhalten. Ihr Projekt Syrian Voices, das sie hier ausschnitthaft vorstellt, sieht sich aber nicht nur durch die außer Kontrolle geratene Lage in Syrien gefährdet, sondern, wie El-Hassan polemisch erläutert, auch aufgrund mangelnder Unterstützung vonseiten westlicher Institutionen.
Welche Rolle westliche „Verstärker“, deren guter Wille nicht in Abrede zu stellen ist, für den politischen Prozess in der Region spielen, ist eine Frage von weitreichender Konsequenz. Die Initiative Gulf Labor, über die wir bereits im Heft 1/2012 berichteten, lässt nicht locker, die unwürdigen Arbeitsverhältnisse anzuprangern, unter denen die neuen repräsentativen Kulturbauten in den Golfstaaten und wohl bald auch die Fußballstadien für die Weltmeisterschaft 2022 errichtet werden. Alice Creischer und Andreas Siekmann nehmen eine kritische Evaluierung dieser Kampagne vor und kommen zu einem ambivalenten Resümee: So unverzichtbar das Aufzeigen von Menschrechtsverletzungen in diesem Zusammenhang ist, so sehr sollte man sich der eigenen westlichen Verwicklungen jene „World Class Culture“ bewusst sein, die zugleich auch Nutznießer dieser ausgelagerten Weltkultur ist. Diesem Subtext verschließen sich auch Nat Muller und Ferry Biedermann nicht, die in ihrem Essay die Ausläufer der arabischen Revolten in den Golfstaaten analysieren. Ihre Bilanz fällt nüchtern aus: Während die vielfältigen Kunstaktivitäten von Dubai bis Abu Dhabi immer mehr zu Magneten für das internatio! nale Jetset werden, sollten die vielen Fälle von Zensur und Verbot nicht außer Acht gelassen werden, von denen selbst namhafte Ausstellungen in den letzten Jahren betroffen waren. Die Golfstaaten mögen zu höchst großzügigen Gastgebern „westlicher“ Aktivitäten geworden sein, zugleich sollte aber nicht ausgeblen! det werden, zu welchem humanitären, ja auch ideologischen Preis dies vonstatten geht.
Schwelende Krisenherde in der und über die Region hinaus bilden weitere Schwerpunkte dieser Ausgabe: Fadi Toufiq etwa beleuchtet die immer noch akuten Nachwirkungen des Bürgerkriegs im Libanon knapp 25 Jahre nach dessen oziellem Ende. Ein eigenes, mehrteiliges „Special“ widmet sich schließlich der aktueller Lage und dem davon azierten künstlerischen Geschehen in der Ukraine. Was nochmals die entscheidende Frage aufwirft, welchen neuen Macht und Kräfteverhältnissen ein politisch-kultureller Aufbruch, wie er heute vielerorts stattindet, ausgesetzt ist. Ja inwiefern das utopische Szenario eines Arabischen Sommers, so uneingelöst es gegenwärtig scheinen mag, über den engeren geografischen Rahmen hinaus verallgemeinerbar ist.