Die weltweite Zombiefilmwelle hat nun auch Israel erfasst. Erst kürzlich erschienen zwei heimische Produktionen,1 und in Marc Forsters Zombiehit World War Z (2013) gibt es eine ganze Episode, die in Jerusalem spielt. Der Film wurde bereits als „der größte Propagandafilm für Israel seit Otto Premingers Exodus“ apostrophiert.2
Der Abschnitt, der in Jerusalem spielt, lässt auch eine komplexere Deutung zu. Die Hauptfigur, gespielt von Brad Pitt, fliegt um die Welt, um die globale Zombieepidemie zu stoppen. Dabei kommt er nach Israel, eines der letzten Länder auf der Welt, in das die Zombies noch nicht eindringen konnten. Die berüchtigte Sperranlage, so scheint’s, hat es dem Land gestattet, der Zombieflut vor seinen Mauern Einhalt zu gebieten. Angesichts des gemeinsamen Feinds werden die alten FeindInnen – JüdInnen und AraberInnen – zu FreundInnen. Pitt stolpert also mitten in ein ausgelassenes Versöhnungsfest. Doch ach! Die gemeinsam angestimmten Friedenslieder sind so laut, dass sie die Zombies anlocken! Vom Gesang der Lebenden angezogen erstürmen sie die Absperrungen und fluten wie Ameisen über die Mauer. Vom Mauerrand springen sie mitten ins Herz Jerusalems. Schnell wird die Stadt von den Zombies überrannt. Brad Pitt muss fliehen, um den Menschen anderswo zu Hilfe zu eilen.
In Wahrheit ist die Politik Israels indes schon lange von Zombiefilmen infiziert, denn die Darstellung des Palästinenserkonflikts erinnert stark an die grobe Zweiteilung: hier die Lebenden, dort die (Un-)Toten. Die PalästinenserInnen werden meist dargestellt, als wäre ihnen der Tod lieber als das Leben – ein Klischee, das die PalästinenserInnen allerdings zum Teil selbst übernehmen. In Israel hingegen schätzt und schützt man das Leben.
Israel verwendete diese knappe Formel unlängst im Zuge der Militäroperation „Protective Edge“, um die massiven Bombenangriffe auf Gaza zu rechtfertigen und im selben Atemzug die Gegenangriffe der PalästinenserInnen auf israelische Ziele zu verdammen. Obwohl das Ziel beider Parteien das Töten ist, suggeriert dieses Klischee einen fundamentalen Unterschied – nämlich dass die Angriffe der Israelis der Verteidigung dienen, während die PalästinenserInnen Aggressoren sind, wiewohl ihr Todeszoll weitaus höher ist. Ja, israelische KommentatorInnen gehen sogar so weit, die PalästinenserInnen für ihren Tod selbst verantwortlich zu machen. Immerhin würden sich ihre bewaffneten Kräfte „hinter ZivilistInnen verstecken“ – ein Argument, das in Wahrheit für beide Seiten gilt, da auch in Israel normales Leben und Armee ineinander übergehen. Folgt man diesem Diskurs, so ist die Landkarte der Region von vornherein ins Land der Lebenden und ins Land der Toten unterteilt. Das Kriegsgebiet muss folglich auf Palästina beschränkt bleiben, denn jedes Überschwappen des Kriegs auf Israel gilt als illegitim.
Die Zombiekrankheit wird durch Infektion übertragen. Ein Biss – und schon wird ein Mensch zum Untoten, der seinerseits wieder Menschen infizieren kann. Daher bemühen sich die noch Lebenden stets, sich in einem abgeschotteten Gebiet vor den Zombies zu schützen. Diese fressen sich jedoch immer durch die Haut des individuellen und sozialen Körpers. Dabei zerstören sie fundamentale Grenzen, insbesondere jene zwischen Leben und Tod. Schließlich sind Zombies lebendig und tot zugleich.
Das Rückzugsgebiet der Lebenden ist dazu verdammt, Ausgangspunkt für den Wiederaufbau der zerstörten Grenzen und damit auch des Trennungsprinzips zwischen Lebenden und Toten zu sein. Umgeben von Sperranlagen, Straßenblockaden und schwer bewaffnetem Militär – allesamt dazu da, die palästinensische Gefahr zu bannen – verfolgt Israel seit Langem eine Apartheidpolitik im Zombiemodus.
Sogar die sogenannten linken Parteien, die sich für eine Zweistaatenlösung aussprechen, vertreten das Fantasma der Apartheid. Auch sie verwenden die schlichte Formel „wir hüben – ihr drüben“. Immerhin war es Ehud Barack, ehemaliger Armeechef und später Premierminister der „linken“ Koalition, der meinte, Israel sei in Wirklichkeit „eine Villa mitten im Urwald“. Diese krude Bemerkung bezeugt nicht nur die Kolonialfantasie Israels als europäisch „zivilisierte“ Enklave inmitten der „Wildnis“ des Nahen Ostens. Sie zeigt auch, dass Israel eine Zone schaffen will, die von allen PalästinenserInnen und AraberInnen gesäubert sein soll. Kurz, die Zombies sollen draußen bleiben.
Die Jerusalem-Szenen in World War Z scheinen vorderhand die Lesart Israels als „Villa mitten im Urwald“ zu bestätigen. Israel wird wie eines der letzten Länder dargestellt, das mithilfe seiner mächtigen Armee und der Sperranlage die Zombieapokalypse überlebt hat. Von Weitem betrachtet verkörpern die Zombies draußen das stereotype Bild hungriger, dreckiger und wilder palästinensischer Flüchtlinge. Der Gegensatz zwischen Jüdinnen und Juden einerseits und PalästinenserInnen andererseits erscheint – passend zur israelischen Okkupationspolitik – als Dichotomie von Leben und Tod. Die Menschen im zivilisierten Staat der Lebenden sehen sich, könnte man meinen, einer chaotischen Zombiewelt gegenüber.
Schnell sieht man jedoch, dass JüdInnen und AraberInnen in Jerusalem Freunde sind und gemeinsam feiern. Das Auftauchen der Zombies als das ultimativ Fremde reißt, so scheint es, die alten Trennwände nieder und vereint JüdInnen und AraberInnen gegen den gemeinsamen Feind. Und erst dadurch erscheint die Sperranlage in ihrer ganzen tiefenpsychologischen Wirkung. Sie soll nämlich nicht vor PaslästinenserInnen schützen, sondern vor dem Tod an sich! Und doch zeigen gerade Zombiefilme, dass sich die Lebenden niemals ganz vom Tod abschotten können. Genauso kann in World War Z der durch Mauern und Armee gesicherte Frieden nicht wirklich verhindern, dass der Krieg im Inneren doch ausbricht.
In George Romeros klassischer Zombietrilogie, die als Paradebeispiel für das gesamte Genre gilt, erweisen sich die Grenzgebiete immer wieder als sterile Fantasien, die zum Scheitern verurteilt sind. In Night of the Living Dead (1968) verstecken sich die Überlebenden in einem Bauernhof, doch ihr Versuch, ein stabiles Kollektiv bzw. eine homogene Familie zu bilden, ist durch einen Schwarzen, der in den 1960er-Jahren gewiss nicht in die weiß beherrschte Hegemonie Amerikas passte, von Anfang an zum Scheitern verurteilt. In Dawn of the Dead (1978) verbarrikadieren sich die Überlebenden in einem Einkaufszentrum, wo sie sich wie in einer kapitalistischen Utopie einrichten. Sie leben in einer Konsumtraumwelt, die sich vom Zombieurwald draußen abschottet – bis die Masse hungriger Zombies am Ende doch das Einkaufszentrum stürmt. Der Film endet mit Heerscharen von Untoten, die wie Horden irre gewordener KonsumentInnen durch das Einkaufszentrum staken. In Day of the Dead (1985) schließlich dient ein Militärlager als vermeintliches Schutzgebiet vor den Untoten. Doch gleich zu Beginn spürt man die starke Ähnlichkeit von Zombies und Soldaten. Beide leben vom Töten! Am Ende sind dann alle Zombies.
Zombies symbolisieren auf den ersten Blick das Andere. Doch was sie so beängstigend (und zugleich interessant) macht, ist nicht einfach nur das Andere, sondern das Fehlen von Grenzen, die den Unterschied zwischen uns und dem Anderen markieren. Zombies bedeuten nicht bloß Tod, sondern das Verwischen der Trennung von Leben und Tod. Mithin sind sie Symbol für eine tiefer sitzende Angst, nämlich die vor dem Verlust von Grenzen und der Vermischung von Bereichen, die wir sonst getrennt zu halten trachten.
Zombiefilme zeigen aber auch, dass der Bereich des oder der Anderen nicht von unserem getrennt werden kann, so wie der Tod nicht vom Leben getrennt werden kann. Am erschreckendsten dabei ist die Einsicht, dass wir in Wahrheit Zombies sind (zum Beispiel heteronormative Familienmenschen, SoldatInnen oder KonsumentInnen).
Der Schluss der Jerusalem-Episode in World War Z enthält keinerlei Hinweis, dass es sich um einen zionistischen Film handelt. Ganz im Gegenteil: Die israelische Zombiepolitik mit ihrer obsessiven Apartheidrhetorik wird sichtlich kritisiert. Wie in fast allen Zombiefilmen brechen aber schließlich alle Dämme und das geschützte Gebiet wird vom Anderen, vom Krieg, vom Tod überschwemmt.
Wenn Israel die wirklichen Auswirkungen seiner Palästina-Politik verstehen will, sollte es die Hauptlektion von Zombiefilmen lernen: Jede Apartheid führt ultimativ zum Purismus – zu einem homogenen Getto, in dem jeder und jede zum Zombie werden kann.
Übersetzung aus dem Englischen: Thomas Raab
1 Cannon Fodder (Eitan Gafny, 2013) und der Kurzfilm Poisoned (David Lubetzky, 2011).
2 Vgl. In Turkey „World War Z“ is no World War Zion, in: The Times of Israel, Juni 2013; www.timesofisrael.com/in-turkey-world-war-z-is-no-world-war-zion/#ixzz3JLHuzFOn.