Wien. Die Ausstellung war überfällig. Der Ort mehr als angemessen. Dass es dann ausgerechnet der Klimt-Spezialist des Hauses sein musste, der antrat, einen Weltmeister der Ubiquität, Synchronizität und Virtualität zu kartografieren, war doch einigermaßen bizarr. Schließlich hat Peter Weibel von jeher Form Form sein lassen. Sein Werk ist unter dem Gesichtspunkt der permanenten Debatte zu betrachten, stilistische Fragen interessieren ihn nicht. Der Warenfetisch Kunstobjekt stößt ihn ab. Seine Haltung ist antiästhetisch, bilderstürmend und einer Repräsentationskritik verpflichtet, die jede der zahlreichen künstlerischen Partikularebenen, auf denen er sich bewegt, theoretisch begründet.
Bald 30 Jahre haben eineinhalb Generationen auf eine umfängliche Ausstellung des Konzeptkünstlers, Sprachmaschinisten, Videopioniers und Cybernauten, des aufklärerischen Zeit- und Systemkritikers, des notorischen Tricksers und Täuschers gewartet. Sie warteten auf seine Thesen und Hypothesen und ihren Wahrheitsgehalt, den er mit Witz, Charme und einer Portion Lüge zu beweisen weiß. Sie warteten auf einen Künstler, der nicht zu fassen ist. Museen mit dem nötigen Fassungsvermögen müssen erst noch erfunden werden.
„Diese Ausstellung kann Ihr Leben verändern“, versprach Weibel, der gegen das Stereotyp „Medienrebell“ im Titel nichts einzuwenden hatte, „und wenn es nicht gelingt“, fuhr er während eines Live-Auftritts fort, „die Wahrnehmung der Betrachter zu verändern, dann bin ich als Künstler gescheitert.“ Wie der intellektuelle Method Artist dieses Scheitern verhindert, konnte während mehrerer Action Lectures – dem persönlichen Vermittlungsformat des Professors – und einem grenzgenialen Auftritt als wortreicher Leadsänger der Band Hotel Morphila Orchester miterlebt werden. Vereint mit Kozelebranten wie den Gründungsmitgliedern Loys Egg, Paul Braunsteiner und Hundertschaften von 20er-Haus-VeteranInnen, ihren Kindern und Kindeskindern, verhandelte Weibel den Punk, als gäb’s kein Morgen.
Nun ist Peter Weibel ein Meister der Metamodelle und der Entwürfe. Es überrascht daher nicht, dass nur wenige originale Objekte, Skulpturen und Installationen überlebt haben. Sein Gleichmut gegenüber jeder Form von Historisierung und ein banales Platzproblem hatten zur Folge, dass ganze Werkblöcke, wie etwa weite Teile der fundamentalen Ausstellung Inszenierte Kunstgeschichte (MAK 1988/89), für die Weibel das Werk sechs verschiedener Künstler erfand und produzieren ließ, auf dem Schrottplatz landeten.
Ein maßgebliches Werk von besonderer Authentizität war daher das Österreich Zimmer (1982) aus der Sammlung von Gertraud und Dieter Bogner. Wie kaum eine andere dokumentiert die Arbeit die Komponenten des Weibel’schen Verfahrens: Sie verbindet den Anspruch des Kontextkünstlers, der digital und analog, Text und den mäandernden Subtext, perspektivische Malerei und Medien, Politik und Geschichte (Waldheim), lokales Ambiente (Gasherd) und Kunstgeschichte (die Symptome der österreichischen „Wohnzimmerkünstler“ von Loos bis West, von Graf bis Bretterbauer und Zobernig mit ihren Möbel- bzw. Raumkonzeptionen) unbekümmert und martialisch zum bürgerlichen Flohmarktensemble eindampft. Weibel definiert Kunst als politische und poetische Einheit, die aus der Individualität des Künstlers und den Bezügen resultiert, die er zu seinem Umfeld herstellt.
Das Ausstellungsdisplay nun ordnete ein offenes Regalsystem um etliche einigermaßen versiffte Schiffscontainer an. In den Containern standen publizierte und mehrfach ausgestellte Installationen wie die zeitgeschaltete Neonarbeit Wind (1975) in der Version von 1982 Der Zwang zur Identität bis dato unrealisierten Werken gegenüber. Darunter war vor allem die Musikausstellung (1975/2014), ein für den Künstler ungewöhnlich materialgebundenes Werk: Porträtfotos prominenter Nazis und ihrer Opfer aus der Musikbranche, Musikinstrumente in Beton gegossen und Singvögel in Käfigen – der prägnante Entwurf von 1975 hätte gereicht. Zur Vermeidung solch finiter Kunstobjekte drängte sich die Zustandsmöglichkeit Nr. 3 aus Lawrence Weiners Statements auf: „the work need not to be built“.
Umso aufregender die Fundstücke, die Kurator Weidinger aus den Tiefen zahlloser warholesker Umzugskisten bergen konnte, die Peter Weibel in den Kunstlagern Europas verstreut. Vieles, was davon in die Ausstellung gelangte, hatte Weibel 1982 als Mediendichtung in der Zeitschrift protokolle zusammengefasst. Material aus den 1960er- und 70er-Jahren, Arbeiten, deren Wort- und Sprachbezug die verschiedenen Stadien von konkreter Poesie über Textmontagen bis zu Neonpoemen durchlaufen, die Sprache schließlich in Film und Video verhandeln. Weibel verbindet Sprachkritik und Gesellschaftskritik, er entwickelt linguistische Modelle, um zu demonstrieren, dass Kunst als wissenschaftlich erweiterte, kritische Praxis zu verstehen ist.
Bisher unveröffentlichte Aktionsdokumentationen, Schriftbilder und Matrizen, Fotopoeme, Typoskripte, Zeichnungen und Relikte füllten die Regale: zusammen mit den frühen Videoperformances, Handlungsanweisungen und TV-Arbeiten unterstützt Weibel die Immaterialität und Prozessualität des Kunstwerks. Seine transgressive Strategie führt von der Enthierarchisierung der Kunst zur Kompetenzerweiterung des Künstlers. Er plante nichts weniger als die subversive Infiltration der aufkommenden Massenmedien mit Kunst. Die Ausstellung hatte als Beleg dafür so wunderbare Beispiele wie die legendären Teleaktionen parat, die 1972 in der Sendung Impulse im ORF ausgestrahlt wurden. Wer erinnert sich nicht mit Vergnügen an Clips wie TV Aquarium (1970), The Endless Sandwich (1969) oder Die Kommunikation ist das Medium (1970/72) mit dem Zigarre rauchenden Nachrichtensprecher und seiner Botschaft, die sich im Medium ereignet.
Gerne hätte man Peter Weibel auch von seiner üppigen, wagnerianischen Seite kennengelernt. Mitte der 1980er-Jahre erforschte er die Möglichkeiten der computergestützten Bearbeitung von Video, ließ sich etwa 1984 die Video Oper in zehn Akten Der künstliche Wille einfallen und realisierte Anfang der 1990er-Jahre interaktive computerbasierte Installationen, mit denen er das Verhältnis von Medien und Wirklichkeitskonstruktion thematisierte.
Dafür konnte man die Ausstellung „betreten“, indem man das mit Kreide auf den Boden geschriebene Wort „Recht“ buchstäblich mit Füßen trat (Das Recht mit Füßen treten, 1968, Textaktion, Textenvironment, Kreide, Passanten), und man konnte sich in sie hineinsetzen, in den alten Mercedes 180, über dessen Sitze die österreichische Fahne mit Bundesadler gebreitet war, Schauplatz eines widerrechtlichen Sit-ins von Susanne Widl und Peter Weibel (Das Privatauto als Staatskarosse, 1972). Man konnte Weibel als ambitionierten Schauspieler in Filmen von Hans Scheugl, Ernst Schmidt jr., Franz Novotny und Jonas Mekas sehen, der Komplex des Destruction in Art-Symposiums und der Wiener Aktionisten blieb ebenso wenig ausgespart wie der hochsensible Bereich der Zusammenarbeit mit VALIE EXPORT, dessen zufriedenstellende Klärung beiden KünstlerInnen bis heute nicht gelingen will.
So war es eine schillernde Ausstellung, die ihren Charme nicht zuletzt aus der Begeisterung, Neugier und Liebenswürdigkeit ihres Protagonisten bezog. Der reich bebilderte Katalog jedoch ist eine veritable Niederlage, was Wissenschaft und Analyse betrifft. Einige hochkarätige Auskenner aufzutreiben, von Bazon Brock bis Slavoj Žižek, von Elisabeth Bronfen bis Birgit Hein, hätte wohl kein Problem sein dürfen. Stattdessen fungiert der Ausstellungskurator als Stichwortgeber für einen Künstler, der sich statt Sitzmeditation und Nabelschau eine kritische Würdigung verdient hätte.