Heft 4/2015 - Kiev, Moscow and Beyond


Kampf gegen Ikonen

Die Eliminierung sowjetischer Monumentalkunst auf öffentlichen Plätzen der Ukraine

Yevgen Nikiforov


Monumental-dekorative Kunstwerke, insbesondere großformatige Mosaike, waren ein wichtiges Element der sowjetischen Kunstpolitik. Die auffälligste Periode der Entwicklung dieser Kunstformen konnte in den 1960er- und 1970er-Jahren beobachtet werden. Die jeweiligen künstlerischen Verfahren spiegelten dabei auf deutliche Weise die Tendenzen der damaligen Zeit wider: Einerseits kamen komplizierte wie teure Techniken zum Einsatz. Dies war nur einem wirtschaftlich entwickelten Staat möglich, der damit seine rasante Entwicklung, seine Macht und seinen Reichtum dokumentieren wollte. Andererseits gab es seinerzeit einen fortdauernden Bauboom und einen daraus resultierenden Bedarf, den öffentlichen Raum mit Kunstwerken zu gestalten. Großformatige Wandmalereien kamen in Bahnhöfen, Krankenhäusern, Kindergärten, Schulen, U-Bahn-Stationen und dergleichen zum Einsatz. Die betreffende monumentale Kunst, die als „offizielle“ Widerspiegelung der Kultur galt, zeichnet sich durch eine Lust auf Experimente und die Suche nach neuen technologischen Lösungen aus.
KünstlerInnen, die in diese Gestaltungen involviert waren, hatten zumeist propagandistische wie ideologische Aufgaben zu erledigen, die Sujets selbst waren in Bezug auf das ideologische Moment exakt vorgegeben. Gleichzeitig versuchten diese KünstlerInnen aber auch, sich von allgemein üblichen künstlerischen Verfahren loszusagen, sie experimentierten mit neuen Stilistiken und Materialien. Nicht selten waren sie der nicht-offiziellen Kunst zuzurechnen und beschäftigten sich in ihren Ateliers mit Arbeiten, die absolut nicht „sowjetisch“ waren. Als Resultat ihrer offiziellen Tätigkeit entstanden in der genannten Periode zahllose bunte Mosaikwandbilder in individuellen Kunsttechniken, die in den meisten Fällen einfache bzw. einfach verständliche Sujets zeigten. Es besteht kein Zweifel, dass es sich dabei um eine einzigartige kulturelle Erscheinung handelte, die inner- und außerhalb Sowjetunion seinesgleichen sucht.
Im April 2015 beschloss das ukrainische Parlament ein Gesetz, wonach die „totalitären kommunistischen und nazistischen Regime“ verurteilt werden und mit diesen Regimen verbundene Symbole und Propaganda für illegal erklärt wurden. Auf diese Weise wurden jene Prozesse zur Entfernung sowjetischer Symbolik legalisiert, die derzeit insbesondere in größeren ukrainischen Städten weitverbreitet sind. Gleichzeitig diskutieren KulturaktivistInnen und PolitikerInnen auf unterschiedlichen Ebenen über das Schicksal jenes kulturellen Erbes, das in der sowjetischen Zeit entstanden ist und eine nunmehr verbotene Symbolik aufweist. Die Praxis, die betreffenden Symbole zu zerstören, galt in postsowjetischen Staaten als nahezu normale Erscheinung beim Übergang von der gemeinsamen sowjetischen Vergangenheit zur Unabhängigkeit. Die neu entstandenen Staaten strebten danach, jede Erinnerung an ihre historische Verbindung mit der Sowjetunion auszulöschen. Die AnhängerInnen der Zerstörung der betreffenden Symbolik denken, dass radikale Schritte es erlauben, eine Vergangenheit voller Erniedrigungen sowie die gemeinsame sowjetische Vergangenheit zu vergessen, die mit einer planmäßigen Vernichtung der ukrainischen Identität einherging. Zudem glauben sie, dass die Symbole eines Staats verschwinden sollen, mit dem sich die Ukraine in einem nicht erklärten Kriegszustand befindet und der der Rechtsnachfolger der Sowjetunion ist. Als eines der Ziele dieser radikalen Verbote alles Sowjetischen kann das Auslöschen der kollektiven Erinnerung und die Formierung „neuer“ historischer Wahrheiten betrachtet werden. Anders als man hätte erwarten können, begann der Prozess der „Dekommunisierung“ im Fall der Ukraine nicht mit der Unabhängigkeit im Jahr 1991. Der Grund dafür liegt darin, dass auch nach der Unabhängigkeit lange Zeit PolitikerInnen eine maßgebliche Rolle spielten, die zuvor zur Führungsschicht der Kommunistischen Partei gezählt hatten. Zudem maß ein großer Anteil der Bevölkerung, insbesondere im Osten des Landes, der Entfernung sowjetischer Symbolik aus dem öffentlichen Raum keine große Bedeutung zu. Im Gegenteil, viele erachteten diese Symbolik als Teil ihrer Identität.
Gleichzeitig sollte klar sein, dass es heute nicht um einen Kampf mit einer bestimmten Ideologie geht. Der Kampf beschränkt sich nur auf die äußere Form, auf eine unerwünschte Symbolik, die als Mittel für die Propaganda der kommunistischen Ideologie gedient hatte. Freilich existieren unter dieser Hülle Relikte der Vergangenheit weiterhin fort. Die Geschichte der Ukraine selbst beinhaltet viele strittige Momente, und das neue Gesetz trägt diesbezüglich zu keiner Vergangenheitsbewältigung bei. Die neue Bestimmung beschränkt sich darauf, einen unerwünschten Teil der Geschichte abzutrennen, was zu neuen Konflikten in der Gesellschaft führt.
Als ein gelungener Vorschlag zur Rettung von nunmehr illegalen Symbolen darf die Idee gelten, ein sogenanntes „Museum des Totalitarismus“ zu schaffen. In einer solchen Institution sollten Beispiele für jene monumentale Kunst gesammelt würde, die in der Sowjetzeit als Propagandamittel im öffentlichen Raum dienten und über die ganze Ukraine verteilt waren. Zwar sieht das Gesetz Ausnahmen für sowjetische Kunstwerke vor. Das Problem besteht jedoch darin, dass die Mosaike in den meisten Fällen nicht als Kunst registriert wurden und die BesitzerInnen der jeweiligen Immobilie nach eigenem Ermessen vorgehen können, es übermalen, zerstören oder mit Werbeflächen überdecken lassen. Während es auf offizieller Ebene möglich ist, mit den Verantwortlichen der jeweiligen Stadt einen Dialog zu führen und auf die Situation einzuwirken, kann dies von VertreterInnen des radikalen Lagers mit nationalistischen Einstellungen nicht behauptet werden. Diese entscheiden über das Schicksal der betreffenden Kunst im Stil der chinesischen Kulturrevolution oder des byzantinischen Kampfs gegen Ikonen, sprich mit barbarischen Methoden.

 

Übersetzt von Herwig G. Höller