Wien. Wenn KünstlerInnen sich für die Malerei entscheiden, müssen sie sich mehr als andere fragen: „Warum gerade Malerei?“ Obwohl das bei allen anderen Kunstgattungen ähnlich ist, ist die Frage bei der Malerei mit ihrer langen Geschichte und ihrer am weitesten vorangeschrittenen Erschöpfung der Gestaltungsmöglichkeiten am akutesten. Mit anderen Worten steht die Legitimität der Malerei – zu Recht – mehr infrage als die aller anderen Medien. Stellen sich MalerInnen diese Frage aber nicht permanent neu, sind sie keine KünstlerInnen mehr, sondern bloß AnstreicherInnen, die doof oberflächliche Luxusgüter produzieren.
Einige der stärksten KünstlerInnen, die sich der Malerei widmen – wie Silke Otto-Knapp oder Florian Pumhösl –, kommen zu ihren Kompositionen auf dem Weg historischer Recherchen. Sie schaffen Bilder, die nicht nur ästhetische Tatsachen, sondern auch historische und philosophische Aussagen darstellen. Andere, wie Merlin Carpenter oder Jutta Koether, lassen ihre Gemälde die sozialen Zusammenhänge widerspiegeln, in denen sie funktionieren. Und wieder andere wie beispielsweise R.H. Quaytman verbinden die beiden genannten Methoden zu einer einzigen.
Nun sieht es so aus, als würde die in Berlin und Wien lebende Julia Haller gerade eine neue Richtung einschlagen, was Malerei heute bedeuten könnte. Obwohl sie ihre Verbundenheit mit einigen KünstlerInnen der vorigen und vorvorigen Generation eindeutig nicht verhehlt, hat Haller in den letzten Jahren eine eigenwillig spannende Bildsprache gefunden, die sie nun selbstbewusst in der Secession in Szene setzte.
Das Hauptthema von Hallers Kunst ist die Geschichte der Materialität der Malerei. Als Ausgangspunkt dient ihr dabei die historische Verwurzelung, die in jeden malerischen Bildaufbau eingeschrieben ist. Die in der Secession unter dem Übertitel Ku Ku (2015) ausgestellte Serie besteht aus konzisen und eleganten Abstraktionen aus schwarzen Linien und Flächen auf schmutzig weißem Grund. Als Bildträger dienen Mineralplatten – mit anderen Worten: künstlicher Stein. Die schwarzen flächigen Formen hat Haller aus den Platten geschnitten und durch schwarze Mineralplattenstücke des exakt selben Umrisses ersetzt. Diese Einlegeformen sind so bündig montiert, dass keinerlei Fugen sichtbar bleiben. Im Grunde sind Hallers Bilder also durch heutige Technik modernisierte Pietre dure. Die Linien wiederum entstehen durch Einkerbung mittels einer computergesteuerten Fräsmaschine, wobei der Verlauf der Kerben von der Künstlerin vorzeichnet wird. Dann wird schwarzes Pigment aufgebracht und von der Oberfläche wieder entfernt, sodass nur die Linien sichtbar bleiben. Die Kombination der alten Pietra-dura-Technik mithilfe neuester Maschinen geschieht nicht ganz ohne Augenzwinkern, stellt die Künstlerin doch mit einer klassischen Technik, die gemeinhin mit der Florentiner Renaissance in Verbindung gebracht wird, wo zumeist Marmor und Edelsteine verarbeitet wurden, stark reduzierte und modernistisch angehauchte abstrakte Bilder her.
Deren Oberfläche wird zum Schluss poliert und transparent lasiert. Das hat zum Teil praktische Gründe. Erstens wird nur durch diese Endbehandlung die Gemeinsamkeit der Einzelbilder deutlich. Wichtiger jedoch ist, dass es sich hier um eine bewusste ästhetische Entscheidung handelt, durch die die Bilder leicht verwaschen wirken, als betrachte man sie durch einen feinen Nebel. Diesen Eindruck akzentuiert die Künstlerin noch dadurch, dass sie das Licht im Ausstellungsraum abdunkelt, wodurch dieser bezüglich der Bilder hell wirkt. Unweigerlich drängen sich Vergleiche mit J.M.W. Turner auf, und zwar nicht nur wegen dieser verschwommenen Nebelhaftigkeit der Bilder, sondern weil auch Haller die Werke ausdrücklich mit den Lichtbedingungen des Ausstellungsraums abstimmt.
Wie schon einige frühere Arbeiten Hallers, zum Beispiel jene, bei denen sie Hasenleim verwendete, dürfen auch die hier präsentierten Werke nicht als reaktionäre Rückwendung zum Handwerklichen missverstanden werden. Natürlich erfreuen sie das Auge, wie es sonst nur edel gefertigte Designstücke tun. Doch liegt ihre wahre Bedeutung einerseits darin, wie akribisch Haller die noch nicht erschöpften Bildmöglichkeiten der Malerei auslotet und dabei die Geschichte der Gattung mit modernster Technik verbindet. Sie bewegt sich in der Geschichte derart vor und zurück, wie es nur jemand zuwege bringt, der von der Malerei besessen, ja ein Malerei-Geek ist. Andererseits führen diese Bilder vor Augen, wie nichtssagend jeder Materialfetischismus ist, weil so minimalistisch simple Bilder mit geradezu absurd aufwendigen Techniken wie eben Pietra dura ausgeführt werden. Alle Konservativen, die sich nach alter handwerklicher Perfektion oder naiver Selbstexpression zurücksehnen, müssen Hallers Bilder als furchtbar fade erleben. Die Künstlerin eignet sich klassische Techniken an und scheint damit gefährlich mit dem Feuer konservativer Sehnsüchte zu spielen, bleibt dabei aber standhaft bei der Untersuchung ernster künstlerischer Fragen.
Das einzig Enttäuschende an der Ausstellung ist, dass sich Haller offenbar der intellektuellen Deutung ihrer Kunst enthält oder gar widersetzt. Der Pressetext listet im Wesentlichen nur ihre Ausstellungen und die jeweiligen Techniken auf. Weder das Interesse der Künstlerin an traditionellen Techniken noch die ausgestellten Arbeiten werden näher erläutert. Dazu kommt noch, dass die im Heftchenformat erschienene Begleitpublikation nur eine Kritzelei und einen belanglosen Text enthält, dessen Autor eigene biografische Anekdoten lose mit Haller verknüpft. Die Publikation wirkt dadurch wie nachträglich improvisiert.
Dennoch sticht Haller mit ihrer ernsten und markanten Bildsprache unter ihren Wiener GenerationskollegInnen heraus, die sich nicht selten in albernen Witzen oder blutleerer Pseudoinstitutionskritik ergehen. Da die philosophische Diskussion aber einen wichtigen Teil von Kunst ausmacht, wirkt die Diskursverweigerung der Künstlerin hinderlich, und zwar nicht nur für das Publikum, sondern auch für ihre eigene weitere Entwicklung. Die hier ausgestellten, fein produzierten Arbeiten sind so virtuos präsentiert, dass dieser Fauxpas nur umso auffälliger erscheint.
Übersetzt von Thomas Raab