Heft 4/2016 - Lektüre
Es ist nicht ganz einfach, mit dem Begriff „queer“ umzugehen: Als Adjektiv verwendet, gerinnt er leicht zum Ersatz für variierende, aber letztlich immer additive LGBT-Reihungen. Als Verb markiert er eine Aktivität, die sich gegen geschlechtliche (und andere!) Festschreibungen richtet, ja ganze Systeme der normativen Identifizierung aushebeln soll. Dabei wird es aber zuweilen so theoretisch, dass die konkrete politische Dimension des Begriffs verblasst. Viele Menschen haben diese Schwierigkeit mehr als einmal diskutiert. Der Sammelband Pink Labor on Golden Streets: Queer Art Practices bezieht sie auf künstlerische Interventionen.
Hintergrund ist die von Christiane Erharter und Dietmar Schwärzler kuratierte Ausstellung Rosa Arbeit auf goldener Straße (2012–13) sowie die von Jakob Lena Knebl, Hans Scheirl, Ruby Sircar, Tim Stüttgen und Sophia Süßmilch konzipierte Konferenz Dildo Anus Macht: Queere Abstraktion (November 2012), beide an der Akademie der bildenden Künste Wien. Der Band ist keine Dokumentation der Konferenzbeiträge, nur sehr wenige von ihnen tauchen auf, warum, wird nicht gesagt, es wäre interessant gewesen. Viele der 24 Texte wurden für das Buch neu geschrieben, viele über KünstlerInnen, die an der Ausstellung beteiligt waren, und über ihre Arbeiten. Darunter sind Gespräche und Essays, das Spektrum reicht von akademischen, experimentellen bis hin zu persönlichen Schreibweisen.
Das Buch beginnt mit konzeptionellen Überlegungen der KuratorInnen, die für Ausstellung wie Buch den schönen offenen Satz „form meets politics“ formulieren. Es folgt ein Gespräch zwischen Knebl, Scheirl und Sircar über queere und postpornografische Diskussionen. Eine entschiedene Verknüpfung der Begriffe „queer“ und „Abstraktion“ – die auf Judith Jack Halberstam zurückgeht und im Konferenztitel auftaucht – nimmt dann der Kunsthistoriker David J. Getsy vor. Er macht Abstraktion als Möglichkeit stark, den allgegenwärtigen kulturellen Markierungen der Körper zu entkommen, und diskutiert dies an mehreren Beispielen. Dem stellt Barbara Paul gegen Ende des Buches Renate Lorenz’ an Foucault angelehntes Konzept der körperlosen Körper entgegen. Sie findet den Begriff der „Abstraktion“ zu befrachtet mit Bedeutungen, zu verflochten in historische und gegenwärtige Markt- und Machtstrukturen. Allein Getsys und Pauls Positionen bieten Stoff für eine abendfüllende Diskussion.
Wie unbegeistert manche KünstlerInnen auf den Begriff der „queer abstraction“ reagieren, zeigt Ulrike Müllers Gespräch mit Harmony Hammond: „I have become increasingly irritated by how an idea of ,abstraction‘, as soon as it is qualified as ,queer‘, seems to fuel back into iconography, and by the readings this produces in relation to my work.“ Auch den damit einhergehenden Bezug auf ihre Person schätzt sie nicht: „In a way I’m trying to push beyond myself, and maybe that is another reason why I resist the label queer for my work – it makes it too much about myself, or about myself in the wrong way.“
Ihr Einspruch berührt die alte Frage, in welcher Relation eine Arbeit und die Person, die sie herstellte, zueinander stehen, also die Frage nach der Autorschaft. Eine Antwort wäre, auch diese Kategorie zu „queeren“. Vaginal Davis und Kaucyila Brooke tun es in ihrer schwungvollen Konversation, aber auch Werner Hirschs Text zu Fantasies and Fetishisms. Sie zeigen, so wie eigentlich alle unter der Überschrift „Drag“ und auf rosa Seiten versammelten Beiträge, wie die Nichtfixierbarkeit einer Identität oder Sprechposition artikuliert werden kann. Anders, aber genauso wirkungsvoll ist die Strategie von Aykan Safoğlu, dessen Kurzfilm Kırık Beyaez Laleler die klare Trennung zwischen Subjekt und Sujet einer Dokumentation auf verschiedenen Ebenen durchkreuzt. Der Film über James Baldwin in Istanbul wird von Cana Bilir-Meier und Madeleine Bernstorff vorgestellt.
Das Buch versammelt Überlegungen und künstlerische Praxen, die sich widersprechen, ergänzen, in Bewegung versetzen. Sie sind sehr unterschiedlich. Halberstams eher akademische Ausführungen zu „wildness“ und „anarchy“ werden von G. B. Jones’ Erinnerungen an Punk und „queercore“ kontrastiert. Anna Daučiková oder Karol Radziszewski beziehen sich in ihren Arbeiten auf die sozialistische Vergangenheit Osteuropas, Nanna Heidenreich stellt mit Tejal Shahs Between the Waves eine Videoinstallation voller Referenzen auf Indiens Gegenwart und Geschichte vor. Raed Rafeis Beitrag kreist um homosexuelle Männer in Beirut und thematisiert Begehren, Angst und Misshandlungen. Kaucyila Brooke denkt über ihre Wasserfallbilder nach, die oft als Vagina gelesen werden, während sie selbst beim Fotografieren ganz anderes, nämlich ihren sterbenden Vater im Sinn hatte. Neben diesen und anderen Texten von und zu einzelnen KünstlerInnen gibt es Einblicke in die Ausstellungsarchitektur und ein Verzeichnis der dort gezeigten Arbeiten.
Eine griffige Aussage lässt sich aus all dem nicht extrahieren, auch nicht darüber, wie mit dem Wort „queer“ in Bezug auf Kunst umzugehen sei. Statt klarer Antworten finden sich aber jede Menge Beispiele dafür, wie in der künstlerischen – abstrakten oder körperlichen oder körperlosen oder postpornografischen oder (post-)biografischen oder überhaupt nicht in solche Raster einzuordnenden – Praxis normative Systeme infrage gestellt werden. Sie reiben sich aneinander, fordern einander heraus und die LeserInnen dazu auf, es sich nicht in irgendwelchen Begriffen oder Konzepten bequem zu machen – ein Fazit, das durchaus zu queeren Anliegen und Strategien passt.