Heft 2/2017 - Artscribe
Vom 14. Oktober bis 14. Mai ist im Deutschen Historischen Museum in Berlin die Ausstellung Deutscher Kolonialismus1 zu sehen. Mit mehr als 500 Exponaten aus privaten, ethnologischen und naturkundlichen Sammlungen (viele aus dem Museum selbst) gibt die Ausstellung zum ersten Mal einen Überblick über die deutsche koloniale Geschichte. Sie widerlegt dabei zwei hartnäckige nationale Mythen: Der deutsche Kolonialismus sei erstens marginaler und zweitens weniger brutal als jener seiner Nachbarn gewesen. Sie ist damit vergleichbar zur Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht2, die die nationale Erzählung des ehrenhaften deutschen Soldaten dekonstruierte. Es geht in beiden Ausstellungensprojekten um diese historische Deutlichkeit, die keine Gegenerzählung, kein Ressentiment der besiegten, verhinderten Nation mehr zulässt, und das ist ihr großes Verdienst.
Bei dieser Ausstellung ist diese Deutlichkeit allerdings vor allem in den Aufsätzen im Katalog zu finden. Sie verliert im Ausstellungsraum an Kontur, so als ob in der Ästhetik der Displays und der sehr aufwendigen Ausstellungsdidaktik sich etwas wie von selbst kompensiert an Vermittlungsauftrag, Objektpräsenz, an Bewältigung. Und es mag an unserer eigenen Voreingenommenheit liegen gegenüber diesem Museum (das seine ideologische Re-Education sehr demonstrativ in den 1990er-Jahren unternommen hatte) und gegenüber seinem kulturpolitischen Umfeld (die Ausstellung wird als beispielhaft für das zukünftige Humboldtforum im wiedererrichteten Preußenschloss genannt), dass wir die Töne der deutschen Nationalhymne, die mit Glocken von einem presbyterianischen Chor in Lomé gespielt wird, zwar als Ironie rationalisieren, dennoch nehmen wir sie wie einen Soundteppich wahr, der durch den Raum schwebt und uns hineinzwingt in die allzu bekannte Dynamik nationaler Aufklärung, dieser Dreisatz von Bekenntnis der Verbrechen, Katharsis und Selbstversöhnung. Der Chor ist Teil eines Dokumentarfilms, der unter anderem ein diplomatisches Protokoll zeigt, ein Versöhnungsritual, in dem die AnwohnerInnen berichten, wie sich die Urgroßeltern – Zwangssöldner – aneinandergebunden haben, um nicht zu fliehen in der Schlacht. So groß war die Angst. Der Erzähler bricht ab mit der Bemerkung, dass die Weißen das ja alles schon viel besser wüssten.3
Die Ausstellung weiß um die ambivalente Geschichte hegemonialer Selbstaufklärung4. Aber je mehr sie versucht, dagegen anzugehen, umso mehr scheint sie in deren Strudel zu geraten. Als geografische Orientierung ist der Raum in Längen- und Breitengrade unterteilt, die die Kolonien von Namibia bis Samoa umfassen. Ihnen angepasst sind die konisch zulaufenden Displays. Das Konzept wirkt überfordert. Ein Problem der Ausstellung liegt darin, den deutschen Kolonialismus in seiner Gesamtheit bis hin zu seinen Kontinuitäten in der Gegenwart darstellen zu wollen. Sie will nichts unterschlagen und zeigt von allem ein bisschen. Sie beginnt mit der Afrikakonferenz, die 1884 in Berlin stattfand und auf der die junge deutsche Nation ihre kolonialen Ansprüche setzte. Danach versucht sie, in einer Flut von Dokumenten, Postkarten, Plakaten, Souvenirs, Filmen und Alltagsgegenständen das zu zeigen, was im Katalog so klar formuliert wurde: der Einfluss des Kolonialismus auf die „Metropole“, „die Verbindungslinien zwischen den Kolonialkriegen – insbesondere dem Vernichtungskrieg gegen die Herero und Nama […] und dem Ersten Weltkrieg sowie der rassistischen Eroberungspolitik der Nationalsozialisten in Osteuropa“5. Die Schau endet nach einer kurzen Thematisierung des antiimperialistischen Engagements der DDR in der Gegenwart, in der Initiativen gegen den Sarottimohr, die Umbennenung von Straßennamen, die Diskussion über die Begriffe Schwarzafrikaner versus People of Colour denselben Raum einnehmen wie die Kontinuität von wirtschaftlicher Ausbeutung oder die Pressekonferenz, in der die Regierung zum ersten Mal den Begriff Völkermord offiziell bestätigte und damit eine mögliche rechtliche Grundlage für Reparationszahlungen schuf.
In dieser Multiperspektivität verspielt die Ausstellung die Chance, die Spezifik des deutschen Kolonialismus herauszustellen. Im Katalog heißt es: „Das wirtschaftlich wenig erfolgreiche Kolonialunternehmen des kolonialen Nachzüglers Deutschland war stark an einem Prestigedenken ausgerichtet, das Kompromisse kaum duldete […] die Vernichtungspolitik von Trothas im Herero- und Namakrieg sowie die anschließende Radikalisierung der Kolonialherrschaft […] übertrafen das sonst übliche brutale Vorgehen.“6 Wo die Imperien ihre kolonialen Genozide in zynischer Gelassenheit als Kollateralschaden notwendiger kapitalistischer Enntwicklung abtun können7, zeigt sich der deutsche Kolonialismus als moralisches Unternehmen des eben erst gegründeten Nationalstaats, der „Volk“ und „Rasse“ dringend für die eigene Konstituiertheit braucht. Die Unbedingkeit von Vernichtung wird angetrieben von einem verspäteten nationalen Ego, ein noch unsicheres mentales Medium staatlicher Kollektivität. Die Rede des großen Diktators in Chaplins Film imitiert meisterhaft die deutsche Phonetik. In ihrem Lautgeschnarre wird ein Wort sehr deutlich wiederholt: Strrrafffen, Strrraffen, Strrrafffen.
Um noch einmal zurückzukommen auf diese gleiche Gültigkeit der Dinge im Raum als Aspekte der Ausstellung: Sie will „correct“ sein, erzeugt aber politische Indifferenz. Diese Indifferenz macht vielleicht den Treibsand der Ausstellung aus. Sie vermeidet – unter dem Paradigma, möglichst nichts zu exkludieren – eine selbstverantwortliche und damit angreifbare Stellungnahme. So findet sie sich wieder in den Vorgaben wissenschaftlicher Universalität, die sie doch eigentlich als Teil historischer Macht kritisieren wollte.
1 Deutscher Kolonialismus, Fragmente seiner Geschichte und Gegenwart, kuratiert von Heike Hartmann und Sebastian Gottschalk, Deutsches Historisches Museum, 2016.
2 Verbrechen der Wehrmacht, Dimensionen eines Vernichtungskrieges 1941–1944,
initiiert vom Hamburger Institut für Sozialforschung. Die Ausstellung wurde am 5. März 1995 – dem 50. Jahr nach Kriegsende – in Hamburg eröffnet und bis zum 4. November 1999 in 34 Städten in Deutschland und Österreich gezeigt.
3 Anlässlich des Volkstrauertags, der von der Regierung in Togo zur Erinnerung an die Schlacht zwischen den Deutschen und den alliierten Mächten Frankreichs und Großbritanniens 1914 verordnet wurde, in: Jürgen Ellinghaus, Togoland November, Dokumentarfilm 2016.
4 Das Auswärtige Amt hat zwei Curators in Residence aus Tansdania und Namibia finanziert: Flower Manase Msuya und Memory Biwa.
5 Ulrike Lindner, Transimperiale Orientierung und Wissenstransfers, in: Deutsches Historisches Museum (Hg.), Deutscher Kolonialismus. Berlin 2016, S. 18.
6 Ebd., S. 29.
7 Schön nachlesbar in den Artikeln von Karl Marx über die britische Kolonialherrschaft, z.B. The Future Results of British Rule in India, in: New York Daily Tribune, 8. August 1853.