Heft 4/2017 - Netzteil
In Projekten wie CRASH (2015) und Bodyholes (2016) zeigten Paul Barsch und Tilman Hornig, dass sich jede noch so schmale Ritze nutzen lässt, um Kunst zu zeigen. Ob zwischen den Sitzpolstern einer Stretchlimousine oder den intimsten Falten unseres Körpers – kein Ort war den unter dem Namen New Scenario zusammenarbeitenden Künstlern zu entlegen, um an ihm unsere Raumwahrnehmung zu irritieren. Während die Resultate hier Dokumentationen in Form von Bildstrecken waren, basiert HOPE (2017) auf 360°-Fotografien, aufgenommen in der Technischen Universität Dresden, die für das Shooting in eine wimmelbildartige, von StatistInnen bevölkerte Kulisse zwischen Unialltag und Teenie-Horror, Highschool-Massaker und Zombie-Apokalypse verwandelt wurde. In die das Online-Projekt untermalende anziehend-bedrohliche Geräuschkulisse mischen sich Zivilisations- und Verwaltungsgeräusche wie Telefonklingeln, Hupen und Geräterauschen, Cembaloklänge, Kreissägenartiges und Naturgeräusche, die an raschelnde Insekten und Gewittergrollen erinnern. Per Mauszeiger, Pfeiltasten oder Zeigefinger auf dem Handyscreen navigiert man online durch Hörsaal, Mensa, Kopierzimmer, Flure, Labore und Büros, auf der Suche nach den unheimlich pulsierenden Kreissymbolen, die Verlinkungen zu weiteren Räumen und Arbeiten andeuten.
Stärker als in früheren Projekten stellt sich in HOPE die Frage, wie die Art, in der wir durch die von New Scenario gebaute digitale Umgebung navigieren, unser Verhältnis zu den eingebetteten Arbeiten beeinflusst. Anders gesagt: Werden wir hier „infiziert“ mit einem Virus, der uns in digitale Untote verwandelt? Und (wie) wird dieser Zustand dabei reflektierbar?
Im metaphorischen Sinn sind Zombies umherirrende Wesen ohne Individualität, getrieben von einer Fremdbestimmtheit, die sie bereitwillig den Vorgaben anderer Personen oder Systeme, etwa dem des Konsumkapitalismus unter den Vorzeichen der Digitalisierung, folgen lässt. Zombies stehen für eine Angepasstheit, die Unfähigkeit zu Kritik und Selbstreflexion impliziert. Hungrig auf Nähe, aber unfähig zu echtem Interesse am anderen, an sozialen Zusammenschlüssen und letztlich an sich selbst, steht der Zombie für eine Mischung aus aktiver Bewegung und selbst gewählter Passivität, mit der wir uns in digitalen Umgebungen bewegen, Content „prosumieren“ und dabei, auch wenn wir ihnen nicht automatisch erliegen, stets den Gefahren einer Ermüdung im Politischen und einer Abflachung des Sozialen ausgesetzt sind.
In HOPE wird das Umschlagen von aktiver Teilhabe in passives Zuschauen in unserem Umgang mit Kunst, aber auch mit menschlichen und nicht-menschlichen Objekten generell in digitalen Zusammenhängen spürbar. Die oft aus unbewegten Elementen bestehenden Arbeiten werden in eigens produzierten YouTube-Clips präsentiert, wurden sozusagen verfilmt, aus konstanter Entfernung von der Kamera umkreist oder langsam herangezoomt. Wie ein Raubvogel oder eine Drohne über der Beute umkreist die Kamera etwa Monia Ben Hamoudas Objekte aus Make-up-Schwämmen, Knochen, Kabelbindern und Schweineohren. Der Schwenk von der Detailbetrachtung auf einen größeren Zusammenhang bleibt aus, die spannungserzeugenden Mittel laufen ins Leere. Sie tragen zur hypnotischen Atmosphäre eines drohenden Unbekannten bei, in der sich scheinbar jederzeit etwas ereignen könnte.
Als UserIn kann man den Blick auf die Werke nicht selbst ausrichten, sondern bleibt dem Auge der Kamera ausgeliefert, das zoomend sich heranpirscht und scannend an Objekten entlanggleitet. Die Animation der Exponate zeigt sich tatsächlich als Belebung – belebt werden aber weder die betrachteten Objekte noch die betrachtenden Subjekte, sondern ein fremder Blick als etwas Drittes, das nicht von uns zu kontrollieren ist, auf das wir angewiesen sind, das uns Überblick verspricht, aber vor allem eine Perspektive vorgibt, die wir innerhalb des Settings nicht eigenmächtig zu wechseln vermögen.
Auch die 360°-Fotos und die für diese posierenden Menschengruppen sind um uns zentriert, doch gehen die Blicke oft an uns vorbei oder durch uns hindurch. Der uns umspielende, aber nicht aktiv Kontakt aufnehmende Blick findet sich ebenso in einzelnen Arbeiten: In Bailey Scieszkas Video Sentimental Cyberslam (2017) schwebt ein ungesund clownesk geschminkter Kopf digital freigestellt vor einer scheinbar blutverschmierten Front aus Toilettentüren. Er redet von Postapokalypse und dem Untergang der Zivilisation, von Queerness und magischen Spielzeugdelfinen und blickt die ganze Zeit über seitlich an uns vorbei, als lese er von Schildern neben der Kamera ab. Am Ende blickt er auf, als erwarte er eine Reaktion auf die fehlerfrei abgelieferte Leistung. Es sind Feinheiten wie diese, die die oft auf plakativen Motiven basierenden Arbeiten interessant machen; in denen sich auf inhaltlicher Ebene ein Wille zu Rebellion abzeichnet, der im Formalen jedoch sichtlich nicht unberührt bleibt von äußeren Darbietungskonventionen.
Mariechen Danz’ Objekt Mask (Kopfschnitt toxout) (2015) wird von New Scenario so präsentiert, dass uns ihre aufgerissenen Augen knapp verfehlen: Es wird im YouTube-Video auf einem Fotokopierer liegend ein ums andere Mal von unten gescannt, beleuchtet, immer wieder neu immer wieder gleich kopiert. Der Titel lässt an die Maske als überstreifbare Hülle denken, aber auch an eine frisch aufgeschnittene „Scheibe Kopf“ oder das Resultat eines Tiefdruckverfahrens, in dem jede farbliche Hervorhebung auf dem Abzug eines Einschnitts in den hier vom menschlichen Antlitz gebildeten Druckstock bedarf. Eine Parallele zum neoliberalen Postulat zur „auflagenstarken“ Vervielfältigung eines individuell „zurechtgeschnittenen“ Selbst zu sehen, läge hier nicht fern.
Der Blick als mutmaßlicher Träger von Subjektivität wird in HOPE effektvoll in Szene gesetzt, durch Beleuchtung der Maske, die Kontaktlinsen des Cyberslam-Protagonisten, die expressive Mimik der StatistInnen oder die Kameraarbeit in der Verfilmung der Objekte – doch bleibt die Inszenierung klar als äußere erkennbar. In der Vielfalt der Positionen deutet sich eine Enge an, die wir klickend und scrollend „selbst entdecken“ dürfen, in einem Labyrinth, in dem man immer dort herauszukommen scheint, wo man kurz zuvor gestartet ist. Das Aufgreifen motivischer und inszenatorischer Eyecatcher der Massenmedien rückt die Art, wie wir Bilder und Objekte, besonders digital reproduzierte, betrachten und vor Augen geführt bekommen, in den Fokus.
Die Mischung aus Aufforderung zu persönlicher Involvierung – repräsentiert durch den Blick – und Begrenzung der Möglichkeiten zur Teilhabe ist charakteristisch für die postdigitale Medienlandschaft. Sie tritt in HOPE auf drei Ebenen – in einzelnen Arbeiten, deren Art der Präsentation sowie der von uns zu durchquerenden rahmenden 360°-Fotografien – hervor. Es entsteht eine Spannung zwischen der kritisch kommentierenden Funktion der Arbeiten und dem Einsatz inszenatorischer Formeln der Unterhaltungsindustrie, die ganz buchstäblich auf eine äußerliche Belebung und Beleuchtung der Augen ausgerichtet sind. Diese Spannung verweist nicht zuletzt darauf, dass wir auch im emanzipierten Umgang mit medialen Inhalten und Formaten sowie mit unserem Selbst als medial präsentem Träger von Bildern und Projektionen mitunter schwer aus standardisierten Kommunikationsformen ausbrechen können. Die Situation, dass wir tatsächlich zu einem gewissen Grad durch bestimmte Nutzugsgewohnheiten im Umgang mit Medien digital „zombifiziert“, dadurch aber nicht unwiederbringlich unserer Handlungs- und Bewegungsfähigkeit entledigt sind, wird in HOPE auf eine Weise spürbar, die gerade im Plakativen ihre ambivalente Wirkung entfaltet.