Heft 4/2017 - Lektüre



Sønke Gau:

Institutionskritik als Methode

Hegemonie und Kritik im künstlerischen Feld

Wien (Turia + Kant) 2017 , S. 74 , EUR 40

Text: Peter Kunitzky


Gleich der erste Satz des Vorworts verrät es: Diese Studie versteht sich keineswegs als eine – und schon gar nicht als die schlechthinnige, einzig gültige – Geschichte der Institutionskritik, die ihren womöglich sogar mythischen Ursprung auszumachen gedenkt, um von da an die lineare und konsistente und eventuell auch schon abgeschlossene Entwicklung ihrer Manifestationen nachzuzeichnen. Nein, diesen klassisch kunsthistorischen Ansatz, den sowohl eine selektive Willkür wie auch eine freiwillige Beschränkung/Beschränktheit, das heißt eine bewusste Blindheit gegenüber den fachfremden Kontexten auszeichnet, weist ihr Autor, der langjährige Kurator und nunmehrige Dozent an der Zürcher Hochschule der Künste Sønke Gau, nachdrücklich zurück. Stattdessen wählt er ein gleichsam offenes Format, das nur eine mögliche – und, wie er ganz uneitel notiert, auch sofort wieder überschreib- oder revidierbare – Geschichte der Institutionskritik anvisiert, dabei vor allem ihre Diskontinuitäten, Brüche und Widersprüche ins Auge fasst und sie auch noch ausfransen lässt, hin zu den benachbarten Disziplinen wie der Philosophie, der Soziologie oder der Ökonomie. Kurz: Der Autor möchte hier keine apodiktische Geschichte niederlegen, sondern vor uns ein potenzielles Panorama entrollen, eine Art Bewegtbild, quecksilbrig, jede Stasis vermeidend, was schon bei den beiden zentralen Begriffen „Institution“ und „Kritik“ beginnt, die nicht ein für alle Mal substanziell festgeschrieben, sondern in ihrem permanenten Wandel, in ihrem dynamischen Verhältnis vorgeführt werden.
Und anhand ebendieser Relation lässt sich vielleicht auch am ehesten durch das von Gau entfesselte Theoriegewitter navigieren, das insgesamt drei Phasen der Institutionskritik umwölkt: In der ersten Phase, die – wie herkömmlich – in den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren verortet wird, herrschte, ebenso wie zu Zeiten der historischen Avantgarde, von der die hier adressierte Neoavantgarde auch die Mittel und Methoden übernahm, ein eher topologisches Verständnis der Institution vor. Das heißt, die Institution wurde als konkreter (meist musealer) Ort angesehen, als Instanz der Selektion, Exklusion, Legitimierung und Wertsicherung sowie – mit Foucault gedacht – auch als Anstalt der diskursiven Ordnung der Dinge und der Einübung in bürgerliches Verhalten, denn die ideologische Funktion des Museums war, man erinnere etwa das Beispiel des Louvre, von Anfang an keineswegs von ganz nebensächlicher Bedeutung. Die Kritik von künstlerischer Seite erfolgte überwiegend aus einer als ideal betrachteten Distanz, weil man sich definitiv nicht als Teil der Institution sah, was aber nicht verhindern konnte, dass diese Positionen schließlich selbst institutionalisiert und in ebenjenen Museen ausgestellt wurden, die vormals Gegenstand der Kritik waren: ein Umstand, der bekanntlich Peter Bürger dazu veranlasste, auch deswegen vom Scheitern der (Neo-)Avantgarde zu sprechen.
Diese bipolare Sichtweise von Institution und Kritik wird nun in der zweiten Phase der Institutionskritik, also in den späten 1980er- und frühen 1990er-Jahren, insofern differenziert, als dagegen Bourdieus Feld-Habitus-Theorie in Anschlag gebracht wird, was dazu führt, dass Kunstinstitutionen jetzt nicht mehr als monolithische und isolierte Gebilde, sondern als soziale Orte der Interaktion innerhalb des vernetzten künstlerischen Felds wahrgenommen werden. Für die Kritik bedeutet das weiterhin, dass sie sich völlig neu ausrichten muss, dass sie einerseits Objekte wie Galerien, Auktionshäuser oder Kunstzeitschriften zusätzlich in den Blick zu nehmen hat, andererseits aber auch die sozialen Positionen der AkteurInnen nunmehr in ihre Analyse einbeziehen muss. Denn die Habitus-Theorie legt es nahe, dass die Denk- und Handlungsformen des künstlerischen Felds von dessen PartizipantInnen internalisiert und reproduziert werden, was nichts anderes heißt, als dass auch die kritischen KünstlerInnen zwingend in das System involviert sind, dass auch sie von den für alle gültigen Spielregeln des Felds kompromittiert werden und die Institutionskritik letztlich auf eine Selbstkritik hinausläuft. Womit dann natürlich auch die bange Frage verbunden ist, ob diese intrikate Konstellation überhaupt noch eine Kritik zuließe, die nicht sofort in ihr Gegenteil, also in Affirmation umschlüge. Doch diese Zweifel glaubt der Autor mit einiger Bestimmtheit zerstreuen zu können, indem er, etwa im Rekurs auf die Kommunikationstheorie von Negt/Kluge und die Hegemonietheorie von Laclau/Mouffe, die Möglichkeit für gegenhegemoniale Artikulationen durchaus gegeben sieht, ja, er geht sogar so weit, aufgrund dessen eine dritte Phase der Institutionskritik einläuten zu wollen, die sich nicht nur auf kunstfeldinterne Analysen zu beschränken hätte, sondern, nur so zum Beispiel, auch die aktuelle neoliberale Hegemonie erschüttern sollte. Womit ganz am Ende dann noch der eingangs vielleicht etwas irritierende Buchtitel Institutionskritik als Methode mit Sinn erfüllt wird.
Und da hier schon so viel von Kritik die Rede ist: Der Autor hätte, bei einem so originellen Konzept, vielleicht erwägen können, etwas weniger kanonische Positionen (Duchamp, Broodthaers, Fraser) als praktische Beispiele heranzuziehen, er hätte hier etwa, wie von Isabelle Graw einmal vorgeschlagen, mehr auf die Malerei – eine Gattung, an die im Zusammenhang der Institutionskritik leider kaum je gedacht wird – setzen können. Und er hätte seinen fehlerhaften und stellenweise redundanten Text ruhig noch einmal überarbeiten dürfen. Aber diese Kritik richtet sich dann wohl eher an den Verlag.