Heft 4/2017 - Netzteil


Was das Herz will

Rettungsversuche des Humanen angesichts immer dichterer Künstliche-Intelligenz-Umgebungen

Christian Höller


Die Facebook-Ingenieure haben schlussendlich den Stecker gezogen. Als man letzten Sommer in der hauseigenen Artificial-Intelligence-Abteilung ein Experiment mit zwei Computer-Chatbots durchführte, worin die beiden simple Gegenstände austauschen sollten, begannen Bob und Alice (so ihre anthropomorphen Namen), kurzerhand eine neue Sprache zu entwickeln. Der fremdartige Code, den die Forscher nicht mehr entziffern konnten, war zwar weit davon entfernt, irgendeinen realen Schaden anrichten zu können. Dennoch gab der Sachverhalt den Ingenieuren zu denken und veranlasste sie, die zwei Intelligenzen lieber wieder vom Netz zu nehmen, als sie lustig weiterbrabbeln zu lassen.
Episoden wie diese mögen (projektiv) mit ein Grund gewesen sein, warum die heuer zum zweiten Mal ausgerichtete Vienna Biennale zentral den Status des Menschseins inmitten zunehmend undurchschaubarer digitaler Umgebungen thematisieren wollte. Wer weiß schon, was in den Künstliche-Intelligenz-Laboren der Multimediagiganten wirklich geforscht wird? Und sollte man sich nicht längst im Klaren darüber sein, wie ein „humanes digitales Miteinander“ (Zitat aus dem Untertitel der Biennale) auszusehen hat? Etwas, das zugegeben diffizil ist angesichts von in geheimen Labors durchgeführten Testläufen, von denen der Rest der Menschheit stets nur eine minimale Speerspitze zu sehen bekommt, und dies auch nur dann, wenn ein neues Produkt oder Tech-Feature vor der Markteinführung steht. Diesbezüglich einen größer angelegten Diskurs entfachen zu wollen, so wie dies auch die heurige Ars Electronica unter dem etwas kalauernden Titel AI – das andere Ich versuchte, ist mehr als berechtigt. Schließlich meint die heute viel beschworene „Singularität“ jenen „hypothetischen Zeitpunkt, wenn künstliche Intelligenzen und andere Technologien so weit fortgeschritten sind, dass die Menschheit eine dramatische und irreversible Veränderung durchläuft“ (Oxford Dictionary). Dies gedanklich antizipieren zu wollen, ist ein legitimes Ansinnen, dem die Vienna Biennale auf mehreren Pfaden nachzugehen versuchte.
Einen davon legte die vom Wiener MAK (dem Anker der Biennale) gemeinsam mit dem Vitra Design Museum und dem Design museum Gent konzipierte Schau Hello, Robot: Design zwischen Mensch und Maschine. Unter vier großen Headern (von Science-Fiction über Arbeit bis zum „Einswerden“ mit Maschinen) bzw. 14 leitmotivischen Fragen (etwa „Wie fühlen Sie sich dabei, dass Objekte Gefühle für Sie empfinden?“) wird darin auf sehenswerte, teils jedoch sehr dicht gestrickte Weise die Geschichte der Robotik aufgerollt. Auch wenn die Vielzahl der darin enthaltenen Spielfilme schlichtweg nicht rezipierbar ist und eine etwas konzisere Auswahl nicht von Nachteil gewesen wäre, führt die Ausstellung prägnant vor Augen, wie es möglicherweise sein wird, wenn nicht sogenannte Pflegekräfte, noch dazu meist schlecht bezahlt, sondern Roboter sich um Dahinsiechende und Kranke kümmern werden. Die End of Life Care Machine (2012) des Künstlers Dan Chen existiert bereits, in welchem Ausmaß Maschinen dieser Art künftig zum Einsatz kommen werden, ist vermutlich nur eine Frage der Zeit (bzw. von implodierenden Sozialsystemen).
Schafft Hello, Robot streckenweise sehr gelungene, sich wechselseitig kommentierende Assemblagen aus Technik, Kunst und Design, so geht es in der darin eingebetteten Kunstausstellung Artificial Tears: Singularität & Menschsein um keinen geringeren Anspruch als „ein Plädoyer für die Menschheit“ (Beipacktext). Werden wir, so die Ausgangsfrage angesichts der zuvor umrissenen KI-Szenarien, „noch wissen, was es bedeutet, ‚lebendig‘ zu sein, zu lieben, zu lachen und zu weinen, wie ein Baum riecht, wie sich unsere Haut anfühlt oder wie Salzwasser schmeckt?“ Die Antwortversuche, künstlerischer Natur, fallen entlang des formidabel inszenierten Displays inhaltlich jedoch eher bescheiden aus. Großteils skulptural, installativ und kaum von typischer elektronischer Kunst durchsetzt, wie sie die alljährliche Leistungsschau der Ars Electronica dominiert, versucht Artificial Tears Refugien eines scheint’s immer schon außer Zweifel stehenden Humanen zu orten. Ungeachtet aller Humanismuskritik, man denke an die immer schwerwiegenderen Einwände gegen einen ungebrochenen Anthropozentrismus, möchte die Ausstellung das „Rest-Humane“ zunächst im Science-Fiction-Bereich aufspüren. Und tatsächlich führt Aleksandra Domanovićs raumgreifende Fotofolieninstallation Things To Come (2014) anhand bearbeiteter Einzelmotive aus ausgewählten Sci-Fi-Filmen ein Moment ins Treffen, das den gängigen Narrativen von Technik und Mensch = Mannsein zuwiderläuft: So findet sich am Ende der chimärenhaft wirkenden Folienüberblendung das historische Dokument eines Briefs aus dem Jahr 1938, in dem einer Stellenaspirantin von Disney Productions beschieden wird, dass für Frauen schlichtweg keine „kreative Arbeit“ vorgesehen sei. Nicht alle Sci-Fi-Bezüge der Schau exponieren derart pointiert kontroverse „humane“ Bruchlinien.
Ein zweiter Strang, das „Rest-Humane“ angesichts kalter maschineller Bedrohungen zu retten, führt zum dezidiert Körperlichen. Kiki Smiths tongue-in-cheek-hafte Installation Untitled (1992/93) mit zwölf gleich aussehenden Silberkesseln, auf denen jeweils der Name einer Körperflüssigkeit steht, mag für vieles stehen bzw. multipel codiert sein. Sie aber just gegen Künstliche-Intelligenz-Schreckgespenste ins Rennen schicken zu wollen, tut ihr (und der Ausstellung) keinen wirklichen Gefallen. Zu verkürzt bzw. vereinfachend festgeschrieben lässt der solcherart suggerierte Kurzschluss die Essenz des Humanen erscheinen. Ähnlich alibihaft wirkt der dritte konzeptive Pfad, den die Schau ansteuert, nämlich der Bezug auf Drogenerfahrungen und Schamanismus. Jeremy Shaws Acht-Kanal-Installation DMT (2004) reiht acht Testpersonen unter der Einwirkung von halluzinogenem Dimethyltryptamin im Halbrund auf. Ihre „unter Einfluss stehenden“ Berichte muten ähnlich glossolalisch wie die spontane Privatsprache der beiden Facebook-Computer an. Hier scheint sich dann doch wieder ein Kreis zu schließen, wenn auch ungewollt, da der auf Rauscherfahrung setzende Rettungsversuch des Humanen darauf hinausläuft, das „Singuläre“, also Nicht-Reproduzier- oder Simulierbare, als letzte Bastion des Menschlichen hinzustellen. Aber hat man dies einmal so festgehalten, und das ist die Crux jeglichen Humanismus alter Schule, dann spricht nichts bis wenig dagegen, ein solches Kriterium genauso für Maschinen zu postulieren bzw. auf speziesübergreifende Weise zu extrapolieren.
So bleibt es einer Arbeit wie Working on What the Heart Wants (seit 2015) von Cécile B. Evans vorbehalten, die vertrackte Verzahnung, die Menschliches und Künstliche-Intelligenz-Mäßiges unauflösbar miteinander verbindet, zur Darstellung zu bringen. What the Heart Wants war Evans’ Beitrag zur 9. Berlin Biennale (2016), die Entstehungs- bzw. Weiterarbeit daran bildet den Fokus der in Artificial Tears enthaltenen Making-of-Arbeit. Auf zwei Monitoren sieht man Szenen aus dem Originalfilm, kleine paradigmatische Vignetten jener Post-Internet-Dystopien, die Evans höchst gekonnt in Szene setzt (Haie, die in einer menschenleeren, unter Wasser stehenden Mall herumschwimmen; eine 3D-animierte Mangafigur, die über einem Ozean tanzt). Auf dem dritten Schirm läuft ein in Echtzeit stattfindender Chat zwischen Künstlerin und diversen ZuarbeiterInnen – AnimationsspezialistInnen, die darüber berichten, wie schwierig es ist, Haare in einer Animation natürlich aussehen zu lassen. „heartwants123d“, so das Alias der Auftraggeberin, gibt sich auf freundliche Weise mit den erzielten Ergebnissen nicht einfach zufrieden. Solcherart umkreist das, „was das Herz will“ und sich dabei doch stets entzieht, genau jenes unheimliche Tal, das Mensch und Maschine trotz aller innigen Verschlungenheit voneinander trennt. Ohne dabei ein „genuin Menschliches“, das es gegen alle Künstlichkeit zu verteidigen gälte, zu beschwören.

Artificial Tears: Singularität & Menschsein – eine Spekulation und Hello, Robot: Design zwischen Mensch und Maschine, beide im Rahmen der Vienna Biennale 2017, MAK Wien, 21. Juni bis 1. Oktober 2017; www.viennabiennale.org/.