Heft 1/2018 - Netzteil
„Die Erde reist als eine sich selbst verdauende Maschine durch das Dunkel der Zeit“ – dieser Satz fiel in einer Episode des Medienkunstfestivals The Future of Demonstration, bei dem das apokalyptische Bild einer sich selbst zerfleischenden Welt gewissermaßen auch den politischen Anstoß gab: Die Ökonomisierung und Automation der Lebenswelt, erodierende demokratische Rechte und die Zunahme der sozialen Ungleichheit gehören zu den erklärten gesellschaftspolitischen Herausforderungen, für die man mithilfe des gesamten theoretischen, technologischen, aber auch fiktionalen Gestaltungsvermögens der Menschheit Lösungen „(er-)finden, sammeln und teilen“ wollte.
Wesentlicher Ausgangspunkt des Formats, das man in zwei Seasons (die zweite folgt 2018 unter dem Leitmotiv „Passion“) mit jeweils fünf Episoden einteilte, war die Überzeugung, dass der „kritische Rahmen der bildenden Kunst allein nicht mehr reicht“: Vielmehr gehen die KuratorInnen Sylvia Eckermann, Gerald Nestler und Maximilian Thoman davon aus, dass KünstlerInnen gemeinsam mit ProgrammiererInnen, AktivistInnen, ArchitektInnen, TheoretikerInnen etc. Strategien und Gegenentwürfe zu den algorithmusbasierten „Modellen kompetitiver Wirklichkeitssimulationen“ erarbeiten müssen. Denn – so erklärte Gerald Nestler den Ansatz in einem anderen Zusammenhang – es sei ja auch die Kritik der New York Times an Donald Trump wirkungslos.
An einer so verstandenen, unmittelbaren politischen Wirkkraft wird sich auch das Festival kaum messen lassen, allerdings zeigte der erste Abend doch eindrucksvoll, was mithilfe neuer Medientechnologie alles bewegt werden kann: Mit Forensic Architecture war ein Kollektiv eingeladen, das seit seiner Gründung im Jahr 2010 in unterschiedlichste Wirklichkeiten eingreift. Im vorgestellten Projekt The Al-Araqib Museum of Struggle war es jene des Beduinendorfs Al-Araqib, einem von Israel nicht anerkannten Dorf in der Wüste Naqab, das seit 2010 bislang 120 Mal von israelischen Bulldozern niedergewalzt wurde.
In einem spektakulären Setting, in dem die Projektionen sowohl frontal als auch über den Köpfen der BesucherInnen zu sehen waren, stellten Eyal Weizman, Projektleiter, und Ariel Caine, Koordinator, ihre Methoden vor: An die Stelle ideologischer Argumente treten bei ihnen (historische) Dokumente, die in diesem Fall die Besitzrechte der DorfbewohnerInnen belegen. Oder auch Satellitenbilder, die – ähnlich wie die Aufnahmen von Winddrachen – die von den Bulldozern hinterlassenen „Narben“ zeigen.
Mithilfe von Handyaufnahmen, die der Gruppe von lose assoziierten AktivistInnen immer wieder zugespielt werden, konnte man zudem einen tödlichen Unfall aufklären, den die israelische Polizei als Terrorangriff eingestuft hatte: Der Autofahrer – das bewies die Parallelsetzung des Tons der Handyaufnahmen und der offiziellen Bilder des Vorfalls eindeutig – war aufgrund eines Polizeischusses bereits tödlich verwundet, bevor sein außer Kontrolle geratener Wagen einen Polizisten überfuhr.
Forensic Architecture brachte die Behörden dazu, den Fehler öffentlich einzugestehen. In ihren extensiven Untersuchungen fördern sie aber auch Erkenntnisse wie etwa jene zutage, dass die meisten Konfliktzonen der Welt in den Grenzgebieten von Wüsten liegen: also dort, wo der koloniale Expansionswille nach wie vor „nach unten“ drängt, während der Klimawandel die BewohnerInnen „nach oben“ zwingt.
Aziz al-Turi, ein Bewohner des Dorfes Al-Araqib, erzählte in emotionsgeladenen Zwischenauftritten von den israelischen Bulldozern, aber auch von den harten klimatischen Bedingungen: Er war der subjektive Gegenpol zu der forensisch operierenden Gruppe, wobei ein solches Zusammenspiel von Zugängen programmatisch für das Festival war: Zugunsten politischer Aufklärungsarbeit wurde nicht auf Emotion, Drama, Fiktion, Musik – Entertainment verzichtet.
Ein Abend war demensprechend der Frage gewidmet, ob zwischen Fakt und Fiktion Wissen hervorgebracht werden kann: Naurutica, so der Titel dieser Episode, bezog sich auf die Insel Nauru im Pazifischen Ozean. Aufgrund der wertvollen Phosphorbestände (Vogelexkremente, die über die Jahrtausende auf Nauru phosphorisierten) durchlief die Insel in kürzester Zeit sämtliche ökonomische und ökologische Krisen: Der Phosphatabbau hat eine Art Mondlandschaft übrig gelassen, der einstige Reichtum brachte Wohlstandskrankheiten, und seit 2004 werden mit elenden, privat betriebenen australischen Flüchtlingslagern Geschäfte gemacht.
Gemeinsam wurde über die Einnahme von phosphorhaltigen Speisen, aber auch über die Rolle des Elements für künstliches Leben nachgedacht: Dies führte zu Henning Brand, der 1669 beim Experimentieren mit seinem Urin Phosphor entdeckte, bis hin zu den Bedingungen, die ein Mensch zum Überleben in einer Raumstation braucht.
Informativ war diese Mischung aus lustvoller Tischgesellschaft, Filmsetting und Diskussionsveranstaltung allemal. Eine Essenz des partizipativ angelegten Wissensaustauschs vermittelte sich über den auf Okto-TV angebotenen Livestream, als eigenständige Kunstform verstanden, hingegen kaum.
Dass man sich in Bezug auf die Vermittlung und praktische Umsetzung der avancierten theoretischen Überlegungen große Ziele gesetzt hat, war an dem auf mediale und interdisziplinäre Vielfalt setzenden Programm sehr schön ablesbar. Leider ging es nicht immer auf: Alien Introspection. Xenofeminism, Robotics and Machine Promiscuity hieß jene Episode, in der es um die „Krise des Menschenbildes im Zeitalter der Automatisierung“ ging. Auch hier wurde nach einer manifestartigen Einführung in einen Feminismus ohne Biologie mit Bildern von Frankenstein bis Blade Runner über die Historie und Zukunft des Mensch-Maschine-Verhältnisses nachgedacht: „It will not be human-like“, spekulierte eine Computerstimme, während die audiovisuelle Umsetzung überraschend anachronistisch aussah.
Das partizipative Moment, das immer mitbedacht wurde, war in der Episode Proof-of-Burn am eindrücklichsten: Nach Themenkomplexen wie Staatsgewalt, Krieg, Posthumanismus, Kolonialismus und Ressourcenknappheit sollte darin ökonomische Informationsasymmetrien angesprochen werden. Zunächst wurde das System von Kryptowährungen kurz skizziert. Danach waren die BesucherInnen angehalten, Tonscherben zu sammeln, mit Wert aufzuladen und gegen Getränke einzutauschen. Ziel der geheimnisvollen Vorgänge war, das technologische Bewusstsein sowie die Entscheidungskompetenzen der BesucherInnen zu stärken. Es spricht für das Festival, dass auch angesichts des möglichen Scheiterns (die MitspielerInnen sammelten viel zu viele Scherben) auf solche Experimente nicht verzichtet wurde.
Die Episode Liveration. Prometheus Delivered wirkte im Vergleich dann aber doch sehr klassisch: Ausgangspunkt bildeten die Prometheus-Protokolle, eine Story des Künstlers Thomas Feuerstein, die von einer Gesellschaft von sich selbst verzehrenden Individuen erzählt. Der Mensch wird darin zu einem ins Positiven gewendeten Kannibalen: Er ernährt sich von sich selber, isst keine Tiere und erzeugt die Güter des täglichen Bedarfs aus eigenen Körperzellen.
Umgesetzt wurde das zwischen biotechnologischer Science-Fiction und etwas verstiegenem Wissenschaftstalk changierende Skript von einer Dramaturgin, Musikern und SchauspielerInnen in Form einer Aufführung mit Vorstadttheatercharme. Das „alte“ Medium hat die Imaginationskraft aber durchaus gefordert, und zudem wurde man so im Rahmen des Festivals daran erinnert, dass man das zukunftsbildende Potenzial des utopischen Denkens besser nicht allein den ProgrammiererInnen großer Konzerne überlässt.
http://thefutureofdemonstration.net/