Heft 1/2018 - Lektüre



Kristin Ross:

Communal Luxury. The Political Imaginary of the Paris Commune

London/New York (Verso) 2015 , S. 76 , EUR 12

Text: Jochen Becker


Am 16. Mai 1871 wurde in Paris die zentrale Vendôme-Säule gestürzt und in ihre Einzelteile rückgebaut. Maßgeblich initiiert hatte den Denkmalsturz während der aufständischen Pariser Commune der Maler Gustave Courbet. Der Fall des Napoleons Eroberungsfeldzügen zugedachten Monuments war keine überstürzte Spontanaktion, sondern eine wohlüberlegte Performance: Courbet ließ darüber demokratisch abstimmen und den Platz sogar mit Stroh und Mist auslegen. Darauf wurde der „Platz der Eroberungen“ feierlich in „Place Internationale“ umgetauft. Paris erlebte eine Revolution der Stadt.
Die 72 Tage der Kommune haben Marx, Brecht oder David Harvey und jüngst die Kulturwissenschaftlerin Kristin Ross mit ihrem Buch Communal Luxury intellektuell wie politisch immer wieder aufs Neue bewegt: „Nach 2011, als praktisch überall Plätze und Territorien als Teil einer politischen Strategie neu angeeignet wurden – was Städte von Istanbul bis Madrid, von Montreal bis Oakland in Bühnen strategischer Operationen verwandelte –, erschien auch die Pariser Commune in einem neuen Licht“, schrieb Ross etwa im Magazin Jacobin.
Ganz Paris wurde damals ein „Place Internationale“, auf dem eine geradezu babylonische Mischung aus Klassen, Herkünften und Geschlechtern zueinanderfinden musste. Die Stadt war 1871 von preußischen Truppen umzingelt, doch der eigentliche Feind, die Regierung Frankreichs, hatte sich nach Bordeaux verzogen und die Metropole ohne Regierung und Schutz hinterlassen. Die KommunardInnen mussten sich rasch organisieren. Erfahrene Kämpfer trafen auf junge Arbeiter, Frauen auf politische Flüchtlinge aus London und Nordafrika, Brüssel oder Genf.
Das Recht zu sprechen, sich zu verbünden und kollektiv zu entscheiden, bildete sich so beschleunigt heraus. Die Versammlungen waren „Schulen für das Volk“, von „Bürgern, die bis dahin zum größten Teil noch nie miteinander gesprochen hatten“, so die Kommunardin Élie Reclus. Seit Januar 1871 hatte die Commune zwar das Hôtel de Ville als tradierten Regierungssitz übernommen, doch die Organisation blieb ambulant, traf sich stets an anderen Orten und verbreitete so die Debatten. Die Regierungsmacht der Commune wurde immer wieder abgezogen und im Stadtraum distribuiert.
Die Commune verwandelte Paris zu einer kosmopolitanen Stadt im Klassenkampf, gegen einen Krieg der Nationen und Imperien. „Ihre Flagge war die Flagge der République universelle“, so Ross. Auch darin ist die Kommune so aktuell, weil sie den Nationalstaat nicht nur bekämpft, sondern zumindest temporär außer Kraft setzen und hinter sich lassen konnte: „Die Commune-Fantasie operiert bevorzugt im Maßstab der lokalen autonomen Einheit innerhalb eines internationalen Horizonts. Sie hatte wenig Platz für die Nation oder, was das anbelangt, für den Markt oder den Staat.“
Die New Yorker Professorin für Vergleichende Literaturwissenschaften schreibt keine Überblicksgeschichte der Commune, sondern schält auf Grundlage historischer Zeugnisse bis heute spannende Praxen heraus. Sie greift dabei auf eine „gelebte historische Landschaft“ zurück. Marx entsandte die damals 20-jährige Journalistin, Feministin und Schauspielerin Elisabeth Dmitrieff als Berichterstatterin nach Paris, um an direkte Information zu gelangen. Im Sinne einer Mituntersuchung schloss sie sich den Barrikadenkämpfen an. Nur Tage nach deren blutigem Ende veröffentlichte Marx seinen Text Der Bürgerkrieg in Frankreich in mehreren Sprachen.
Kristin Ross liest die Commune in ihrer doppelten Verortung, also gefangen innerhalb der Festungsgrenzen ohne Hinterland und zugleich als translokalen Raum. Sie stieß dabei auch auf die Erinnerungen der Lehrerin Louise Michel, die beim gemeinsamen Wachgang auf einen befremdlichen „schwarzen Mann“ traf. Der algerische Berber hatte für Frankreich im Krieg gegen Preußen gedient. Als diese dann vor Paris standen, wurde die Einheit des schwarzen Soldaten aufgelöst, und er lief über. Der Übertritt zu den Kommunarden – als Soldat des innerfranzösischen Gegners, und als Berber aus dem kolonisierten Algerien – kündet von der Commune als Befreiungs- und Emanzipationsbewegung. Nach der Niederschlagung der Revolte wird Louise Michel zur Strafe in die Überseekolonie Neu-Kaledonien verbannt, erlernt die Sprache der Kanaken und setzt ihre Arbeit als Lehrerin und Aufklärerin fort.
In der kürzlich zu Ende gegangenen Ausstellung im Stadtmuseum München zur elsässischen Fotografendynastie Adolphe Braun sieht man Paris in Ruinen. An die 300 FotoreporterInnen, aber auch sonstige Schaulustige schlugen sich nach der Niederschlagung des Aufstands durch die zerstörte Metropole. Die Massenexekution von Zehntausenden Kommunarden im Mai 1871 bereitete der Pariser Commune ein blutiges Ende. Trotz des mörderischen Versuchs, den Klassenfeind ganz real auszumerzen, breitete sich die Idee durch das erzwungene Exil der Flüchtigen aus. Viele der Vertriebenen schrieben ihre Erinnerungen auf, gründeten Zeitschriften und Debattenzirkel oder „teilten ihr Essen“ – Voraussetzungen dafür, dass die Idee und Praxis der Commune sich an neuen Plätzen des Aufstands einlösen kann.

Ulrich Pohlmann/Paul Mellenthin (Hg.)
Adolphe Braun. Ein europäisches Photographie-Unternehmen und die Bildkünste im 19. Jahrhundert
München (Schirmer/Mosel) 2017
360 S., € 58,–