Heft 1/2018 - Artscribe


Art Without Death: Russischer Kosmismus

1. September 2017 bis 3. Oktober 2017
Haus der Kulturen der Welt / Berlin

Text: Michael Hauffen


Berlin. Der Kosmismus ist eine theoretische Strömung, die diesen Namen erst nachträglich erhalten hat. Spuren, der so bezeichneten und durch Boris Groys zusammengetragenen Ideen, lassen sich aber im intellektuellen und vor allem auch im künstlerischen Umfeld der Aufbruchphase nach der Russischen Revolution finden. Sie dienten als Inspirationsquelle und als Orientierung angesichts der scheinbar unbegrenzten neuen Möglichkeiten. Hervorstechendste Merkmale sind die Überzeugung, dass eine wirklich egalitäre Gesellschaft nur durch Unsterblichkeit aller Menschen zu erreichen ist, und dass dieses Ziel mit technischen, also rein materiellen Mitteln erreichbar wäre, wobei der Kosmos als harmonischer und anarchischer Raum begriffen wird, als eine Art ungenutzter Ressource. Wie bei Science-Fiction ergeben sich zwar auch aus dieser Utopie eine Menge absurder Konsequenzen und unauflösbarer Paradoxien, was aber ihre stimulierende Wirkung nicht ausschließt. Doch halt! Die beiden lebenden Künstler, die die Ausstellung hierzu präsentiert, sehen das offenbar anders. Jedenfalls erklärt Anton Vidokle, die Forderung nach Beseitigung des menschlichen Todes sei sein voller Ernst, und er verbindet damit nicht nur die Hoffnung auf einen glücklichen Ausgang der Geschichte, sondern betrachtet auch alle politischen Ambitionen der Avantgarde ohne solch praktische Radikalität als diskreditiert. Damit ist die Spannung skizziert, die das Projekt einer Wiederentdeckung dieser sich als spezifisch russisch verstehenden Utopie auszeichnet. Einerseits waren die verschiedenen Denker, die sie entwickelt haben, angesichts der Zumutungen von Rationalismus und Despotie bereit, sich mit romantischen bis totalitären Vorstellungen – von Nietzsches Übermenschen über den Glauben an eine kosmische Unio mystica bis hin zu obskurantistischen Rassenlehren – zu identifizieren, andererseits weckten die Wunder der Technologie Fantasien von einem kollektiven Kraftakt, der die Ursachen des menschlichen Elends restlos beseitigen würde.
Heute sind die Technologien fortgeschritten, die Stichwörter Biopolitik, künstliche Intelligenz, multimediale Kontrolle oder das atomare Zerstörungspotenzial stehen im Raum. Der technologische Traum ist mit Cyborgs und Weltraumschrott eher einem Alptraum gewichen, und das gilt analog für Erfahrungen mit der Entfesselung sozialer Massen, die einem kollektiven Dogma unterworfen werden, sei es auch noch so vielversprechend.
Dieser problematischen Situation begegnen die Szenerien in Vidokles Videotrilogie mit unerschütterlichem Glauben. So scheint ein Friedhof inmitten einer industriell zersiedelten Landschaft der kasachischen Steppe wie ein uneingelöstes Versprechen, eingebettet in eine offene Weite. Oder ein monochrom roter Screen behauptet im Untertitel die heilsame Wirkung seiner Lichtfrequenz, geht also von der Darstellung direkt zur Physiotherapie über und springt dann unvermittelt zur Frage, wo eigentlich die revolutionäre Energie geblieben sei, die seinerzeit die Russische Revolution ermöglicht hat. Immer wieder tauchen Akteure auf, die ihren kosmistischen Glauben mit Sätzen aus einschlägigen Texten manifestieren – ohne Zweifel und von düsterer Melancholie getragen. Wenn diese Filme also ein Projekt propagieren, tun sie es mit dissidenter Abgeklärtheit und dystopischem Pathos.
Ähnlich vage bleiben viele der Statements, die verschiedene ReferentInnen im Rahmen der begleitenden Konferenz geben, während die Auseinandersetzung mit den Seltsamkeiten dieser Theorie und ihren aus heutiger Sicht interessanten Aspekten auf plakative Bezüge beschränkt bleibt. Nur Hito Steyerl nimmt in Form begründeter Zweifel, dass der bloße Glaube an ein derartiges Projekt die Mechanismen des Kapitalismus nicht außer Kraft setzt, einen dezidierten Gegenstandpunkt ein. Ähnliche Wunschvorstellungen werden schließlich auch in der New-Age-Esoterik verschiedentlich beschworen. Nur verspricht der Hinweis auf die hartnäckige Logik des Kapitals im Gegensatz zu Heilslehren eben noch keinen Ausweg.
So bleibt das Potenzial einer „Kunst ohne Tod“ weitgehend im Dunkeln, wie auch der große Saal mit Vidokles technoid-archaisch gestylten Videokammern. Eine Installation im Foyer, bestehend aus einem großen sternförmigen („intergalaktischen“) Tisch, auf dem die zahlreichen Publikationen zum Thema ausgebreitet liegen und mit wiederum gesundheitsfördernden Lampen beleuchtet werden – dem Beitrag des zweiten Künstlers Arseny Zhilyaev –, kann daran wenig ändern.
Allerdings gibt es eine Brücke, die von der Unbedingtheit der Heilslehre zur postfuturistischen Realität und ihren relativen Chancen zu führen scheint. Es ist die Immortalität, die das Museum – insbesondere der Kunst – gewährt. Denn wenn hier auch nur wenige ausgewählte Objekte unsterblich gemacht und allgemein verfügbar gehalten werden, so erlauben sie doch, dass bereits Toten mitsamt ihren historischen Kontexten Gerechtigkeit widerfährt. In Vidokles Videos spielen Szenen in Museen eine zentrale Rolle. Insbesondere der Petersburger Museumsraum mit den Werken der frühen Konstruktivisten, in deren Zentrum das schwarze Quadrat von Malewitsch hängt, bildet ein enigmatisches Zeichen, und erfährt seine filmische Verklärung als urväterliches Testament. In einem kleineren Saal in Berlin erlaubt eine Ausstellung mit Originalen der russischen Avantgarde (aus der Sammlung Costakis) dagegen den direkten Blick auf Werke, die ebenfalls um diesen Nullpunkt der Kunst kreisen, aber auch belegen können, dass das Ringen um neue Perspektiven eine Vielfalt von Konzepten entfesselte, deren Beurteilung ebenfalls uneinheitlich ausfallen muss. Die Frage nach dem anhaltenden Potenzial dieses Bruchs mit der bürgerlichen Ästhetik und seiner Geschichte wird daher sinnvoll nur im Horizont von Bestrebungen zu entscheiden sein, jene fatalen Verwicklungen zu lösen, deren nicht unwesentlicher Bestandteil der Glaube an unsterbliche Werte sein dürfte.