Eine Gruppenausstellung auf Grundlage einer äußerst intimen wie überwältigenden Emotion – wie von der gleichnamigen Ausstellung in awe suggeriert – zu kuratieren, diese gar als Auswahlwerkzeug zu verwenden, scheint entweder eine schlichtweg allzu selbstbewusste Geste zu sein oder eine grundlegende Hinterfragung der Rolle und Fähigkeiten des Kurators/der Kuratorin anzustreben, so oder so, Scheitern ist erlaubt. Ist es möglich, besagtes Gefühl in den ZuschauerInnen zu evozieren, um sinnstiftend zu agieren? Ist dies vielleicht gar nicht vonnöten? Und wenn nicht, welche weiteren Möglichkeiten der Interpretation eröffnen sich, um diese Konstellation künstlerischer Arbeiten zu erfassen?
Jana Eulers eigens für die Ausstellung entstandenes Werk in awe reizt das Spannungsfeld zwischen „awe“ und „awesome“ weit aus und führt es möglicherweise ad absurdum. Großformatig und um Aufmerksamkeit heischend konfrontiert uns das Ölgemälde mit einem außergewöhnlichen weiblichen Akt in knallendem Pink. Gerötet vor Erregung, die Augen weit aufgerissen, heftig auf die BetrachterInnen spuckend, Hände an Mund und Wangen gelegt, um einen Schrei zu verstärken, gibt es den Blick auf den Intimbereich frei. Aus diesem spritzt Vaginalsekret in solchen Mengen, dass sich die Flüssigkeit an der Unterseite der Leinwand sammelt, um so auf eindrucksvolle Weise einen Akt des Ertrinkens in der eigenen Erregung – oder gar „Awesomeness“ – zu suggerieren.
Drehen wir die etymologische Uhr zurück, erfahren wir, dass der Begriff „awe“ ehemals eigentlich Grauen und Terror beschrieb oder die Macht, Furcht einzuflößen. Heute liegt der Sprachgebrauch näher an der wesentlich weicheren Bedeutung von Erstaunen.
Auf ähnliche Weise oszillieren Lilli Thießens container/YCMYCWFY und container/FITMK, zwei Umhängetaschen, zu Tableaus zweckentfremdet und weiß grundiert. Mit den Sprüchen „You can make your cravings work for you“ und „Fear is the mind killer“ versehen lassen sie zunächst an spirituellen Rat oder therapeutischen Zuspruch denken, gleichsam könnte es sich jedoch auch um eine prokrastinationsfreundliche Instagram-Weisheit handeln. Interessanterweise ist letzterer Ausspruch ein Zitat aus Dunes Litanei gegen die Angst. Ein eingängiges Mantra, konzipiert, um sich in Krisenzeiten Angstzuständen zu entziehen und mental zu sammeln – möglicherweise ein Erfolg, so hat es zumindest bereits Angst und Terror aus dem Begriff „awe“ ausgemerzt, ob es aber geholfen hat, unsere Gedanken zu fokussieren?
Dieser Prozess der Abschwächung, der Verlagerung oder gar des Verlusts von Bedeutung könnte womöglich zur Aufschlüsselung der selbstkritischen kuratorischen Denkübung von Melanie Ohnemus, Kuratorin der Ausstellung in awe, dienen und gleichzeitig auch dessen Einschränkungen umreißen. Praxis und Politik der Gruppenausstellung wurden schon oft kritisch hinterfragt. Dennoch haben genau diese oftmals einzigartige Kollaborationen, Kontextualisierungen und Diskurse ermöglicht, wodurch komplexe Bedeutungsnetze, konstruktivistische Lernstrukturen und Zugang wie Inklusion anderer Disziplinen in stark forschungsbasierten Projekten geschaffen wurden – wenn auch immer mit dem Risiko, ursprüngliche Intentionen damit zu verändern.
In einer weitaus zwangloseren, aber nicht weniger überzeugenden Façon adressiert Morgan Fisher die Unmöglichkeit, sich ein ganzheitliches Bild machen zu können. Fishers French Toast Painting stellt sich als eine flache, quadratische, horizontal auf einem niederen Podest präsentierte Leinwand dar. Praktisch in grauer Acrylfarbe gebadet, insinuiert es so, wie das herzhafte Gericht selbst, zubereitet worden zu sein, welches nicht zufällig in vielen regionalen Variationen existiert. „The paintings have two sides, and the two sides are equal. […] You can see only one side at a time, and you haven’t seen the painting until you have seen both sides“, liest sich die eigene Beschreibung des Künstlers. Was soll es also sein: French Toast, Arme Ritter oder Pain perdu?
Ebenfalls thematisch nahe der Fähigkeit von Materialien, Emotionen wie Nähe oder Vertrautheit, aber auch ein Gefühl des Unheimlichen zu erzeugen, sind Nicole Wermers Mood Board #2 und Mood Board #3. Faltbare Wickeltische, wie sie in öffentlichen Toiletten vorzufinden sind, präsentieren eine ungewöhnliche Materialkombination. Der trashige, typisch graue Kunststoff der Wickelstation wird zum Träger unterschiedlicher Arten von Terrazzoböden. Wermers destabilisiert so unseren Blick und evoziert spielerisch widersprüchliche Qualitäten von Massenproduktion und Handwerkskunst, Wertlosigkeit und Luxus, aber auch Intimität und Öffentlichkeit.
Man könnte argumentieren, dass die Reduktion des kuratorischen Auswahlprozesses darauf, was es im Grunde ist, nämlich pure Faszination mit einer Praxis, einer Arbeit oder einer Persönlichkeit, als öffentlich gemachtes Konzept, ehrlicher sei als die künstliche Konstruktion von Syntax und Semantik einer Gruppenausstellung – gleichzeitig müsste man sich aber auch eingestehen, dass es auch nichts weiter sein kann als ein Auswahlwerkzeug.
Während viele der Kunstwerke an sich beeindrucken, werden diese Qualitäten in der gemeinsamen Komposition und bei eher hinderlicher räumlicher Disposition verwässert, geben der Diskussion um die Infragestellung der Kuratorin/des Kurators Vorrang und wandeln einzelne Positionen in Platzhalter oder Muster um, die nur einen kleinen Vorgeschmack auf das Wesentliche zu geben vermögen.
Wenn auch das Gefühl der Ehrfurcht als solches, als kuratorische Strategie für eine Gruppenausstellung zu wünschen übrig lässt, kann es sich als legitimes Experiment entpuppen, welches auszuloten vermag, in welchem Maße man die als Selbstverständlichkeit betrachtete Requisite eines kohärenten konzeptuellen Klebstoffs brechen und so dass problembehaftete Format der Gruppenausstellung möglicherweise von seinen üblichen Defiziten befreien kann.
Vor diesem Hintergrund könnte sich der selbstreflexive Ansatz der Kuratorin letztlich gleichermaßen auf ein Thema allgemeinerer Natur beziehen, nämlich einer gewissen Erschöpfung oder Ermattung, die mit dem Prozess der Schöpfung einhergeht wie auch mit dem ständigen Verhandeln von Positionen. Oder wie es in Olga Balemas Beitrag mit dem Titel Demokratie gegen Absolutismus brillant formuliert ist, die den vergeblichen und anmaßenden Versuch darstellt, eine Welt zu erfassen, die ständig im Wandel ist. Als Teil einer größeren Serie von geopolitischen Landkarten, wie sie in Klassenzimmern zum Einsatz kommen, interveniert Balema in die pädagogische und autoritäre Darstellung mittels großzügigen Farbauftrags und Latex in Form erschlaffter Brüste – Mutter Erde ist eine erschöpfte Mami geworden, ermüdet vom ständigen Geben, beraubt ihrer Ressourcen und dennoch ewige Versorgerin.