Heft 1/2018 - Artscribe


trigon 67/17ambiente nuovo/post environment

22. September 2017 bis 23. November 2017
Künstlerhaus – Halle für Kunst und Medien / Graz

Text: Manuela Pacella


Graz. In Mailand läuft derzeit in der Fondazione Hangar Bicocca eine Ausstellung über Lucio Fontana. Die ausgestellten Werke, entstanden zwischen 1949 und 1968, sind exakte Rekonstruktionen von zwei seiner ambientali/Environments von neun ambienti spaziali/Raum-Environemts, die erstmals nach dem Tod des Künstlers wieder begehbar sind. Während die berühmten tagli/Schnitte, die Fontana schon ab 1958 einführte, noch immer auf Kritik bei einer Mehrheit des Publikums stoßen, ist dies bei seinen Environments nicht der Fall – obwohl man diese durchqueren muss und sich mit großer Verwunderung in einem anderen Zeit-Raum-Konzept wiederfindet, das auf architektonischen Installationen mit Neonlicht, Schwarzlicht und fluoreszierender Malerei basiert.
Die Mailänder Ausstellung verweist mit dem Titel Ambienti/Environments auf eine andere Ausstellung mit demselben Titel. Es handelt sich dabei um die dritte Biennale in Graz, genannt trigon, die 1967 unter dem Titel ambiente/environment lief. 1963 initiiert, trachtete trigon danach, die künstlerischen Zugänge – vor allem malerische und plastische – aus dem sogenannten Trigon-Raum, der Österreich, Italien und Exjugoslawien umfasst, zu vereinen. 1967 entschieden sich der künstlerische Direktor des Grazer Künstlerhauses, bekannt für die Beherbergung der Biennale, Wilfried Skreiner, der Italiener Umbro Apollonio und der Jugoslawe Zoran Kržišnik erstmals, eine thematische Ausstellung zu realisieren, die auf den jüngsten Forschungen über den Spazialismus fußte und so einen schroffen Bruch mit dem bis dahin traditionellen Zugang herbeiführte. Die Ausstellung stieß auf große Ablehnung, wie dies die zahlreichen Briefe an den Chefredakteur der Kleinen Zeitung belegen, worin sogar der Rücktritt von Wilfried Skreiner wie auch von Hanns Koren, damaliger Leiter des Kulturreferats in der Steiermark, gefordert wurde. An die in der Ausstellung vertretenen KünstlerInnen wurde appelliert, sich mit dem Raumthema durch Verbindung von Kunst und Architektur und mit der Umsetzung von verschiedensten Environments zu befassen. Die Ausstattung übernahmen die Architekten Günther Domenig und Elfriede Huth, die mit ungefähr 40 StudentInnen in engem Kontakt mit den KünstlerInnen arbeiteten. Für den Eingangsbereich des Künstlerhauses entwarfen Domenig und Huth einen Aufbau, umhüllt von durchsichtigen Plastikbahnen, die die BesucherInnen über eine spiralförmige Rampe in die multimediale Ausstellung führte.
Diese externe Struktur blieb das ikonografische Symbol der damaligen Ausstellung, die für diese Zeit einen enormen Schock bedeutete, aber auch der treibende Motor einer sichtbaren Kunsterneuerung und der Vermischung verschiedener Kunstformen war, die am Beginn des wichtigsten österreichischen Festivals, dem steirischen herbst stand, der 1967 in Graz gegründet wurde.
Die Zusammenarbeit seitens der Festivalorganisatoren mit den Ausstellungskuratoren der trigon 67/17 des Künstlerhauses, Jürgen Dehm und Sandro Droschl, ist daher kein Zufall. Mit Ambiente nuovo/post environment feiern sowohl der steirische herbst als auch trigon 67 ihr 50-jähriges Bestehen. Wie bereits im Jahr 1967 nehmen 15 KünstlerInnen teil (diesmal vorwiegend Frauen), die aus Österreich, Italien und Exjugoslawien kommen. Sie werden aufgefordert, Neues zu schaffen oder bei der Gelegenheit Werke neu zu adaptieren, die noch um das Raumthema kreisen, und auch zu klären, welche Rolle diese heutzutage einnehmen können.
Die Installationen sind im und außerhalb des Künstlerhauses platziert. Die im Grünbereich um das Künstlerhaus ausgestellten Werke werden eingezäunt – Schutz und Grenze – und wieder in Kooperation mit Huth realisiert. Im Untergeschoß des Museums wurden Originalzeichnungen, Filme, Werke der Ausstellung von 1967, Kopien wütender Briefe an den Chefredakteur der Kleinen Zeitung und der von Ferry Radax gedrehte Film gezeigt, in dem er in der Rolle eines Detektivs KünstlerInnen und ArchitektInnen interviewt.
Auf dieser Grundlage fand die Ausstellung im ersten Stock und außerhalb des Museums statt. Prekariat, Trennung, Isolierung und Gefahr dürften die gemeinsamen Nenner der Werke von trigon 67/17 gewesen sein. Die direkte Auseinandersetzung mit dem Ende der Sechzigerjahre zeigt die fast erdrückende Differenz zwischen einer absolut optimistischen Fortschrittsgesellschaft und der heutigen Gesellschaft, die sehr bemüht ist, fast unvermeidlichen Gefahren aus dem Weg zu gehen.
Unter den mehrheitlich im Dialog mit dem Raum stehenden Werken befindet sich im Foyer eine Installation von Esther Stocker und 20160815V von Tina Frank, entstanden in Zusammenarbeit mit dem Musiker Peter Rehberg. Unter jenen Werken, die sich elektronischer und/oder physikalischer Mechanismen bedienen, finden wir Gummo V von Lara Favaretto, Instabil auf Unstabil von Sonia Leimer und Große Klappe von Max Frey. Die Thematiken einer dystopischen Zukunft und die sich in ständiger Wandlung befindlichen architektonischen Landschaften werden hingegen im Außenbereich ausgestellt, so zum Beispiel Monowe (the terminal output) von Ludovica Carbotta und Double Exchange von Tobias Putrih. Das äußerst aktuelle Thema der Migration und der Trennung von Individuen wird in den Installationen von Tina Gverović dargestellt, die das Außen – mit Open Air – und das Innen – mit Diamond Cuts: Sea of people – in Verbindung setzt.
Während 1967 der Schock über alles Neue, davon getrieben, jede positivistische Form abzulehnen, bestimmt war, wird 2017 der Fortschritt als Ursprungsquelle für das Aufbrechen von Erstarrtem genützt, um eine kognitive Dissonanz zwischen dem, was man glauben möchte, und der Realität zu schaffen und um, auch nur für eine Minute, die BetrachterInnen aus ihrer tagtäglich gelebten „comfort zone“ herauszuholen. Dies geschieht mittels Arbeiten, die Extreme berühren, wie zum Beispiel im Werk meno 60 gradi esperibili von Micol Assaël aus dem Jahr 2003 mit dem Titel Vorkuta, benannt nach dem gleichnamigen russischen Arbeitslager.

 

Übersetzt von Ruth Steindling