Heft 1/2018 - Artscribe


Stefan Burger

14. Oktober 2017 bis 10. Dezember 2017
Kunsthalle Bern / Bern

Text: Julia Moritz


Bern. Beginnen wir die Betrachtung dieser Ausstellung von vorn. Mit dem ersten sichtbaren Werk und Motiv der Einladungskarte der Einzelausstellung des süddeutschen Fotokünstlers Stefan Burger in der Kunsthalle Bern: eine Handvoll an sich appetitlich hochglänzender Kirschen, abgelichtet allerdings in morbidem Schwarz-Weiß, auf ungegenständlichem Untergrund, unbetitelt wie alles andere auch, scheinbar lose hingestreut, doch keinesfalls dem Zufall überlassen.
Das kann man erahnen, wenn dies nicht das erste Werk Burgers ist, dem man begegnet. Auf konzeptuelle Inszenierungen bedacht gehen Bildkomposition, fotografisches Verfahren und Ausstellungsidee in dieser Praxis Hand in Hand. Historische Reminiszenzen (wie Albert Renger-Patzschs Fotografien der Neuen Sachlichkeit) sind Teil jener Überlegungen, nicht aber Ergebnis ähnlicher ästhetischer Bestrebungen. Aber nehmen wir mal an, das kleine Kirschtableau wäre das erste Werk, dem wir begegnen, genauso wie in der Ausstellung. Dann kann man eine bestimmte Doppelfunktion dieses Werks nicht unbeachtet lassen. Neben dem Motiv des institutionell entscheidenden Etiketts der Einladungskarte ist es weiterhin die der Kunsthalle Bern zum philanthropischen Verkauf überlassene Edition. Grüßt uns im Foyer (gegenüber der Kasse), eine Geste der Großzügigkeit (in 20er-Auflage), gar institutionell analytisches Argument?
Derartige Analysen sind in der konzeptuellen Fotografie bekannt (von der kritischen Aneignung ihres omnipräsenten Werbegebrauchs bis zur motivischen Spiegelung der Besitzverhältnisse des Werks). Sie ringen mit den ambivalenten Hochglanzästhetiken des Mediums um die zentrale sozioökonomische Frage von Schein und Sein. Nun sind Edition (demokratisierter Kunstkauf) und Einladungskarte (Werbegeschenk) per se Verwertungswerke, die sich hier durchaus genüsslich präsentieren. Ein Ja zum Gebrauch, zum Tausch, zur freien Vervielfältigung – Affirmation der zentralen Versprechen reproduktiver Bildtechnologien?
Zwei dieser Ausstellung wesentliche Verfahren legen diese Vermutung nahe: die konsequente Kontextualisierung von (Natur-)Motiven mit dem Dispositiv Ausstellung, vor allem ihrer räumlichen Ökonomie, sowie die Entschleunigung des fotografischen Mediums durch aufwendige und experimentelle analoge Entwicklungsverfahren. Begeben wir uns also einen Schritt hinein in die Schau.
Auf das Foyer folgend, im ersten offiziellen Ausstellungsraum der großzügigen Räumlichkeiten der Kunsthalle Bern, sehen wir – nichts. Und alles (wie so oft). Eine neu eingezogene Wand in exakter Kopie ihres Originals füllt den Raum. Voraussetzungsvoll in der Tat (denn bei einem tatsächlich ersten Besuch dieser Kunsthalle wird sich jener Eingriff schwer erschließen), effektiv jedenfalls durch die Absenz weiterer Werke. Die Wand wird sichtbar, als potente Hängefläche, als Potenzial an sich, als aufmerksamkeitsökonomische Einheit. Kaum kommen wir umhin, auch kommende Bilder durch das Vergrößerungsglas ihres unmittelbaren architektonischen Zusammenhangs zu betrachten.
Und diese offene Sichtbarkeit jener Tatsachenhaftigkeit der Bilder überträgt sich auf ihre Inhalte. Die Kirsche, das Füllhorn – aber auch kompromisslose Konservierung in den hohen Dosen des weißen Würfels; verschiedenartig verschachtelte Vanitas. Was Burger seinen in dieser Schau vor allem der Natur entnommenen Motiven verleiht: unsterbliche Schönheit durch Fixierung im Foto, auf elaboriertem Abzug, in verhaltener Farbigkeit, in präzisem Rahmen. Diese Verfahrensweise ist durchaus mit einer angesagten, auf die Handlungsmacht der involvierten Objekte einschwörenden Materialpolitik (früher: Produktionsästhetik) kompatibel; angetrieben scheint sie jedoch von einer medienspezifischeren Sorge: Schnelllebigkeit. Ob Gewächs oder Gerät, Zeitregime im Nanomaßstab verunmöglichen (entgegen ihrer Ideologie) Unmittelbarkeit (jeden Zugriff ohne Mittel).
Es sind die unzeitgemäß großen Züge, die Stefan Burger der im Medium der Fotografie grassierenden großen Zügigkeit entgegensetzt. Will heißen: zurückverleiht; Qualität statt Quantität möchte man meinen. Genauer aber: eine Wertschöpfungslogik, deren Ausmusterung durchaus auch Distinktionsgewinn verspricht. Jene Sorge statt Sachlichkeit verleiht Burgers Bildern aber auch die distinkte Elegie – den entscheidenden Unterschied zwischen Klage und Anklage, Schmerz und Sucht, Sinn und Suche.