Heft 2/2018 - Lektüre



Christian Kravagna:

Transmoderne. Eine Kunstgeschichte des Kontakts

Berlin (b_book) 2017 , S. 75 , EUR 25

Text: Peter Kunitzky


Im Jahr 1950 erhält der afroamerikanische Künstler Hale Woodruff den Auftrag, die Bibliothek der renommierten Atlanta University in Atlanta, Georgia, mit Wandmalereien zu versehen. So weit, so gewöhnlich, möchte man sagen. Denn erstens schossen Murals ganz allgemein schon seit Mitte der 1930er-Jahre, als im Rahmen von Roosevelts New Deal das Federal Art Project angeschoben wurde, um von der Großen Depression in Not gestürzte Künstler wieder mit Lohn und Brot zu versorgen, in großer Zahl aus den Wänden öffentlicher Gebäude in den USA; und zweitens – und etwas spezifischer, das heißt mit der afroamerikanischen Geschichte im Blick – fügte sich dieser Auftrag auch in eine junge Tradition von Wandmalereien, die Schwarze Künstler für Schwarze Bildungseinrichtungen schufen. Aber Woodruff übte sich hier nicht, wie von ebenjener Tradition geradezu nahegelegt, in einer Schwarzen Historienmalerei, die eine selbst ermächtigte Neuschreibung der von der Historiografie der weißen Kolonisatoren entstellten Schwarzen Geschichte – von der afrikanischen Vergangenheit über die Versklavung bis zur Befreiung aus dieser – betrieb, sondern machte in durchaus exzeptioneller Weise sein eigenes Metier zum Thema: The Art of the Negro; die Geschichte der Schwarzen Kunst von ihren Anfängen bis zur Gegenwart also, aber eine, die die gleichsam kulturell gezogenen Grenzen geflissentlich ignoriert und damit auch die fruchtbaren Kontakte und den Austausch zwischen den antiken Zivilisationen oder etwa den Einfluss der afrikanischen, ozeanischen und altamerikanischen Kunst auf die Kunst der Moderne erhellt.
Kurzum, Woodruff stiftete den AfroamerikanerInnen mit diesem sechsteiligen Zyklus zur Genealogie der Schwarzen Kunst nicht nur eine eigene kulturelle Identität, um nachdrücklich dem rassistischen Vorurteil zu begegnen, eine solche wäre ihnen in der Diaspora und der Sklaverei definitiv verloren gegangen; vielmehr brachte er im Rahmen dessen auch glaubhaft die Idee eines Transkulturalismus zur Geltung – eines historischen Transkulturalismus, der sowohl die Gefahr eines essentialistischen Kulturbegriffs bannt, wie auch als eine emanzipatorische Gegengeschichte der globalen Kunst aus Schwarzer Perspektive gelesen werden kann. Und all dies angesichts eines 1950 gerade seinen Siegeszug antretenden weißen amerikanischen Modernismus, der seine Genealogie – man denke etwa an Alfred H. Barrs berühmten diagrammatischen Stammbaum der modernen Kunst – rein eurozentrisch verstanden wissen will.
Als eine Gegengeschichte, die sich allerdings aus mehreren gesonderten Erzählungen, etwa der zu Hale Woodruff, speist, hat nun auch Christian Kravagna das vorliegende Buch entworfen. Es handelt sich hierbei um eine Kompilation von verschiedenen Aufsätzen und schriftlich niedergelegten Vorträgen aus den Jahren 2009 bis 2016, die sich, mit einer neuen Einleitung versehen, die dem Ganzen die theoretische Stoßrichtung vorgibt, im Laufe des Lesens zu einem facettenreichen Gegendiskurs verdichten, der gegen die Global Art History in Anschlag gebracht wird: eine Weltkunstgeschichte, die sich für Kravagna entweder als engstirnig erweist, wenn sie die nicht westliche Welt erst durch die Ereignisse um 1989 in den Stand gesetzt sieht, sich in ihrer kulturellen Diversität zu artikulieren und sich dafür im Kunstbetrieb Gehör zu verschaffen; oder aber als geschwätzig, wenn sie insbesondere den den Postcolonial Studies entlehnten Begriff des Transkulturellen inflationiert und geradezu wahllos auf künstlerische Manifestationen der Vergangenheit anwendet, sodass er seiner wesentlichen politischen Konnotationen verlustig geht.
Dieser akademischen Kurzsichtigkeit oder Weitschweifigkeit begegnet Kravagna nun, indem er unser Augenmerk auf die Moderne richtet, genauer auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts und damit auf eine historische Epoche, in der für ihn die Globalität der Kunst bereits Gestalt angenommen hat, welches Phänomen er mit dem Begriff „Transmoderne“ bezeichnet: ein von dem argentinischen Philosophen Enrique Dussel stammender Terminus, der damit eine globale kritische Moderne meint, in der AkteurInnen der „peripheren“ Kulturen und der dominanten Kultur des Westens in einen Dialog treten, um das Projekt der Dekolonisation in Angriff zu nehmen bzw. zu vollenden. Während die Transmoderne für Dussel aber eine utopische Note hatte, erblickt Kravagna darin ein historisches Phänomen. Und wirklich gelingen ihm in dem Buch höchst erhellende und nicht minder überzeugende Rekonstruktionen von Manifestationen transmoderner Kunst und Theoriebildung, die sich aus transkulturellen Beziehungen und Kontakten – etwa zwischen europäischen und indischen (die Bauhäusler zu Gast bei Rabindranath Tagore in Kalkutta!), indischen und japanischen, europäischen und afroamerikanischen ProtagonistInnen – ergeben. Begegnungen wohlgemerkt, welche die wechselseitige Transformation von künstlerischen Konzepten und ästhetischen Vorstellungen zur Folge hatten. Diese künstlerischen und intellektuellen Anstrengungen zielten aber immer auch, und das sollte noch einmal betont werden, auf eine emanzipatorische Transformation der als weiß und westlich wahrgenommenen Moderne (siehe etwa die Anfänge der künstlerischen Moderne in Indien im Kontext der Unabhängigkeitsbewegung). Und dies markiert wohl auch den größten Unterschied zwischen den Manifestationen der Transmoderne und denen der Euromoderne, die sich politisch ja meist weitgehend enthielten.